Donnerstag, 11. April 2024

"Wir finden Mikroplastik im menschlichen Gehirn"

EASAC  hier   28.02.2024

Das 21. Jahrhundert wird wahrscheinlich als das "Plastikzeitalter" in die Geschichte eingehen. Bis 2060 soll die jährliche Kunststoffproduktion nach Schätzungen der OECD eine Milliarde Tonnen erreichen. Die Vereinten Nationen arbeiten an einem internationalen Vertrag, um die Verschmutzung durch Plastikmüll zu begrenzen. In diesem Interview spricht Michael Norton, Leiter des Umweltprogramms der EASAC, über den Maßnahmenmix zur Bekämpfung von Plastikmüll, politischen Gegenwind und seine Erwartungen an das Kunststoffabkommen.



Was macht Kunststoffe zu einem solchen Problem?

Norton: Für viele Arten von Abfällen, wie Papier oder organische Abfälle, gibt es einen natürlichen Abbauweg. Bei Plastik ist das anders. Das Material zerfällt in kleine Stücke, wenn es ultraviolettem Sonnenlicht ausgesetzt wird, aber die Lebensdauer des Materials ist praktisch unbegrenzt. Größere Plastikmüllstücke haben offensichtliche Auswirkungen auf lebende Organismen, es gibt Stapel von Fotos von Meeresschildkröten, die sich tödlich in Plastikmüll verfangen haben, oder Fischen, die sterben, weil sie Plastikteile verschluckt haben. Die Menschen essen zwar keine Plastiktüten, aber Mikro- und Nanoplastik sind mittlerweile überall. Wir finden sie im Nebel am Mount Fuji in Japan, in der Tiefsee und sogar in der Antarktis. Das Material gelangt in die Nahrungskette und gelangt über die Luft und das Trinkwasser zum Menschen, der es ebenfalls aufnimmt.

Was sind die gesundheitlichen Auswirkungen?

Norton: Wie gravierend das Problem ist, lässt sich derzeit nicht abschätzen, da es noch keine Daten gibt. Aber wir finden Mikroplastik im menschlichen Gehirn oder in der Plazenta von Schwangeren: Es gibt kein Entrinnen. Wir können die Wege von Mikroplastik durch das Ökosystem verstehen, aber die Auswirkungen sind noch nicht verstanden. In jedem Fall sollten wir dem Vorsorgeprinzip folgen und versuchen, die Ausbreitung einzudämmen, bevor mögliche negative Auswirkungen auf die Gesundheit nachgewiesen werden. Die Menge an produziertem Plastik wird sich bis 2060 verdreifachen, wenn wir so weitermachen wie bisher. Das wollen wir als Wissenschaftler um jeden Preis verhindern.

Welche konkreten Vorschläge empfiehlt die EASAC?

Norton: Wir brauchen einen systemischen Ansatz, der an mehreren Fronten gleichzeitig wirken kann. Die Reduzierung der Produktion ist bei nicht recycelbaren Kunststoffprodukten von entscheidender Bedeutung. So lassen sich beispielsweise die Folienverpackungen für viele Lebensmittel und andere Produkte nicht wirtschaftlich recyceln. Das Sammeln von Kunststoffen zur Wiederverwendung, zum Recycling und zur Entsorgung ist ein weiteres wichtiges Thema. Die Geschäfte können zur Rechenschaft gezogen werden und sollten die Verantwortung für die Rücknahme von Plastik teilen. Kaffeebecher aus Plastik und ähnliche Einwegbehälter sollten wiederverwendbar oder zumindest recycelbar gemacht werden. Für offensichtliche Problemprodukte wie diese sollte ein System zur Wiederverwendung oder Entsorgung für den Einzelhandel obligatorisch sein. Es spricht auch nichts dagegen, die guten alten Tassen nach Möglichkeit mit Untersetzern zu verwenden.

Das Interview führte Markus Kessler.

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