Montag, 15. April 2024

Fahrverbot am Wochenende: Eine Idee, die nur vom Verkehrsminister kommen kann

hier in Basicthinking 16.4.24  Kommentar von Christian Erxleben

Wer stellt Volker Wissing in die Garage?

22 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente: So viel muss Bundesverkehrsminister Volker Wissing einsparen, wenn das Klimaschutzgesetz nicht geändert wird. Deshalb droht der FDP-Politiker jetzt mit einem Fahrverbot am Wochenende. Damit versucht er geschickt, von seinem eigenen Versagen abzulenken. Ein Kommentar.

Volker Wissing hat ein Problem. Er ist seit 2021 Bundesverkehrsminister und steht seit seinem Antritt vor einer Mammutaufgabe. Er muss in die Fußstapfen von denkwürdigen Vorgängern wie Dr. Peter Ramsauer, Alexander Dobrindt und nicht zuletzt Andreas „Andi“ Scheuer treten.

Dass dieses Erbe nicht einfach ist, war vorherzusehen. Immerhin hat Volker Wissing, obwohl er nicht aus der CSU, sondern aus der FDP kommt, seine ersten Schritte gewagt – und das durchaus erfolgreich. Den Großteil seiner Amtszeit hat er damit verbracht, nichts oder umstrittenes wie das Volocopter-Investment zu tun.

Volker Wissing liebäugelt mit Fahrverbot am Wochenende

Anstatt den lokalen Nahverkehr zu stärken, kürzt Wissing im Bahn-Budget hunderte Millionen Euro ein, um sie einem mehr als fragwürdigen Start-up zu geben, das noch kein überzeugendes Konzept für den Transport der Zukunft geliefert hat.

Doch das war nur der erste Streich. In einem Interview mit dem Deutschlandfunk holt der Bundesverkehrsminister gleich zum zweiten Streich aus: Er fordert ein Fahrverbot am Wochenende. Die Hintergründe und Ursachen dafür sind mannigfaltig.

Klimaschutzgesetz sofort oder Fahrverbot am Wochenende

Kurz zusammengefasst steht Volker Wissing vor dem Problem, dass er mit seinem Bundesverkehrsministerium in kürzester Zeit einen Plan vorlegen müsste, wie er noch in diesem Jahr 22 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente einsparen kann. Das gehe laut eigenen Aussagen nur mit einem Fahrverbot am Wochenende. Oder anders ausgedrückt: Der Verkehr muss an zwei Tagen in der Woche ruhen.

Und anstelle, dass er sich in den vergangenen knapp drei Jahren Gedanken zur Umsetzung der Vorgaben des bisherigen Klimaschutzgesetztes gemacht hat, setzt er der Bundesregierung und der ohnehin schon streitenden Ampel-Koalition die sprichwörtliche Pistole auf die Brust, weil er selbst nicht dazu in der Lage ist, seine Arbeit zu erledigen.

Was ändert sich beim Klimaschutzgesetz?

Das Klimaschutzgesetz ist per se keine Neuigkeit. Es existiert schon seit 2019 und macht verbindliche Vorgaben wie viel CO2 bestimmte Bereiche und Ministerien einsparen müssen, damit Deutschland bis zum Jahr 2045 die Treibhausgas-Neutralität erreichen kann.

Seit dem vergangenen Jahr diskutiert der Bundestag darüber, das Gesetz leicht anzupassen. So sollen in Zukunft die Vorgaben für Deutschland als Gesamteinheit gelten. Die Kontrolle der einzelnen Bereiche würde damit entfallen. Das wäre für den Bereich Verkehr, für den Wissing mit seinem Ministerium verantwortlich ist, eine große Erleichterung.

Klimaschutzgesetz gegen Solarförderung

Schließlich erzeugt der Verkehr, der weitestgehend auf fossilen Brennstoffen beruht, sehr viele CO2-Emissionen. Zugleich ist der Fortschritt durch neue Technologien noch sehr gering. Deshalb erpresst die FDP die anderen Regierungsparteien quasi. Nur wenn das Klimaschutzgesetz kommt, geben die Freien Demokraten die Zustimmung für die Solarförderung.

Es ist ein absurder Tauschhandel, der hinter den Kulissen in Berlin diskutiert wird. Und es ist genau diese Form der Mauschelei, die dafür sorgt, dass die demokratischen Parteien bei den Wählern immer mehr in Ungnade verfallen. Das hat nichts mehr mit dem Willen des Volkes zu tun.

Tempolimit als Lösung fürs Wissings Dilemma

Wie bereits zwischen den Zeilen angedeutet, ist es mehr der Untätigkeit Wissings denn den fehlenden Möglichkeiten geschuldet, dass in Deutschland überhaupt über ein Fahrverbot am Wochenende diskutiert wird. Schließlich hat das Umweltbundesamt schon seit dem Jahr 2018 ein Forschungsprojekt mit dem Titel „Flüssiger Verkehr für Klimaschutz und Luftreinhaltung“ am Laufen.

Die Erkenntnisse sind eindeutig: Sollte auf Autobahnen das Tempolimit 120 km/h eingeführt werden, werden im Jahr 6,7 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente eingespart, da durch das geringere Tempo auch mehr Personen auf Alternativen wie die Bahn umsteigen würden. Führt man zusätzlich noch außerorts Tempo 80 als Höchstgrenze ein, steigt die Ersparnis sogar auf 8,0 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente.

Mit einem relativ einfachen Schritt hätte Volker Wissing nicht nur seinem Jahresziel deutlich näher kommen können. Er hätte zudem ein Zeichen setzen können, dass es ein Freier Demokrat war, der den Klimawandel und die Zukunft unserer Erde über das Rasen auf deutschen Autobahnen gestellt hat.

Wo ist die Rechtsgrundlage für ein Fahrverbot am Wochenende?

Dieser Ruhm wäre jedoch einem Verkehrsminister nicht angemessen. Stattdessen pocht Wissing darauf, dass das fehlende Tempolimit als letzte Instanz in unserer sich stetig wandelnden Welt bleiben muss. Dass er sich damit selbst Probleme bereitet, ist ihm offensichtlich egal.

Achja: Und selbst wenn Volker Wissing den Plan verfolgen sollte, die CO2-Emissionen durch ein Fahrverbot am Wochenende einzusparen, bleibt ein Problem: Es gibt keine Rechtsgrundlage, die diesen schwerwiegenden Eingriff in die Grundrechte der Bürger rechtfertigen würde.

Ein etwaiger Vorschlag dazu müsste von Volker Wissing und dem Bundesverkehrsministerium selbst kommen. Und das wiederum ist dann doch sehr unwahrscheinlich, wenn bislang selbst naheliegende Lösungen wie Tempolimits einfach ignoriert werden.

Hinweis: Bei diesem Artikel handelt es sich um einen Kommentar. Das ist eine journalistische Darstellungsform, die explizit die Meinung des Autors und nicht des gesamten Magazins widerspiegelt. Der Kommentar erhebt keinen Anspruch auf Sachlichkeit, sondern soll die Meinungsbildung anregen und ist als Meinungsbeitrag durch Artikel 5 des Grundgesetzes geschützt.


hier  Focus  15.04.2024,Silke Kersting

Bericht des Expertenrats: Deutschland schafft historischen CO2-Rückgang, doch zwei Minister müssen nachsitzen

Bereits im März bescheinigte das Umweltbundesamt der Ampel-Regierung eine historisch große CO2-Ersparnis. Der sogenannte Expertenrat für Klimafragen hat diese Berechnung jetzt bestätigt - und hier wird es für die Ampel unangenehm. Denn der Expertenrat kann die Klima-Sünder unter den Ministern zum Nachsitzen verdonnern. Das sorgte schon im Vorfeld für Ärger.

Es sind Zahlen, die Volker Wissing nicht gefallen können. Um rund zehn Prozent ist der deutsche CO2-Ausstoß im Jahr 2023 zwar zurückgegangen, von 750 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten auf nunmehr 674 Millionen Tonnen. Das gab der sogenannte Expertenrat für Klimafragen der Bundesregierung am Montagvormittag bekannt - und bestätigte damit die Berechnungen des Umweltbundesamts (UBA) aus dem März. Der Rückgang sei vor allem auf die voranschreitende Energiewende zurückzuführen, aber auch auf die flaue wirtschaftliche Lage. 

Im Verkehrssektor, für den Wissing zuständig ist, sieht die Situation allerdings anders aus. Um 12,8 Millionen Tonnen CO2 überschritt der Verkehrsbereich im abgelaufenen Jahr seine CO2-Grenze. „Eindeutig“ sei die Verfehlung des Jahresziels, konstatierte Hans-Martin Henning, der Vorsitzende des Expertenrats. Zwar habe es eine kleine Einsparung im Vergleich zum Vorjahr gegeben, hatte der UBA im März festgestellt - allerdings eher aufgrund der wirtschaftlichen Lage und nicht wegen politischer Entscheidungen. So sei etwa das Aufkommen im Straßengüterverkehr zurückgegangen.

Doppeltes Nachsitzen

Für den FDP-Minister bedeutet das: Er muss nachsitzen. Denn die Zahlen des Expertenrats sind bindend. Wenn ein Sektor (also Verkehr oder Industrie oder Energie oder Gebäude) seine Ziele reißt, dann muss das zuständige Ministerium binnen drei Monaten in einem Sofortplan darlegen, wie es die Emissionen einzusparen gedenkt. Dazu ist es gemäß des Klimaschutzgesetzes verpflichtet. Der Expertenrat überprüft dann, ob die Pläne ausreichend und plausibel sind - oder nicht. Im Notfall muss das Ministerium dann eben nochmal nachsitzen. 

Nun muss also Wissings Haus bis Juli einen solchen Sofortplan vorlegen, der aufzeigt, wie die 12,8 Millionen Tonnen eingespart werden können. Gleiches gilt für das Bauministerium, das seine Ziele ebenfalls überschritten hat, allerdings wahrscheinlich nur knapp. 

Panischer Brief

Das letzte Sofortprogramm im Verkehrssektor stammt allerdings aus dem Jahr 2022. Das Ministerium hatte damals einen Klimaplan vorgelegt, der anstelle der gesetzlich vorgeschriebenen 275 Megatonnen CO2 bis zum Jahr 2030 lediglich Einsparungen von 14 Megatonnen vorsah. Das Sofortprogramm sei „schon im Ansatz ohne hinreichenden Anspruch“, hieß es damals in einer scharfen Stellungnahme des Expertenrats.

Im Jahr 2023 sparten sich das Verkehrsministerium und das SPD-geführte Bauministerium ihr Sofortprogramm sogar ganz: Die Ampel-Koalition hatte kurzerhand das Klimaschutzgesetz geändert, um sich dieser Pflicht zu entledigen, vor allem auf Drängen der FDP. Fortan sollte nur noch die Gesamtrechnung zählen, die einzelnen Sektorziele würden abgeschafft. Der Haken allerdings: Weil es vor allem in der Fraktion der Grünen großen Widerstand gegen diese Reform gibt, hat es das neue Gesetz noch immer nicht durch den Bundestag geschafft.  

In der FDP macht sich daher langsam Panik breit. Am Donnerstag hatte Wissing in einem Brief an die Ampel-Fraktionsspitzen vor schwerwiegenden Konsequenzen gewarnt, falls er bis Juli einen Sofortplan vorlegen müsste, sogar von Fahrverboten für die Deutschen an Samstagen und Sonntagen war die Rede. Anders seien die Klimaziele sonst nicht mehr zu erreichen, argumentiert der Verkehrsminister. Daher müsse die Reform des Klimaschutzgesetzes nun endlich verabschiedet werden. 

Ärger über „Schmierentheater“

Experten und viele Klimapolitiker sehen das anders. Die FDP veranstalte ein „Schmierentheater“, sagte der stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende Andreas Jung der „Stuttgarter Zeitung“ und den „Stuttgarter Nachrichten“. „Volker Wissing schürt Verunsicherung, um davon abzulenken, dass er seine Hausaufgaben beim Klimaschutz nicht macht.“ Das Klimaschutzgesetz verpflichte keineswegs zu Fahrverboten, „wohl aber zu Generationengerechtigkeit beim Klimaschutz“. 

„Die Lücke kann geschlossen werden, auch mit anderen Maßnahmen“, sagte der Mobilitätsexperte Thorsten Koska vom Wuppertal Institut am Wochenende dem Radiosender WDR 5. „Vor allem mit vielen kleinen Maßnahmen, die gut aufeinander abgestimmt sind, und nicht mit so einer Holzhammer-Maßnahme.“ Als Beispiel nannte Koska etwa die Einführung eines Tempolimits oder eine Reform der Kfz-Steuer, die den Kauf eines kleineren Fahrzeugs oder eines Elektroautos begünstigen. „Einige dieser Maßnahmen kosten Geld, aber manche sind auch kostenlos zu haben.“ 

Fahrverbote lehnen wir ab“, sagte auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) der „Bild“-Zeitung vom Montag. Er äußerte weiter die Erwartung, dass sich die Ampel-Koalition in dieser Woche nach langem Streit über die Reform des Klimaschutzgesetzes verständigen werde. Man arbeite hier „Hand in Hand an guten Lösungen“. Dabei gehe es auch darum, Strafzahlungen an die EU wegen Verstößen gegen Klimavorgaben zu vermeiden: Denn dort gelten die Sektorziele weiterhin. Und ein Verfehlen der Ziele im Verkehrssektor könnte Milliarden kosten. 

Verkehrssektor verfehlt Klimaziele – Wissing muss Sofortprogramm vorlegen

Der Expertenrat für Klimafragen bestätigt: Der Verkehr verursacht mehr Emissionen, als das Klimaschutzgesetz erlaubt. Das erhöht den Druck auf den Verkehrsminister – und auf die Kollegin in einem anderen Ressort.


hier  Zeit  15. April 2024, Quelle: dpa

Klimaschutzgesetz: Klima-Expertenrat äußert sich zum Treibhausgas-Ausstoß 2023

Vor dem Hintergrund der Warnung von Verkehrsminister Volker Wissing vor Wochenend-Fahrverboten legen Klima-Experten einen Bericht zu den deutschen Treibhausgas-Emissionen vor. Der heutige Termin hat rechtliche Bedeutung: Wenn Sektoren wie der Verkehrsbereich mehr ausstoßen als erlaubt, muss das zuständige Ministerium nach geltendem Gesetz binnen drei Monaten ein Sofortprogramm vorlegen, um gegenzusteuern.

Bundesverkehrsminister: "Dieses Gesetz ist überholt"

Mit diesem Argument hatte FDP-Politiker Wissing zuletzt Druck für eine zügige Reform des Klimaschutzgesetzes gemacht, die diese Pflicht abschaffen soll - und gedroht, dass andernfalls drastische Einschränkungen wie Fahrverbote für Autos mit Verbrennermotor nötig sein könnten......

Uneinigkeit bei der Reformierung

Die Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP will das zugrundeliegende Klimaschutzgesetz eigentlich reformieren. Damit wäre künftig stärker die Emissionsbilanz aller Wirtschaftsbereiche ausschlaggebend und nicht mehr einzelne Sektoren. Insbesondere die FDP dringt auf diese im Grundsatz bereits vereinbarte Reform, die Grünen fürchten eine Aufweichung des Klimaschutzes. Das Kabinett hatte die Novelle im vergangenen Juni auf den Weg gebracht, die Verhandlungen der Ampel-Fraktionen im Bundestag dazu ziehen sich aber in die Länge.

In dem Gesetz sind die Klimaschutzziele Deutschlands verbindlich geregelt. Es sieht in der aktuellen Fassung vor, dass die Emission von Treibhausgasen bis 2030 um 65 Prozent im Vergleich zu 1990 reduziert wird. Für einzelne Sektoren wie Industrie, Energiewirtschaft, Verkehr und Gebäude wurden zulässige Jahresemissionsmengen festgelegt.

Sollte das novellierte Klimaschutzgesetz bis zum Ablauf der Drei-Monats-Frist am 15. Juli nicht in Kraft getreten sein, müssten allein für den Verkehr rund 22 Millionen Tonnen sogenannte CO2-Äquivalente ad hoc zusätzlich eingespart werden - so jedenfalls die Warnung des Verkehrsministers. Das ist nach seiner Darstellung nur durch weitreichende Eingriffe wie Wochenend-Fahrverbote möglich. Diese Warnung hatte er letzte Woche in einem Brief an die Ampel-Fraktionsvorsitzenden formuliert.

FDP-Chef Lindner appellierte am Wochenende an die Grünen, die Reform des Klimaschutzgesetzes nicht zu blockieren. Sollten die Grünen ihre Blockade nicht aufgeben, wären in Deutschland «drakonische Freiheitseinschränkungen bis hin zu Fahrverboten für Verbrennungsmotoren» denkbar, sagte er. Koalitionspolitiker von Grünen und SPD sowie Verbände warfen Wissing Ablenkungsmanöver und Panikmache vor.


hier Tagesspiegel Von Felix Kiefer  16.4.24

Expertenrat fordert stärkere CO₂-Reduktion: Klimaschutzmaßnahmen im Verkehrs- und Gebäudesektor nicht ausreichend

Der deutsche Ausstoß an Treibhausgasen ist 2023 deutlich gesunken. Das bestätigt der Prüfbericht des Klima-Expertenrats. Er zeigt aber auch: Vor allem im Verkehrssektor muss die Ampel nachsteuern.

Die kurzzeitige Euphorie unmittelbar nach Verkündung der rekordartigen Senkung der Treibhausgase im vergangenen Jahr ist mittlerweile verflogen. Einen Monat später ist die Ampelkoalition im politischen Alltagszwist angekommen. Die FDP wirft den Grünen vor, die Reform des Klimaschutzgesetzes zu blockieren und warnt vor Fahrverboten und „drakonischen Freiheitseinschränkungen“. Die Grünen tun das als Panikmache ab und erneuern ihre Forderung nach einem Tempolimit.

Der Expertenrat für Klimafragen hat nun am Montag mit seinem Prüfbericht den großen Rückgang der Emissionen bestätigt, aber zugleich klar gemacht, dass beim Klimaschutz weiter Handlungsbedarf besteht. Das fünfköpfige unabhängige Gremium soll zum einen die CO₂-Projektionen des Umweltbundesamts prüfen sowie bewerten. Und zum anderen die Umsetzung des Klimaschutzprogramms sowie die für den Verkehrs- und Gebäudesektor erlassenen Sofortprogramme überwachen. Die vier wichtigsten Ergebnisse im Überblick:

Treibhausgas-Einsparung von 10 Prozent nachvollziehbar

Deutschland ist wieder „auf Kurs“, erklärte Klimaminister Robert Habeck nach Vorstellung der Treibhausgas-Projektion am 15. März. Mit 674 Millionen Tonnen hat Deutschland 2023 über zehn Prozent weniger Treibhausgase als im Vorjahr ausgestoßen, meldete das Umweltbundesamt. Die Klimaziele wurden erreicht.

Diese Berechnung kann auch der Expertenrat „grundsätzlich nachvollziehen“, teilte das Gremium am Montag mit. Damit bleibt es bei dem stärksten Rückgang der Emissionen innerhalb eines Jahres seit 1990. Vor allem im Bereich Energie (–20 Prozent) als auch der Industrie (–8 Prozent) sowie dem Gebäudesektor (ebenfalls –8 Prozent) sanken die Emissionen deutlich. Im Verkehrsbereich wurden die Ziele mit 12,8 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente erneut deutlich verfehlt.

Wirtschaftliche Lage und Produktionsrückgang trüben Ergebnisse

Ohne den Rückgang der energieintensiven Industrie und die erneut milde Witterung im Jahr 2023 hätten die Emissionen deutlich höher gelegen.Hans-Martin Henning, Vorsitzender des Expertenrates

Was der Expertenrat allerdings auch bestätigt sind die Gründe, die die Forschenden des Umweltbundesamtes für den Rückgang anführten. Dass im Energiesektor rund 52 Millionen Tonnen weniger Treibhausgase ausgestoßen wurden, liegt demnach vor allem daran, dass die energieintensive Industrie weniger Strom nachgefragt hatte. Infolge der schlechten Auftrags- und Konjunkturlage produzierten die Unternehmen schlichtweg weniger. Auch im Gebäudebereich war die Einsparung um acht Millionen Tonnen nicht politisch, sondern witterungsbedingt.

„Ohne den Rückgang der energieintensiven Industrie und die erneut milde Witterung im Jahr 2023 hätten die Emissionen deutlich höher gelegen“, stellte Hans-Martin Henning fest. Der Vorsitzende des Expertenrates sagte zudem, dass das für alle Sektoren aggregierte Jahresziel „vermutlich nicht erreicht worden wäre“.

Weitere Finanzierung für Klimaschutz unter Druck

Ein Risiko für die Einsparung von CO₂ in der Zukunft sieht das Expertengremium im Bereich der Finanzierung. Seitdem das Klimaschutzprogramm im Sommer des Jahres 2023 beschlossen wurde, hat sich die Finanzierungslage im Haushalt deutlich eingetrübt. Der Klima- und Transformationsfonds wurde nach dem Verfassungsgerichtsurteil zusammengestutzt. In der Folge musste gespart werden – auch beim Klimaschutz.

Vor allem im Verkehrssektor bleibt eine erhebliche Erfüllungslücke bis 2030.

Brigitte Knopf, Co-Vorsitzende des Expertenrats

Dass die ursprünglich anvisierte Minderung der Emissionen angesichts dessen in Gänze realisierbar bleibt, bezweifelt der Expertenrat. Vor allem, weil „fast die Hälfte der Maßnahmen des Klimaschutzprogramms fiskalischer Natur sind“, sagte die Co-Vorsitzende des Gremiums, Brigitte Knopf. Da der Bund zum Beispiel bei der Förderung effizienter Gebäude mit rund zwei Milliarden Euro weniger gegenüber dem ursprünglichen Haushaltsentwurfs 2024 auskommen muss, können rund 72 Millionen Tonnen weniger Treibhausgase eingespart werden. Das gilt etwa auch für Kürzungen bei der Bahn oder dem Ladesäulenausbau.

Umsetzung stockt: Verkehr und Gebäude bleiben Sorgenkinder

Dabei ist vor allem der Verkehrssektor das weitaus größte Sorgenkind auf dem steilen Weg zur Klimaneutralität. Zwar gingen die Emissionen im Straßengüterverkehr 2023 zurück (erneut: wegen der schwachen Wirtschaftslage), doch der Pkw-Verkehr und damit die Klimaschutzlücke wachsen weiter. Auch der Gebäudesektor hat 2023 seine Klimaziele nicht erreicht - allerdings nur um eine Megatonne. Da die Emissionsdaten eine „erhebliche Unsicherheit“ aufweisen, will der Expertenrat nicht ausschließen, dass der Gebäudesektor die Ziele doch eingehalten hat.

Wie auch im letzten Jahr kommt das Expertengremium zum Entschluss, dass der Verkehrs- und der Gebäudesektor Sofortprogramme vorlegen müssen. Die bisher in den Klimaschutzprogramm der Bundesregierung vorgelegten Maßnahmen reichen nicht aus. „Vor allem im Verkehrssektor bleibt eine erhebliche Erfüllungslücke bis 2030“, sagte Knopf. Laut Umweltbundesamt liegt die Lücke bei 180 Megatonnen.

Wenn Sektoren wie der Verkehrsbereich mehr ausstoßen als erlaubt, muss das zuständige Ministerium nach geltendem Gesetz binnen drei Monaten ein Sofortprogramm vorlegen, um gegenzusteuern. In der Folge müssten entweder die Grünen ihre Blockade beim Klimaschutzgesetz im Bundestag aufgeben und zulassen, dass Fortschritte beim Klimaschutz unter den verschiedenen Sektoren verrechnet werden könnten. Oder die Bundesregierung, allen voran Verkehrsminister Volker Wissing, müsste ambitioniertere – aber realistische – Maßnahmen zur Einsparung von Treibhausgasen vorlegen.

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