Die Ampel verkauft die Reform als wichtigen Schritt für mehr Klimaschutz. Doch junge Menschen sind maßlos enttäuscht.
„Rest in peace“, schreibt Luisa Neubauer am 16. April auf Instagram – sie meint das Klimaschutzgesetz.
Nach monatelangen Gesprächen hat sich die Ampel auf eine Reform des Gesetzes verständigt. Statt verbindliche Sektorziele rückwirkend zu kontrollieren und bei Verfehlung mit Sofortprogrammen zu reagieren, soll es künftig vor allem darauf ankommen, ob Treibhausgas-Sparziele über alle Bereiche hinweg auf mehrere Jahre gerechnet eingehalten werden. Damit sei nun auch der Weg frei für das geplante Paket zur Solarförderung, das an die Reform gekoppelt ist.
Das Kabinett hatte die Reform bereits im Sommer 2023 verabschiedet, doch seitdem konnten sich die Fraktionen der Ampel-Koalition nicht auf die Details einigen. Vor allem die FDP störte sich an verbindlichen Vorgaben in einzelnen Wirtschaftsbereichen. Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) drohte zuletzt sogar mit „Wochenend-Fahrverboten“, sollte die Reform nicht bald umgesetzt werden. Der Expertenrat für Klimafragen zeigte mit der Veröffentlichung des Prüfberichts für 2023, dass Deutschland seine Klimaziele im Verkehrsbereich deutlich verfehlte.
„Absurd“ – Aktivistin Luisa Neubauer kritisiert Klimagesetz-Reform scharf
Auf Social-Media-Plattformen nennt die FDP die Einigung zur Reform einen „wichtigen Erfolg“, weg vom zuvor „planwirtschaftlichen Gesetz“. Auch die Grünen sprechen von einem „starken Update“. Die Aktivistin Neubauer hält das alles für „absurd“.
Bereits in den vergangenen Tagen warnte Neubauer vor einem „Klimaschummelgesetz“, wenn die Ampel die Reform tatsächlich umsetzen sollte. Die verbindlichen Sektorziele seien der Kern des Klimaschutzgesetzes und würden dafür sorgen, dass das Verfehlen der Ziele reale Konsequenzen hat.
„Faule Kompromisse“ beim Klima – das sagen die Jungparteien von SPD und Grünen
Philipp Türmer, Bundesvorsitzender der Jungsozialisten der SPD (Jusos), findet klare Worte für die Reform: „Diese Einigung ist ein Aushöhlen des Klimaschutzgesetzes. Das ist insbesondere für junge Menschen enttäuschend und zeigt, wie sehr sich die Ampel-Koalition in tagesaktuellen, aber faulen Kompromissen verliert, statt ans große Ganze zu denke“, sagt er BuzzFeed News, einem Portal von IPPEN.MEDIA. Statt jeweils ihren Beitrag zum Klimaschutz zu leisten, könnten die Ministerien nun „mit dem Finger aufeinander zeigen“, sagt Türmer. Es herrsche „Verantwortungsunklarheit“.
Ähnlich sehen es auch die jungen Grünen. „Es ist bitter, dass die Reform des Klimaschutzgesetzes Volker Wissing aus der Pflicht entlässt, sich um eine klimagerechte Verkehrswende zu kümmern“, sagt Svenja Appuhn, Bundessprecherin der Grünen Jugend. Das sei „dramatisch“, da so auch das Erreichen der Gesamtziele in einigen Jahren „vollkommen zu entgleisen droht“. Dass die FDP eine „Aufweichung des Klimagesetzes zur Bedingung für das Solarpaket“ gemacht habe, sei „von Anfang an lächerlich“ gewesen, kritisiert Appuhn. Der Ausbau der erneuerbaren Solarenergie sei kein „exklusiv grünes Spaßprojekt“, sondern eine grundlegende Voraussetzung für die Energiewende in Deutschland.
„Sektorenziele waren enorm ineffizient“ - Junge Liberale stehen hinter der Mutterpartei
Anders sehen das die Jungen Liberalen der FDP (JuLis). „Die bisherigen Sektorenziele waren enorm ineffizient (na klar doch, wenn selbst ein Verkehrsminister damit durchkommt, dass er sich einfach nicht an bestehende Gesetze hält. Was kann man denn da noch erwarten?) und standen sinnbildlich für den gescheiterten Versuch, Klimaschutz durch staatliche Lenkung und Verbote umzusetzen“, erklärt Paavo Czwikla, Bundesvorsitzender und Pressesprecher der JuLis. Stattdessen wolle man auf marktwirtschaftliche Mechanismen und private Innovationskraft setzen.
hier ARD 16.04.2024 Alexander Budweg
Wissing kann sich nicht zurücklehnen
(was noch zu beweisen wäre...)
Die Ampel hat sich auf ein neues Klimaschutzgesetz geeinigt. Sie nimmt Abschied von Sektorenzielen, dafür zählt die Gesamtbilanz beim CO2-Ausstoß. Was heißt das für die Klimaziele? Und was für den Verkehrsminister?
....Es ginge mehr beim Verkehr
Neben den von Wissing nicht ernsthaft ins Feld geführten Fahrverboten kommen im Bereich Verkehr auch andere unpopuläre Maßnahmen wie Tempolimits in Betracht. Zwar weist der Minister zurecht darauf hin, dass Klimaschutz im Verkehrssektor besonders herausfordernd ist. Immerhin werden hier etwa 20 Prozent des CO2-Ausstoßes produziert. Zudem lassen sich nicht alle alten Autos von heute auf morgen austauschen.
Doch gegensteuern ließe sich auch mit deutlich milderen Mitteln. So kann auch der Hochlauf der E-Auto-Mobilität, der Ausbau der Ladeinfrastruktur, eine Stärkung des Öffentlichen Nahverkehrs und nicht zuletzt der Ausbau von Radwegen zu CO2-Einsparungen führen. Bilanzausgleich statt Sofortprogramme Derartige Sofortprogramme sind im geänderten Klimaschutzgesetz aber nicht mehr vorgeschrieben. Stattdessen soll es eine sektorübergreifende, mehrjährige Gesamtabrechnung geben.
Das bedeutet: Stößt der Verkehr auch künftig zu viele schädliche Klimagase aus, kann dies durch eine höhere Einsparung zum Beispiel bei der Stromerzeugung ausgeglichen werden.
Zudem sollen zusätzliche Maßnahmen erst nötig werden, wenn die Gesamtbilanz aller Sektoren in zwei aufeinanderfolgenden Jahren nicht stimmt. Vor allem diese Änderung wird von zahlreiche Umweltverbänden scharf kritisiert.
Dass es dadurch künftig aber geteilte Verantwortungslosigkeit statt Verbindlichkeit und Zuständigkeit gebe, wie es BUND-Chef Olaf Bandt meint, ist nicht der Fall. Schließlich bleiben die Klimaschutzziele bestehen. Die Bundesregierung hat weiterhin die Gesamtverantwortung für deren Einhaltung. Allerdings erhält sie nun deutlich mehr Flexibilität beim Nachsteuern.
Hauptsache, die Bilanz stimmt
Bislang müssen Sektoren wie Industrie, Gebäude oder Verkehr jeweils eigene CO2-Emissionsgrenzen einhalten.
Mehr Verbindlichkeit bis 2040?
Letztlich soll das geänderte Klimaschutzgesetz aber vor allem mehr Verbindlichkeit für den Zeitraum zwischen 2030 und 2040 bringen. Ein Punkt, der insbesondere von den Grünen betont wird.
Dabei war auch schon in der derzeitigen Fassung nicht nur das Ziel für 2030 geregelt, die Emissionen insgesamt um 65 Prozent im Vergleich zu 1990 zu senken. Auch das 88-Prozent-Minderungsziel für 2040 findet sich dort.
Neu ist nun jedoch, dass die Bundesregierung dazu verpflichtet wird, auch für die Jahre 2031 bis 2040 konkrete Klimaschutzmaßnahmen zu erlassen. Zudem muss jede neue Regierung innerhalb der ersten zwölf Monate ihrer Amtszeit ein Klimaschutzprogramm beschließen. Die Ampelkoalition bindet damit auch ihre Nachfolger - die allerdings das Gesetz auch wieder ändern können.
Druck von der EU
Der Druck kommt künftig aber wohl vor allem von anderer Stelle. So haben sich die EU-Staaten Ende des vergangenen Jahres darauf geeinigt, den CO2-Emissionshandel von 2027 an deutlich auszuweiten. Neben dem Industrie- und Energiesektor gelten künftig auch für die Bereiche Verkehr und Gebäude Obergrenzen für den Ausstoß von Treibhausgasen.
Für Klimasünder wird es damit teuer, denn zum einen müssen Unternehmen Verschmutzungsrechte kaufen, um Treibhausgase überhaupt ausstoßen zu dürfen. Zum anderen drohen den Mitgliedsstaaten Strafen, wenn sie ihre Klimaschutzziele nicht erreichen.
Dies gilt auch für einzelne Bereiche, wie etwa den Verkehrssektor.
Insofern kann sich ein deutscher Verkehrsminister - ob er nun Wissing oder anders heißt - auch künftig in Sachen Klimaschutz nicht zurücklehnen. (wieso denn nicht, das Strafgeld geht doch nicht von seinem Ressort ab? Wissing kann durchaus...)
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