Freitag, 26. April 2024

Annalena Baerbock verdient Anerkennung

 hier  Zeit Fünf vor 8:00 /Eine Kolumne von Jörg Lau  25. April 2024

Israels Regierung versucht mithilfe eines Leaks, die deutsche Außenministerin als naiv zu diskreditieren. Dabei war ihre Kritik hinter verschlossenen Türen angemessen.

Nach dem siebten Besuch der deutschen Außenministerin im Nahen Osten seit Kriegsbeginn hat es mächtig gerumst. Ein israelischer Sender berichtete letzte Woche von einem heftigen Streit zwischen Annalena Baerbock und Benjamin Netanjahu hinter verschlossenen Türen. Der Bericht enthielt so viele Details, dass sofort klar war: Jemand aus dem Umfeld des israelischen Premiers musste die Informationen durchgestochen haben.

Der deutsche Botschafter in Israel, Steffen Seibert, protestierte und erklärte den Bericht für verzerrend. Dass es Streit gegeben habe, dementierte er nicht. Verständlich, dass Seibert sich über den schlechten Stil der israelischen Regierung beschwerte. So geht man nicht mit Freunden um, die ohne Rücksicht auf die eigene Reputation seit Monaten an der Seite Israels stehen.

Mir geht es allerdings anders mit der Nachricht über den Clash hinter geschlossenen Türen. Ich finde es richtig, dass die deutsche Außenministerin eine Korrektur der deutschen Israel-Politik vornimmt – und dass sie sich dabei nicht von einem Bully wie Benjamin Netanjahu einschüchtern lässt. Das war längst überfällig.
Was genau sich abgespielt hat, wird man wohl nie erfahren

Der Streit hat sich offenbar um die humanitäre Lage in Gaza gedreht. Baerbock hatte Netanjahu gedrängt, die Versorgung der Bevölkerung zu verbessern. Daraufhin hat Netanjahu im Gespräch angeblich behauptet, es gebe keinen Hunger in Gaza, und auf Fotos von Märkten voller Nahrungsmittel verwiesen. Baerbock, so die durchgestochenen Informationen, habe ihm davon abgeraten, solche irreführenden Informationen zu verbreiten – worauf Netanjahu wiederum entgegnet habe, die Fotos seien echt. Israel zeige nicht wie die Nazis eine erfundene Realität (wie etwa in NS-Propagandafilmen aus dem Warschauer Ghetto).

Baerbock ließ sich nach den israelischen Berichten von der NS-Anspielung nicht irritieren, hielt weiter dagegen und bot Netanjahu an, ihm Fotos von hungernden Kindern aus Gaza zu zeigen. Die Ärzte und die internationalen Medien lögen nicht über die Lage der Zivilbevölkerung dort, soll sie gesagt haben.

Was genau sich abgespielt hat, wird man wohl nie erfahren. Fest steht aber: Das Leak verfolgt einen durchschaubaren Zweck. Baerbocks Ruf soll beschädigt, die Ministerin als unerfahren und unprofessionell hingestellt werden.

Und tatsächlich gibt es ja schon eine reiche Folklore an Versprechern und Ausrutschern der Außenministerin – wie etwa die Äußerung, die Europäer befänden sich "im Krieg" mit Russland (nicht zutreffend), oder die Charakterisierung von Xi Jinping als "Diktator" (zutreffend, aber man sagt's besser nicht öffentlich). Die Bild-Zeitung machte die "Enthüllung" über den Streit denn auch groß auf und bashte Baerbock als Undiplomatin. Die Kampagne läuft allerdings ins Leere. Es ist ziemlich selbstschädigend, dass diese israelische Regierung ausgerechnet Deutschland bloßzustellen versucht.

Treten wir einen Schritt zurück. Die Bundesregierung hat sich (wie die gesamte Opposition) sofort nach dem Hamas-Massaker klar an die Seite Israels gestellt. Und das nicht nur mit Worten: Die deutschen Waffenlieferungen an Israel nahmen im letzten Jahr sprunghaft zu. Deutschland intervenierte gegen Südafrikas Genozidklage in Den Haag und wurde im Gegenzug von Nicaragua wegen der Unterstützung Israels der Beihilfe zum Völkermord angeklagt – ein denkwürdiger Moment in der Geschichte der berühmten deutschen Staatsräson.

Die rücksichtslose Kriegführung Israels in Gaza zwingt zu einer Neubewertung dieser kryptischen Formel, die der deutschen Israel-Politik zugrunde liegt. Denn was politisch daraus folgt, dass die "gesicherte Existenz Israels" Teil der deutschen Staatsräson sei, ist durch diesen Krieg und seine Folgen so fraglich wie noch nie. Es ist das eine, den Kampf gegen die Hamas bis zu deren Zerschlagung zu unterstützen. Die Hamas trägt die Verantwortung für den Ausbruch des Krieges, und sie trägt ebenfalls die Verantwortung für zahlreiche getötete Zivilisten, hinter (beziehungsweise unter) denen sie sich versteckt.

Doch Netanjahu hintertreibt seit Jahren ganz offen jede politische Perspektive für die Palästinenser, auch für jene, die nichts mit der Hamas zu tun haben. Er wirbt geradezu damit, die Aussicht auf "zwei Staaten für zwei Völker" zu torpedieren. Die israelische Rechte forciert unter seiner Führung Siedlungsaktivitäten und Repressionen in den Palästinensergebieten. Der Umbau des israelischen Rechtsstaats, den Netanjahu vor dem Krieg betrieb, hat auch den Zweck, die letzten juristischen Widerstände gegen das Siedlungsprojekt abzuräumen. Netanjahus Duldung (und indirekte Förderung, auf dem Weg über Katar) der Hamas vor dem Krieg schließlich hatte ebenfalls den Sinn, einen palästinensischen Staat zu verhindern – weil die Hamas als Beleg dient, dass man "keinen Partner für den Frieden" habe.

Diese vollkommen gescheiterte Politik hat einen Anteil an der Katastrophe. Netanjahu, der sich als Sicherheitsgarant gibt, hat Israel unsicherer gemacht, ja in eine existenzielle Krise geführt.

Es ist die Sache der israelischen Bürger, von Benjamin Netanjahu, dem schlechtesten Regierungschef in der Geschichte Israels, Rechenschaft dafür zu fordern. Aber eine deutsche Regierung, die ihr Engagement für Israel ernst nimmt, muss diesem Mann entgegentreten, mindestens hinter geschlossenen Türen. Annalena Baerbock hat das getan, und dafür verdient sie Anerkennung.



Hintergrund zum Thema Netanjahu

NTV hier 22.01.2024

"Er hat die Hamas aufgebaut"Ex-Premier Olmert sagt Netanjahus Untergang voraus

In seiner Amtszeit schlägt Israels Ex-Premier Olmert eine umfassende Zweistaatenlösung vor und scheitert am Nein der Palästinenser. Nun will er an den Plan von damals anknüpfen. Nachfolger Netanjahu wirft er vor, die Hamas gestärkt zu haben, um Friedensverhandlungen zu vermeiden.
Der frühere israelische Ministerpräsident Ehud Olmert hat seinem Nachfolger Benjamin Netanjahu vorgeworfen, die Hamas bewusst gestärkt zu haben. "Der kontinuierliche und konsequente Aufbau der Hamas war eine kalkulierte Strategie von Netanjahu", sagte Olmert in einem Interview mit dem "Spiegel".

Videos belasten Truppenteile Israel: Greifen gegen eigene Soldaten durch
Olmert sagte Netanjahu ein baldiges politisches Ende voraus. "Die Verbitterung und Enttäuschung werden sich zu einer Wut aufstauen, die wie ein Vulkan ausbrechen wird." Anstelle von Netanjahu brauche Israel einen politischen Anführer, der bereit sei, sich unbeliebt zu machen, sagte Olmert. "Man kann die Geschichte nicht ändern, ohne das Risiko einzugehen, sich unbeliebt zu machen."
Um den Nahost-Konflikt zu lösen, schlug Israels Ex-Premier die Entsendung von amerikanischen und europäischen Soldaten in den Gazastreifen vor. "Wir brauchen die Europäer und die Amerikaner, um eine militärische Eingreiftruppe für die Übergangszeit nach Gaza zu schicken, weil die Araber und die Palästinenser nicht kommen werden und wir, Israel, nicht dort bleiben sollten", sagte der 78-Jährige weiter.

Um die Amerikaner und die Europäer zu überzeugen, müsse Israel einen politischen Horizont aufzeigen. "Unmittelbar nach der Militäraktion sollten wir mit den Verhandlungen über eine Zweistaatenlösung beginnen." Olmert hatte in seiner Regierungszeit dem bereits damals regierenden Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde Mahmoud Abbas einen weitreichenden Plan für eine Zweistaatenlösung vorgeschlagen. Abbas hatte ihn damals abgelehnt.

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