Focus hier 14.04.2024
Ein Jahr nach dem deutschen Atomausstieg hat Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck die Entscheidung zur Abschaltung der letzten Meiler verteidigt und auf fallende Strompreise verwiesen. Alle an die Wand gemalten Schreckensszenarien seien nicht eingetreten, sagte der Grünen-Politiker den Zeitungen der Funke Mediengruppe.„Wir sehen heute,
dass die Stromversorgung weiter sicher ist,
die Strompreise auch nach dem Atomausstieg gefallen sind
und die CO2-Emissionen ebenfalls runtergehen.“
Natürlich sei die Lage nach Ausbruch des russischen Angriffskriegs angespannt gewesen, sagte Habeck. „Wir mussten sehr viele Maßnahmen in kürzester Zeit umsetzen, um die Energieversorgung zu stabilisieren und die enormen einseitigen Abhängigkeiten, die Deutschland hatte, zu reduzieren. Das ist gelungen: Wir sind sicher durch zwei Winter gekommen.“
Im Strombereich sehe man, dass die Reformen griffen. «Der Ausbau der erneuerbaren Energien nimmt richtig Fahrt auf, wir vereinfachen und beschleunigen Genehmigungsverfahren, die Preise an den Strombörsen sind stark gefallen. Seit dem Atomausstieg vor einem Jahr um 40 Prozent."
Gleichzeitig liefen Kohlekraftwerke so wenig wie seit Jahrzehnten nicht mehr.
Deutschland habe ausreichend eigene Kapazitäten, den Strombedarf im Inland zu decken, sagte Habeck. „Gleichwohl nehmen wir am europäischen Strombinnenmarkt teil.“ Zwei Prozent des Bruttostromverbrauchs seien im vergangenen Jahr mit Importen gedeckt worden, davon sei aber nur rund ein Viertel Atomstrom aus Frankreich gewesen
Strompreise an der Börse noch immer doppelt so hoch seien wie 2019
Zuvor hatte die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) weiterhin hohe Strompreise beklagt. DIHK-Präsident Peter Adrian sagte ebenfalls den Zeitungen der Funke Mediengruppe, dass die deutschen Strompreise an der Börse noch immer doppelt so hoch seien wie 2019. Allerdings sind die Preise im Verlauf des vergangenen Jahres gefallen. Zusammen mit Steuern, Netzentgelten und Umlagen seien die Kosten zum Teil sogar viermal so hoch wie in anderen Ländern, sagte Adrian.
Auf die Frage, ob der Atomausstieg unumkehrbar sei, sagte Habeck: „Wir haben am 15. April 2023 das vollzogen, was die schwarz-gelbe Koalition 2011 beschlossen hat, und daher die letzten deutschen Kernkraftwerke endgültig abgeschaltet.„ Inzwischen werde deutlich, dass gerade die Regionen in Deutschland mit viel erneuerbaren Energien echte Standortvorteile genießen. „Wenn manche dennoch auf die Rückkehr zu Atomenergie setzen, sollte man registrieren, dass international Atomenergie nicht wettbewerbsfähig ist und Kosten aktueller Projekte explodieren.“ Zudem sei die Endlagerfrage in Deutschland weiter ungelöst. “Es wäre daher besser, nicht permanent zu hinterfragen, worauf sich das Land einmal geeinigt hat, sondern sich auf das Lösen aktueller Probleme zu fokussieren.“ Es brauche Verlässlichkeit, auch für Investitionssicherheit.
TAZ hier
Ein Jahr ohne Atomstrom: Und Deutschland gibt es immer noch
Die düsteren Prognosen für Deutschland nach Abschalten der letzten AKWs haben sich nicht bewahrheitet. Das Thema kann endgültig ad acta gelegt werden.
Es ist an der Zeit, in der Atomdebatte verbal abzurüsten. Genau ein Jahr ist es nun her, dass in Deutschland die letzten drei Reaktoren vom Netz gingen. Und was ist passiert? Das Ereignis ging recht geräuschlos über die Bühne. Nehmen wir die Kohle. Allen Unkenrufen zum Trotz lag die Kohleverstromung in Deutschland im ersten Jahr ohne AKW um ein Viertel niedriger als im Jahr davor. Entsprechend sanken trotz des Atomausstiegs die CO2-Emissionen pro Kilowattstunde im deutschen Strommix.
Das hatten Kritiker anders prophezeit. Die Gründe für die Bilanz sind vielfältig. Rein summarisch wurden die weggefallenen Kilowattstunden komplett durch den Zubau an Erneuerbaren kompensiert. Aber auch ein leicht reduzierter Stromverbrauch aufgrund der wirtschaftlichen Lage in der Industrie und ein extrem milder Winter drückten den Bedarf an Kohle. Die Stabilität der Stromversorgung war – auch das hatten Kritiker infrage gestellt – weiterhin gegeben.
Aber die Stabilität hängt ohnehin mehr am Zustand der Netze und an den Organisationsstrukturen der Branche (der IT-Sicherheit etwa) als an der Frage, ob es drei Kraftwerke mehr oder weniger gibt. Verändert hat sich durch den Atomausstieg vor allem eines: die Importbilanz des Stroms. Die reagiert nämlich sensibel auf minimale Änderungen im nationalen Preisgefüge an der Strombörse. Deutschland, seit 20 Jahren per saldo Stromexporteur, wurde mit dem Ende der letzten drei Meiler zum Importeur.
Nun kann man diskutieren, ob eine solche Momentaufnahme der große störende Begleiteffekt des Ausstiegs ist – nur wozu? Es ändert nichts mehr. Zumindest was die Leichtwasserreaktoren des 20. Jahrhunderts betrifft, ist die Atomkraft hierzulande Geschichte. Wenn jemand zur persönlichen Profilierung eine Rückabwicklung des Ausstiegs fordert, ist das ein Scheingefecht.
Auf Entscheidungsspielräume konzentrieren
Zielführender wäre stattdessen, wenn sich politische Akteure auf jene Punkte der Energiewende konzentrieren würden, bei denen es tatsächlich Entscheidungsspielräume gibt. Denn Gründe für Kritik an der Energiepolitik gibt es wahrlich genug. Die planwirtschaftliche Herangehensweise an den Kohleausstieg ist so ein Punkt; hier wäre es eleganter, das Ganze per CO2-Preis zu regeln.
Auch drohen Marktverwerfungen durch den unkoordinierten Ausbau der Photovoltaik und der Windkraft. Weitere Anlagen werden nämlich vor allem dann Strom liefern, wenn ohnehin schon genug davon da ist. Trotzdem soll mit immer mehr Steuergeld immer mehr Strom erzeugt werden, der im Moment der Erzeugung angesichts fehlender Speicher wertlos ist. Das wäre mal ein vordringliches Thema für die Debatte – die Atomkraft ist es aktuell nicht mehr. (zu der Umsetzung von Speichertechnik gibt es schon heute sehr gute Ansätze übrigens, siehe dazu hier und hier)
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