Mittwoch, 10. April 2024

Gescheiterte Klimaklagen: Richter entscheiden nach veralteten Regeln – das muss sich endlich ändern

Spiegel hier  Ein Kommentar von Susanne Götze  09.04.2024

Die Klimakrise kennt keine nationalen Grenzen, Gerichte leider schon. Das Urteil zu einer abgewiesenen Klage zeigt, dass die Richter die neue Realität anerkennen – und auch so handeln müssen.

Die Klimakrise ist ein globales Problem. Das gilt für ihre Ursachen wie für ihre Folgen. Seit Generationen tragen Unternehmen, Staaten und Bürgerinnen und Bürger überall auf der Welt dazu bei, dass die Menge Treibhausgase in der Atmosphäre viel zu schnell ansteigt. Der Planet erwärmt sich. Starkregen, Stürme, Hitzewellen nehmen überall zu – in Australien ebenso wie in Kanada oder Deutschland.

Die Klimakrise ist grenzüberschreitend, international, universal. Und genau das ist die Krux: Mitnichten haben alle in gleichem Maße zu ihrer Entstehung beigetragen, mitnichten haben sie die gleichen Möglichkeiten sie einzudämmen, und mitnichten sind sie in gleichem Maße von den Folgen betroffen. Der Kampf gegen die Klimakrise ist ein Kampf um Gerechtigkeit.

Weltweit ziehen Tausende Menschen vor Gerichte, um zu klären, wer welche Verantwortung trägt und wer geschützt werden muss. National war das schon erfolgreich, etwa in Deutschland mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts für strengere Klimaziele 2021. Schweizer Klimaschützer hatten nun am Dienstag mit einer ersten Klage für schärfere Maßnahmen gegen den Klimawandel vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Erfolg. Allerdings bezog sich ihre Klage nur auf ihre eigene Regierung. Das ist erfreulich, aber kein Durchbruch.

Nationales Denken ist in der Klimakrise nicht mehr zeitgemäß

Spannend wird es erst, wenn es um grenzüberschreitende Verantwortung geht. So wurde eine wegweisende Klage von sechs portugiesischen Jugendlichen von denselben Richtern des EGMR am Dienstag abgewiesen – nach sieben Jahren. Und das nicht, weil sie die Folgen des Klimawandels auf Menschenrechte nicht anerkennen, sondern weil die Jugendlichen mehrere Länder gleichzeitig verklagt hatten – und nicht nur ihre eigene Regierung:

Die portugiesischen Kläger erlebten 2017 einen verheerenden Waldbrand, bei dem Hunderte Menschen verletzt wurden und mehr als 120 ums Leben kamen. Sie klagten jedoch nicht nur gegen ihr eigenes Land, sondern gegen 32 Industrienationen – alle EU-Länder sowie Norwegen, die Schweiz, die Türkei, Großbritannien und Russland. Das Gericht sollte bestätigen, dass die laxe Klimapolitik aller Regierungen ihre Menschenrechte gefährdet.

»Der Versuch, diese internationalen Täter-Opfer-Beziehungen anzuerkennen,
ist mit dem Urteil gescheitert«

Die Klage scheiterte, weil das Gericht »keinen Grund für die Ausweitung der extraterritorialen Gerichtsbarkeit« aller verklagten Staaten außer Portugals sah. Die Kläger hätten sich also erst in Portugal durch alle Instanzen klagen müssen, bevor sie auch andere Länder in die Verantwortung nehmen. Das ahnten Experten bereits, hofften dennoch, dass Richterinnen und Richter ausgetretene Pfade verlassen.

Der Gerichtshof werde den Realitäten der Klimakrise nicht gerecht, kritisierte etwa die Juristin Miriam Saage-Maaß nach dem Urteil. Die Staaten müssten für extraterritoriale Effekte des Klimawandels Verantwortung übernehmen. Das Urteil ist schlicht nicht mehr zeitgemäß.

Juristisch heikel: Internationale Täter-Opfer-Beziehungen in der Klimakrise

Das Problem haben aber nicht nur die portugiesischen Jugendlichen. In vielen Klimaklagen stellt sich seit Jahren die Frage, wie man nachweisen kann, dass eines oder mehrere Länder oder Unternehmen für die Folgen der Klimakrise an einem ganz anderen Ort verantwortlich sind.

So klagt etwa ein peruanischer Kleinbauer gegen das Energieunternehmen RWE, weil es mit verantwortlich dafür sei, dass sein Dorf potenziell überschwemmt wird. Bewohner der indonesischen Insel Pulau Pari gehen gegen den Schweizer Zementkonzern Holcim vor, der ihrer Ansicht nach eine Mitschuld am steigenden Meeresspiegel trägt. Und der Inselstaat Vanuatu will die Verantwortung der Industrieländer dafür vor dem Internationalen Gerichtshof einklagen.

Der Versuch, die internationalen Täter-Opfer-Beziehungen anzuerkennen, ist mit dem Urteil des EGMR gescheitert, den erhofften Präzedenzfall gibt es nicht. Der Erfolg in der Schweiz dürfte die Klimaklagenbewegung aber weiter ermutigen, die Gerichte im Kampf für mehr Klimaschutz zu nutzen. Irgendwann – das ist sicher – muss sich die Justiz der neuen Realität stellen. 


Stern hier  von Christine Leitner  09.04.2024

Weltweit wurden mehr als 2000 Klimaklagen eingereicht: Wo es bereits Erfolge gab

In mehreren Ländern hat der Klimaschutz Verfassungsrang, etwa in Deutschland. Trotzdem werden Klimaziele weiter verfehlt, und dagegen wird geklagt. Ein Überblick über die Klima-Klagewelle.

2018: Beginn der Klimaklagen in Deutschland

Mit ihm und der Kollegin und Anwältin Franziska Heß fing es in Deutschland an, das große Klagen auf mehr Klimaschutz. 2018 zog Felix Ekardt mit seiner Mitstreiterin, dem BUND und dem Solarenergie-Förderverein Deutschland (SFV) vor das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe; weil sich die Regierung nicht geug für das Klima engagiere. Am 9. Oktober 2019 verabschiedete die Groko das Bundes-Klimaschutzgesetz.

2021: Bundesverfassungsgericht fällt wegweisendes Klimaurteil

Für Klimaaktivisten ging die Entscheidung der Groko nicht weit genug. In den Jahren darauf zogen verschiedene Gruppen und Organisationen vor das Bundesverfassungsgericht. Führend war dabei die Bewegung Fridays for Future. Sie verklagte die Bundesregierung wegen klimapolitischer Versäumnisse. 2021 entschied das Verfassungsgericht zugunsten der Aktivisten: Der Staat ist laut Grundgesetz dazu verpflichtet, das "Recht auf eine lebenswerte Zukunft" künftiger Generationen zu sichern. Der Klimaschutz hat damit Verfassungsrang. Die Bundesregierung musste ihr Klimaschutzgesetz nachbessern. "Weltweit war das die am meisten beachtete Klimaklage", sagte Jurist Ekardt im Interview mit dem stern.

2023: BUND verklagt die Bundesregierung

Mit dem Klimaschutzgesetz hat sich die deutsche Regierung dazu verpflichtet, den bundesweiten Emissionsausstoß bis 2030 im Vergleich zu 1990 um 65 Prozent zu senken. Allerdings wurden die die dafür festgelegten Jahresemissionsmengen im Gebäude- und Verkehrsbereich überschritten. Laut Gesetz muss die Bundesregierung dafür Sofortprogramme beschließen, doch die reichen laut Klimaexperten nicht aus. Deshalb hat der BUND die Bundesregierung im Januar vor dem Oberverwaltungsgericht in Berlin-Brandenburg verklagt. Das Urteil steht noch aus.

2018: Klimaklage vor dem Europäischen Gerichtshof

Vor Gericht waren sie zwar weniger erfolgreich, dafür gab es politische Veränderugen: 2018 zogen Familien aus Europa, Kenia und Fidschi zusammen mit einem samischen Jugendverband vor den Europäischen Gerichtshof. Sie alle waren vom Klimawandel betroffen und wollten den Schutz ihrer Grundrechte einklagen. Zudem forderten sie den Gesetzgeber dazu auf, die europäischen Klimaziele entsprechend anzupassen. Zwar wurde die Klage in erster Instanz abgewiesen – dafür passte die EU ihre Klimaziele für 2030 an. Der Fall ist als "People's Climate Case" bekannt.

Seniorinnen klagen am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte

2017 verklagten die KlimaSeniorinnen die Schweiz wegen unzureichender Klimapolitik. Sechs Jahre später stehen die Damen mit Unterstützung von Greenpeace vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Der mangelnde Klimaschutz der Schweiz habe die klagenden Seniorinnen in ihren Menschenrechten verletzt, entschieden die Richter nun. Das Urteil könnte ein Präzedenzfall für weitere Klimaklagen sein.

Kinder und Jugendliche aus Portugal gegen die EU

Andre Oliveira (m.l.), Catarine Mota, (m.R.) und die Geschwister Martim, Mariana und Claudia Agostinho aus Portugal vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Sie hatten sich zusammengeschlossen und gegen die EU-Mitgliedstaaten und weitere Vertragspartner der Europäischen Menschenrechtskonvention geklagt. Aus Sicht der Jugendlichen verletzen die Staaten die Menschenrechte, wenn die Emissionen nicht weiter reduziert werden. In Straßburg hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ihre Klage nun als unzulänglich zurückgewiesen. Die Jugendlichen hätten sich unter anderem zuerst in Portugal durch die Instanzen klagen müssen, bevor sie den Gerichtshof in Straßburg anrufen.

2022: Peruanischer Berbauer verklagt RWE

Saul Luciano Lliuya (M.) ist Bergbauer und hat am peruanischen Gerichtshof den Energiekonzern RWE angeklagt. Der Peruaner wirft dem deutschen Unternehmen vor, durch die produzierten CO2-Emissionen zum Teil mitverantwortlich für den Klimawandel zu sein. Lliuya glaubt, dass durch die Folgen ein Gletscher in den Anden schmilzt und das Schmelzwasser sein Haus und das Dorf bedroht. Der Fall wird im Jahr 2024 am Oberlandesgericht Hamm verhandelt.

2023: Aktivisten verklagen Österreich

Auch in Österreich haben junge Menschen das Gefühl, dass ihnen "die Zeit davonläuft". Im Februar 2023 haben deshalb zwölf Minderjährige die Regierung vor dem Obersten Gericht in Österreich verklagt. Das dort geltende Klimaschutzgesetz gibt es seit 2011, ist nach Ansicht der Klimaaktivisten aber nicht ausreichend, um junge Menschen vor den lebensbedrohlichen Folgen der Erderwärmung zu schützen. Zudem werde das in der österreichischen Verfassung garantierte Recht der Kinder auf "Generationengerechtigkeit" verletzt. Die Klage erfolgte in Anlehnung an die Verfassungsbeschwerden in Deutschland. Das Ergebnis steht noch aus, allerdings könnte die Verankerung von Kinderrechten in der Verfassung die Erfolgschancen erhöhen.

2023: Greta Thunberg verklagt Schweden

Im November 2022 hat Klimaaktivisten Greta Thunberg zusammen mit 600 Mitgliedern der Gruppe Aurora Schweden verklagt. Der Grund: Das Land müsse seine Emissionen stärker begrenzen, um die Europäischen Konventionen für Menschenrechte zu wahren. Im Jahr 2023 gab das Gericht grünes Licht für eine Sammelklage gegen den schwedischen Staat wegen "unzureichender Klimapolitik". Wann über die Klage entschieden wird, ist ungewiss.

Inselstaaten ziehen vor den Internationalen Gerichtshof

Länder des Globalen Südens sind besonders stark vom Klimawandel und dessen Folgen betroffen. Deshalb wollen Vertreter nun vom Internationalen Gerichtshof klären lassen, wer für die Versäumnisse beim Klimaschutz haften soll. Vorangegangen war der Inselstaat Vanuata, heute wird er von mindestes 80 weiteren Ländern unterstützt. Mit dem Fall befasst sich derzeit der internationale Seegerichtshof.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte 

hat sich mit drei Klimaklagen beschäftigt und nun sein Urteil gefällt. In dem einen Fall klagten sechs Jugendliche aus Portugal gegen 32 Staaten, darunter Deutschland. Sie warfen den Ländern vor, die Klimakrise verschärft und damit die Zukunft ihrer Generation gefährdet zu haben. Anlass für ihre Klagen waren die verheerenden Waldbrände von 2017 in ihrem Heimatland. Zudem hatte sich ein französischer Ex-Politiker an die Richter gewandt, weil Frankreich seiner Meinung nach keine ausreichenden Maßnahmen zur Verhinderung des Klimawandels ergriffen habe. Beide Klagen wurden abgewiesen.

Erfolg hatte lediglich eine von Greenpeace unterstütze Seniorinnengruppe aus der Schweiz. Sie will erreichen, dass die Alpenrepublik ihre Treibhausgasemissionen stärker reduzieren muss. Die sogenannten Klimaseniorinnen geben an, dass sie durch mangelnde Klimaschutzmaßnahmen in ihrem Recht auf Leben sowie auf Privat- und Familienleben verletzt würden. Einige Rechte der Frauen seien wegen der Versäumnisse der Schweizer Regierung beim Klimaschutz verletzt worden, urteilten die Richter am Dienstag in Straßburg.

Politiker halten die Klimaaktivisten für kriminell – warum Gerichte das anders sehen könnten

Der Fall erinnert an die wohl prominentes Klimaklage in Deutschland: Aktivisten von Fridays for Future und verschiedener Umweltorganisationen hatten die Bundesregierung 2019 verklagt, weil ihnen das Klimaschutzgesetz nicht ausreichte. Das Gericht entschied zugunsten der Aktivisten, das Gesetz musste 2021 nachgebessert werden. Doch verändert hat es wenig. Zwei Jahre später klagten Aktivisten des BUND erneut, weil sich die Ampel-Koalition nicht an die gesetzlich festgelegten Normen für den CO2-Ausstoß hält.

Auch in anderen Ländern sind die Menschen unzufrieden mit der Klimapolitik ihrer Regierungen. Laut dem Grantham Institute der London School of Economics wurden bislang weltweit über 2000 Klimaklagen erhoben, ein Viertel davon zwischen 2020 und 2022.

Auch anderswo regt sich Protest: Der Inselstaat Vanuatu im Südpazifik ist der Meinung, dass Treibhausgasemissionen zur Verschmutzung der Meere beitragen. Ein Gutachten des Internationalen Seegerichtshofs soll die Frage klären. Auch in den USA, in Brasilien und in Schweden wurden Klimaklagen erhoben. Und in Deutschland scheiterten zuletzt mehrere Klagen gegen Autohersteller.

Ist Klimaschutz ein Menschenrecht?

Die Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) waren mit Spannung erwartet worden. Die Juristen sollten dort erstmals entscheiden, ob Klimaschutz ein Menschenrecht ist. Das Besondere an den Fällen: "Der EGMR hat sich zwar zuvor schon mit Umweltemissionen – Lärm oder Luftverschmutzung – auseinandergesetzt, aber noch nie mit den CO2-Emissionen eines Landes", sagte die Völkerrechtlerin Birgit Peters von der Universität Trier der Deutschen Presse-Agentur.

Wie die Verhandlungen ausgehen würden, war bis zum Schluss ungewiss. Nach Einschätzung des Umweltrechtlers Johannes Reich von der Universität Zürich gab es aber "Anzeichen dafür, dass das Gericht die Beschwerde der Klimaseniorinnen zum Anlass nehmen wird, um einheitliche Grundsätze für alle drei ähnlich gelagerten Fälle auszuarbeiten".

Strengere Vorgaben beim Klimaschutz hätten eine Signalwirkung, nach der sich alle Vertragsstaaten der Europäischen Menschenrechtskonvention richten müssten. Konkrete Politikempfehlungen für die einzelnen Staaten wären aber nicht zu erwarten.

Quellen: Germanwatch.org, Youth4Climate Justice, Deutsche Umwelthilfe, Klimareporter, AP, Reuters, mit Material von DPA

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