Südkurier hier Katy Cuko 17.4.24
Über Ostern sitzt der Ravensburger Samuel Bosch seine Strafe ab, wird aber vorzeitig entlassen. Warum das Bundesverfassungsgericht das Urteil zweier Gericht in Bayern gekippt hat.Drei Wochen Jugendarrest. So lautete das Urteil, das der Ravensburger Umweltaktivist Samuel Bosch vor dem Augsburger Amts- und Landgericht für „satirische Kritik“ kassiert hat, wie er selbst sagt. „Lohwald-Rodung trotz laufender Gerichtsverfahren? Frech!“, war auf einem Transparent zu lesen, das seine Mitstreiterin Laura „Charlie“ Kiehne an einem Regierungsgebäude angebracht hatte.
Dafür seilte sich die 20-Jährige aus einem Bürofenster ab und baumelte letztlich an der Fassade, mit dem Spruch „Lohwald verhökern für 250 Euro? Frech!“ um den Hals. Ähnliche Aussagen waren vor dem Gebäude mit Kreide auf die Straße gemalt.
Schuldig gesprochen
Die Aktion sorgte für einen großen Medienrummel, nicht nur, weil die Polizei die Klimaaktivisten abführte. Die Staatsanwaltschaft klagte die drei Besetzer wegen übler Nachrede und Hausfriedensbruch an. Die Umweltgruppe habe dem damaligen Regierungspräsidenten Erwin Lohner Korruption unterstellt, was die Regierung von Schwaben scharf zurückwies und Strafanzeige erstattete. Die Richterin sah es letztlich als erwiesen an, dass das Trio bei dieser Protestaktion im Oktober 2022 das Regierungsgebäude besetzt und den Regierungspräsidenten verunglimpft hätten. Das Landgericht bestätigte die Verurteilung. Drei Wochen Jugendarrest für Samuel Bosch, eine Woche für Charlie Kiehne.
Kurz vor Ostern trat Samuel Bosch in der Jugendarrestanstalt Göppingen die Haft an. Dann die unverhoffte Wendung. Am späten Abend des 4. April, eine Woche früher als geplant, wurde er unverhofft und vorzeitig entlassen – nachts um 23 Uhr. Am späten Nachmittag hatte das Bundesverfassungsgericht das Urteil aufgehoben. Das verletze das Grundrecht des jungen Mannes auf Meinungsfreiheit, so der höchstrichterliche Beschluss. Die Karlsruher Richter gaben dem 21-Jährigen recht, der gegen seine Verurteilung Beschwerde erhoben hatte.
Machtkritik von Meinungsfreiheit gedeckt
Die ausführliche Begründung führt die Augsburger Richter ein Stück weit vor. Die Kritik der jungen Leute an der Regierung von Schwaben sei eben nicht zum Zwecke privater Auseinandersetzung formuliert worden, sondern soll „zur Bildung der öffentlichen Meinung beitragen“, so das Bundesverfassungsgericht. Der Schutz der Meinungsfreiheit erwachse „gerade aus dem besonderen Schutzbedürfnis der Machtkritik“, auch wenn nicht jede ins Persönliche gehende Beschimpfung von Amtsträgern erlaubt sei.
Ob die Bezeichnung „korrupt“ an die Adresse des damaligen Regierungspräsidenten im Ergebnis tatsächlich von der Meinungsfreiheit gedeckt war, sei damit nicht entschieden. Diese Abwägung hätten die Augsburger Richter aber nicht vorgenommen. Das Amtsgericht muss den Fall nun neu verhandeln. „Das dürfte wohl eine peinliche Veranstaltung werden“, sagt Samuel Bosch.
Doch worum ging es eigentlich? Bosch ist als Baumbesetzer im Altdorfer Wald nördlich von Ravensburg bekannt geworden. Das Klimacamp dort will den Wald vor der Rodung zwecks Kiesabbau schützen. In Augsburg protestierten die Klimaaktivisten gegen die vorgezogene Teilrodung eines sogenannten Bannwalds. Der ist geschützt und darf nur abgeholzt werden, wenn es „zwingende Gründe des öffentlichen Wohls erfordern“, steht im Gesetz. Den Antrag der Lech-Stahlwerke hatte die Regierung von Schwaben im Oktober 2022 allerdings genehmigt, obwohl Klagen dagegen beim Bayrischen Verwaltungsgerichtshof anhängig waren. Dort wird noch geprüft, ob für den Ausbau des Stahlwerks 17 Hektar Wald gerodet werden darf.
Haftbefehl für Klimaaktivisten
Schon im Vorfeld der ersten Verhandlung nahm der Fall groteske Züge an. Weil Samuel Bosch und Charlie Kienle nicht vor Gericht erschienen, schrieben Staatsanwalt und Amtsrichterin die beiden per bundesweitem Haftbefehl zur Fahndung aus. Auch das Urteil hält der Rechtsbeistand der beiden Jugendlichen für überzogen. „In Bayern sind die drauf wie‘s Messer“, teilte der Ravensburger Strafverteidiger Klaus Schulz nach der Verkündung mit. Obwohl Samuel Bosch und Charlie Kiehne kaum vorbestraft waren, sei trotzdem fast die Höchststrafe verhängt worden.
Was die zweiwöchige Haft mit ihm gemacht hat, beschreibt Samuel Bosch in einer Art Tagebuch. „Der Kampf für Klimagerechtigkeit ist mir so wichtig, dass ich es okay finde, dafür in den Knast zu gehen. Ich persönlich werde mich davon nicht einschüchtern lassen, weil es weiterhin wichtig ist, dafür zu kämpfen, dass die Existenzgrundlagen von Menschen und Umwelt nicht zerstört werden“, schreibt er.
Hinter Gittern habe er viel Zeit gehabt, darüber nachzudenken, wie er von Fridays for Future zum Klimacamp, zum Altdorfer Wald und letztlich hinter Gittern kam. Er sei faktisch gezwungen gewesen, seinen Aktivismus auf eine immer radikalere Ebene zu heben, „weil das Appellieren offensichtlich zu wenig gebracht hatte“.
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