Nachhaltigkeit in Hollywood: Warum Brad Pitt jetzt im Zug kämpft
Hollywood hat die Klimakrise als Thema entdeckt. Doch die Produktion eines Blockbusters erzeugt einen enormen CO₂-Fußbabdruck. Wie passt das zusammen?
Man könnte ja mal überlegen, was für ein Film "Bullet Train" vor 20 Jahren gewesen wäre. In der 2022-Version gibt Brad Pitt einen Gauner auf Selbstfindungstrip, der im Schnellzug zwischen Tokio und Kyoto Bösewichte erledigt, Ober-Halunkin ist ein Mädchen mit Vaterkomplex. 2002 wäre der Held wohl eher ein zynischer Alkoholiker gewesen, geschieden, Militärvergangenheit, sein Endgegner ein Terrorist. Auch die Auftraggeberin, in "Bullet Train" von Sandra Bullock verkörpert, wäre wohl männlich. Und, wichtig: Der Handlungsort wäre kein Zug, sondern ein Flugzeug gewesen; der Ort des Grauens nach dem 11. September 2001.
Filme und Serien sind immer Dokumente ihrer Zeit, man denke nur mal an die Entwicklung des Frauenbilds bei James Bond oder wie Singles in Sitcoms der vergangenen 50 Jahre gezeigt wurden. "Bullet Train" ist ein Karacho-Krawall-Knaller, und doch steckt diese Botschaft über nachhaltigen Transport darin und damit auch ein Kommentar zur Klimakrise.
Andere aktuelle Produktionen halten es ähnlich: Im Spiderman-Abenteuer "No Way Home" und in der Neuauflage des Horrorfilms "Scream" sind nur Elektroautos zu sehen, bei der Produktion der Facebook-Watch-Serie "Sacred Lies" wurden ausschließlich digitale Drehbücher verwendet und so angeblich 176 000 Seiten Papier gespart. Der Film "Think Like a Man" war die erste Studioproduktion, die nur mit LED-Sparlampen beleuchtet wurde; bei den Dreharbeiten zur HBO-Serie "Raised by Wolves" gab es keine Plastikflaschen und bei "Jurassic World" kein Rindfleisch beim Catering.
Hollywood hat den Umweltschutz für sich entdeckt - auf zwei Ebenen, wie Filmemacher Scott Z. Burns sagt, der vor 16 Jahren an der Klimakrise-Dokumentation "An Inconvenient Truth" mit dem einstigen US-Vizepräsidenten Al Gore beteiligt war und nun für die Klimakrise-Anthologie "Extrapolations" mit Meryl Streep und Sienna Miller verantwortlich ist: "Es gibt die Geschichten, die Hollywood erzählt; und es gibt den Aspekt, wie Hollywood funktioniert."
"Der Klimawandel ist die größte Geschichte der letzten 66 Millionen Jahre"
Also, zuerst die Geschichten. "Der Klimawandel ist die größte Geschichte der letzten 66 Millionen Jahre", sagt Adam McKay. In seiner Netflix-Satire "Don't Look Up" geht es nur vordergründig um einen Kometen auf Kollisionskurs mit der Erde, sie zeigt vor allem, wie ignorant der Mensch mit existenziellen Bedrohungen wie der Klimakrise umgeht. Der Regisseur ist nicht zufällig Vorstand des "Climate Emergency Fund", der in Deutschland in die Schlagzeilen geriet, weil er Aktionen der "Letzten Generation" finanzierte. "Wir haben gesehen, dass der Film für Diskussionen und Proteste gesorgt hat, damit Regierungen endlich aufwachen", sagt McKay: "Aber letztlich ist das nur ein Film; es gibt viel mehr zu tun."
McKay ist auch Mitglied von "Good Energy", einer Non-Profit-Organisation, die sich darum bemüht, Klimawandel als Thema in Filmen und Serien zu verankern. So wie der Bechdel-Test seit mehr als 30 Jahren Filme und Serien auf die Stereotypisierung weiblicher Figuren überprüft (Gibt es mindestens zwei Frauenrollen? Sprechen diese Figuren miteinander? Unterhalten sie sich über etwas anderes als einen Mann?), so analysiert "Good Energy" gemeinsam mit der Filmfakultät der University of Southern California Drehbücher dahingehend, ob der Klimawandel thematisiert wird. Das Ergebnis für die Jahre 2016 bis 2020, die Präsidentschaftsjahre von Donald Trump: Nur auf 2,8 Prozent der mehr als 37 000 überprüften Drehbücher traf das zu.
Es gibt deshalb das sogenannte Playbook for Screenwriting in the Age of Climate Change - eine Anleitung für Drehbuch-Autorinnen und -Autoren: Der Protagonist kauft dann keinen Benziner, sondern ein Elektroauto. Die Tochter in der Familien-Sitcom ist keine Cheerleaderin, sondern in der Aktionsgruppe für Nachhaltigkeit. Die junge Frau in der Weihnachtsromanze arbeitet nicht im Marketing einer Modefirma, sondern bei einem Start-up, das Sneakers aus Plastikmüll fertigt. Oder jemand kriegt im Café keinen Wegwerf-Plastikbecher, sondern hat selbst einen dabei. "Es geht darum, dass die Zuschauer erkennen, dass sich Figuren, mit denen sie fühlen, um ähnliche Dinge sorgen wie sie selbst", sagt "Good-Energy"-Gründerin Anna Jane Joyner.
Aber spiegelt die Branche damit wirklich eine Lebensrealität wider oder ist das purer Aktivismus? Es gibt ja den Vorwurf, Hollywood sei eine linke, grüne Blase, deren Stars bei Award-Shows vom frisch gebügelten roten Teppich aus Botschaften an eine Welt senden, mit der sie überhaupt nichts zu tun haben. Es gibt allerdings auch Gegenbeispiele: So qualmte Carrie Bradshaw in der 2021-Version von "Sex and the City", obwohl sie eigentlich aufgehört hatte. Einer Studie des US-Gesundheitsministeriums zufolge ist Rauchen in Filmen zwischen 2010 und 2018 um 57 Prozent gestiegen, obwohl der Anteil der Raucher in den USA im gleichen Zeitraum von 19,3 auf 13,7 Prozent gesunken ist. Womöglich war Bradshaws Zigarette also vor allem Product-Placement, die Tabakindustrie (obwohl doch alle auf gesund machen in Hollywood) investiert noch immer ordentlich.
Der CO₂-Fußabdruck eines Superhelden-Blockbusters beträgt bis zu 3370 Tonnen
"Storytelling ist für uns nach wie vor das bedeutsamste Werkzeug, um die Gesellschaft zu beeinflussen", sagt Scott Z. Burns: "Es ist aber auch wichtig, dass wir diesem Anspruch auch selbst gerecht werden; und genau darauf achten, wie wir produzieren." Also: Wer Wasser predigt, sollte selbst lieber auch nur Wasser trinken. Aber funktioniert das auch?
Ein paar Zahlen der "Sustainable Production Alliance", der Hollywood-Platzhirsche wie Disney, Warner Bros., Amazon, Paramount, Netflix, Sony und Fox angehören: Der CO₂-Fußabdruck eines sogenannten Tentpole-Films - Superhelden-Blockbuster zum Beispiel - in den Jahren 2016 bis 2019 betrug 3370 Tonnen. Die einstündige Folge einer Drama-Serie: 77 Tonnen, bei 24 Folgen pro Staffel sind das etwa 1848 Tonnen. Eine halbstündige Sitcom: 26 Tonnen pro Folge. Der Fußabdruck eines typischen US-Haushalts einer Studie der University of Michigan im Jahr 2021 zum Vergleich: 48 Tonnen.
Es sind Zahlen, die niemanden verwundern, der mit dem Arbeitsalltag in Hollywood vertraut ist: Da gibt es die Produzentin, die ganz selbstverständlich mit einem Team von Los Angeles nach Südafrika geflogen ist, um dort nach geeigneten Drehorten zu suchen. An der Küste bei Los Angeles wurde eine Mini-Stadt aufgebaut (und alles per Lastwagen dorthin gebracht), um ein paar Szenen zu drehen, die dann für weniger als eine Minute in einer Sitcom zu sehen waren. Und noch immer werden Stars per Privatjet zu Interviews und Award-Shows geflogen.
Wer sich derzeit umsieht in Hollywood, der bemerkt allerdings auch Veränderungen: die Solarpanels auf den Gebäuden des Sony-Geländes. Die Netflix-Drehbuch-Software, die für einen nachhaltigeren Ablauf von Dreharbeiten sorgt. Das Mini-Kraftwerk auf dem Paramount-Gelände, dessen Turbinen den CO₂-Fußabdruck insgesamt um 40 Millionen Tonnen pro Jahr reduzieren sollen. Die Füllstationen für Trinkwasser bei Dreharbeiten zu "Top Gun: Maverick", weswegen es keine einzige Plastikflasche gab (geplant waren 35 000). Die Kompostanlage bei Disney, aus der sich Mitarbeiter für den eigenen Garten bedienen können. Die LED-Bildschirme bei der Produktion der Star-Wars-Serie; die "The Volume" genannten digitalen Drehorte sollen den CO₂-Fußabdruck um etwa 30 Tonnen pro Set reduzieren.
All diese Veränderungen sind Teil einer größeren Initiative, zu der sich die wichtigsten Produzenten zusammengeschlossen haben, auch wenn sie natürlich weiterhin miteinander konkurrieren. "Es ist in Hollywood nun mal so, dass man heute für dieses Studio arbeitet und morgen für ein anderes; es brauchte deshalb eine gemeinsame Initiative", sagt Jennifer Lynch über die "Sustainable Production Alliance". Sie ist bei Paramount zuständig für Nachhaltigkeit und hat die Ziele des Zusammenschlusses mitformuliert: Bis 2030 will Disney klimaneutral sein, NBC-Universal bis 2035; Netflix könnte es schon in diesem Jahr geschafft haben. Sony will bis 2030 seinen kompletten Strom aus erneuerbaren Energien beziehen; Amazon will das bereits in drei Jahren erreicht haben.
Es gibt eine Zusammenarbeit beim Transport mit E-Fahrzeugen, man forscht gemeinsam nach klima-effizienter Beleuchtung, verzichtet auf das Drucken von Produktionsplänen, designt nachhaltige Kulissen und Kostüme. Was den Produktionsfirmen dabei aufgefallen ist, und darauf reagieren sie nun mal am sensibelsten in Hollywood: Sie haben bemerkt, dass sie Geld sparen, wenn sie Füllstationen statt Plastikflaschen verwenden und Drehbücher nach Gemeinsamkeiten bei Kulissen durchsuchen. Das große Problem ist und bleibt allerdings die Logistik. Es ist nun mal ein gewaltiger Aufwand, Drehorte zu errichten, alles dorthin zu transportieren und vor Ort Strom zu generieren.
"Bullet Train", der Film mit Brad Pitt in einem japanischen Hochgeschwindigkeitszug, kam im August 2022 in die Kinos, in Kalifornien entspann sich daraufhin eine politisch-gesellschaftliche Debatte: Warum gibt es diesen Luxus-High-Speed-Elektrozug eigentlich in Japan und nicht zwischen Los Angeles und San Francisco? Die Überschrift in der New York Times darüber, dass die Kalifornier das nicht hinkriegen: "Wie der Bullet Train entgleiste".
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