Mittwoch, 3. April 2024

Anmerkungen, Fragen zu „Ravensburg steht auf“

Gedanken  zu den Demos gegen Rechts in Ravensburg und dem Schussental
von Wolfram Frommlet vom 18.3.24

Ravensburg steht auf. Dann ist es bisher gesessen? Am Stammtisch, auf dem Fernseh-Sessel, vor Lanz und Illner, oder manche vielleicht doch eher vor Arte und Phoenix?


Nicht erwähnt wird, dass Ende Januar bereits gut 9.000 Menschen auf einer Demonstration gegen Rechts den Marienplatz füllten. 

Nun also, am 21. März, erhoffte 10.000 für Demokratie und Toleranz, gegen Rassismus und Rechtsextremismus. Klingt gut, ist es jawohl auch, im „Lebenswerten Schussental.“

Ein paar Fragen:

Wenn es die AfD nicht gäbe, wäre alles ok mit der Demokratie?

Wir wollen alle nett zu den vielen Flüchtlingen sein, von denen es täglich mehr werden in Libyen, wo sie von kriminellen Banden ausgebeutet werden, mehr, die die Flucht über das Mittelmeer überleben, und ein paar davon es nach Ravensburg schaffen.

Haben die Gründe ihrer Flucht irgend etwas mit unserem Lebensstil zu tun, mit unserem Wirtschaftsmodell, mit unserer, wie es die afrikanische Ökonomin Dambisa Moyo nennt, „dead aid“, mit unserer tödlichen Entwicklungshilfe? 

Da gibt es einen mir bekannten nigerianischen Flüchtling, verheiratet mit einer Deutschen, ein gemeinsames Kind. Er hat dennoch keine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung, sie wird verlängert, ein Jahr und noch ein Jahr.

Wie viele mehr von ihnen gibt es dieser Stadt? Nein, das hat nichts mit Rassismus zu tun. 

Wo wird in dieser Stadt den „Sitzenden“ vermittelt, was die Fluchtursachen sind, und warum sie Jahr für Jahr nach oben gehen? Gibt es eine Studie, Gespräche mit Flüchtlingen in Ravensburg, warum sie ihre Heimat verlassen haben? Meines Wissens nein. Das wäre doch hilfreich, Vorurteilen gegen Flüchtlinge zu begegnen.

Und wofür müssten wir in diesem Land „aufstehen“? Was sind Formen des Rassismus, von denen auch in Ravensburg indirekt – oder auch, unbewusst, ganz direkt - wir alle profitieren.

Klimaflüchtlinge.

Die Länder des Südens, insbesondere afrikanische, zahlen den Preis für die globalen Folgen unseres kapitalistischen Wirtschaftssystems von Gier, nicht nachhaltigem Wachstum und der Plünderung der Ressourcen anderer Länder.

Große Teile Afrikas vertrocknen aufgrund der Klimakrise, die nicht die Bevölkerungen des Südens verursacht haben, sondern der Norden. 

Ernten in für uns unvorstellbaren Ausmaßen vertrocknen, der Dürre folgt der Hunger. Die Kleinbauern ziehen in die Städte, wo sie keiner will. Keiner braucht.

80 Millionen Binnenflüchtlinge irren durch Afrika. Sie beunruhigen uns nicht, denn sie werden nicht bis Europa, bis Deutschland kommen. Meine Prognose – nach fast 30 Jahren Tätigkeit in Afrika – in 20 Jahren werden es 120 Millionen sein. 

Seltene Erden, rare earths. 

In Afrika wird ein erheblicher Teil der Seltenen Erden für unsere Mobilität, für die Rüstungsindustrie, für die Militarisierung des Weltraums, aus der Erde geholt. In Zaire, und anderen Ländern, meist mit Gewalt. Wo diese Ressourcen geschürft werden, bleibt eine unbewohnbare Hölle. Hunderttausende verlieren ihr Land, ihre Existenz, oft ihr Leben. 

Agrobusiness, Nahrungskonzerne

Es wird Ostern. Schokohäschen, tonnenweise. 

Woher kommt der Kakao? Aus Ghana, aus Kamerun, aus der Elfenbeinküste. Monokulturen. Die Böden werden vernichtet mit Pestiziden, Insektiziden, Kunstdünger. Für die Kakaobäume werden die Tropenwälder gerodet. Eine Kleinbauernfamilie verdient im Schnitt 0,50 Cent am Tag. Kinderarbeit ist die Regel. Die Böden sind nur für den Kakao.

Wenn sie ausgelaugt sind, ziehen die Investoren weiter. Zurück bleiben die Kleinbauern auf ausgelaugter Erde. Die Plünderer von Cargill, Nestlé, Cadbury, Rowntree zahlen Millionen an „kickbacks“ an die regierenden schwarzen Eliten, die dies tolerieren. 

Andere agrarische Produkte, für die Wälder abgeholzt werden, die Böden versauern, die indigene Bevölkerung vertrieben wird, sind:

Palmöl, das in jedem zweiten Keks verarbeitet ist; Orangensaft – in Brasilien, Soja – in Lateinamerika, Avocados – in Chile, Kolumbien, Peru, Blumen für den Muttertag in Äthiopien. Wenn die Bauern sich zusammenschließen – Bewegungen wie movimiento sin tierra in Brasilien, das Chipko Movement in Indien - werden die Anführer oft zusammengeschossen. 

Das hat wenig mit Demokratie und nichts mit Rassismus und Rechtsextremismus zu tun. Nein, dafür haben wir ja die AfD. Dann können wir den Rest vergessen.

War noch was? 

Textilien

Schon beim Anbau von Baumwolle – mit genmanipuliertem Saatgut, das kein Bauer selbst vermehren kann, abgestimmt auf das importierte Paket Pestizide, Kunstdünger, Bewässerungstechnologien – wofür sich Millionen Bauern verschuldeten und Tausende in Indien Suizid begingen in Indien - weshalb man meist gleich auf Kleinbauern verzichtet . 

Die Baumwolle, der Reis - von skrupellosen Konzernen wie RiceTech, Bayer Science Crop, Monsanto, Syngenta – sind der Beginn der Zerstörung traditioneller Agrarkulturen und Böden, der Vertreibung und Verarmung der Bauern.

Und dann folgen die Billigst-Heere an Frauen in den Nähereien von Bangla Desh bis zu Myanmar, von China bis Pakistan. Einige der grauenvollsten Diktaturen momentan.

Der Dreck, die giftigen Abwässer fließen in die Flüsse, töten die Fische und die Anwohner. 

Wie heißt das Gesetz, das die FDP boykottiert? Lieferkettengesetz. Da ließe sich einiges erfahren über Gründe, aus einem Land zu fliehen, über internationale Arbeitsmigranten, und auch über unsere Toleranz. Das müssen wir tolerieren für die geilen zerrissenen Jeans, den Anzug für 69 Euro, die Schuhe für 29,00€. Und die spenden wir dann zurück, was den Afrikanern die letzte Würde raubt. Nein, stimmt nicht. Die hat ihnen Europa schon vorher geraubt. 

Nein, das hat nichts mit Rassismus zu tun, oder mit 75 Jahre Grundgesetz, wo von sozialer Gerechtigkeit die Rede sein soll. 

Ach ja, aufstehen für Demokratie. Die ist nur durch die AfD gefährdet. 

In einem der reichsten Länder der Welt waren 2022 nach Daten der Bahnhofsmission und der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe 607.000 Menschen wohnungslos, etwa 178.000 lebten auf der Straße. Die Armut und soziale Ausgrenzung nimmt jährlich zu.

21% der Bevölkerung, 17,3 Millionen. 25% in Deutschland haben kein Nettovermögen oder sind gar verschuldet. 

Dagegen 100 Milliarden „Sondervermögen“ für die Rüstungskonzerne, und noch zehn Milliarden kurz danach drauf. Aufrüstung und Armut – bedingen sich gegenseitig? 

Dafür Aufstehen? Nein, wir brüllen kollektiv „Nazis raus“ – wohin? Nach Ruanda? „AfD verbieten“, und alles ist gut. 

Im selben Land gab es 2022 94.000 „Flugbewegungen“ mit Privatjets. Die Bundesrepublik Deutschland steht mit der Zahl ihrer Milliardäre an dritter Stelle nach China und den USA. Die oberen 10% waren 2023 laut jüngster Untersuchungen um mindestens 500 Milliarden Euro reicher als angenommen. Aufstehen? Radikale Steuerreform, jetzt! Nein, danke.

Bei uns wird alles gut. Bitte aufstehen. Dem nächsten Flüchtling geben wir die Hand. 

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