Das finde ich jetzt sehr vernünftig angesichts der Vorbehalte gegen die Einsetzung von Wopke Hoekstra und dem äußerst unglücklichen Wirken der konservativen Fraktionen. Ich wünsche mir, dass er so handelt wie er redet.
Zeit hier Interview: Christiane Grefe und Hannah Knuth 18. April 2024,EU-Kommissar Wopke Hoekstra findet es unfair, Deutschland als Klimaschutzbremser zu kritisieren. Er fordert aber mehr öffentliches und privates Geld für den Wandel.
Der niederländische Politiker Wopke Hoekstra ist seit Oktober 2023 Kommissar für Klimaschutz in der Europäischen Union. Zuvor war er Vorsitzender der christdemokratischen Partei in den Niederlanden, Finanzminister und Außenminister im Kabinett des früheren Premiers Mark Rutte.
ZEIT ONLINE: Herr Hoekstra, Sie waren gerade ein paar Tage zu Besuch in Deutschland und haben vor dem CDU-Wirtschaftsrat gesagt, die Umsetzung des Green Deals brauche ähnlichen Ansporn wie ein Fußballteam in der Halbzeit. Ist der Vergleich nicht arg spielerisch angesichts der dramatischen Realität des Klimawandels?
Wopke Hoekstra: Natürlich ist die Lage sehr ernst. Wissenschaftler warnen uns, dass es überall auf dem Planeten nur noch rote Linien gibt und dass wir bald kaum noch Möglichkeiten haben, dagegen anzuarbeiten. Der Halbzeitvergleich sollte deutlich machen: Wir gehen in der EU zwar schon in die richtige Richtung, aber wir müssen noch schneller werden.
ZEIT ONLINE: Wie soll die EU schneller werden?
Hoekstra: Dafür müssen wir drei Dinge in Einklang bringen. Zunächst müssen wir die Anstrengungen beim Klimaschutz verstärken. Dabei müssen wir aber zugleich sicherstellen, dass wir wettbewerbsfähig bleiben. Unternehmen müssen vom Klimaschutz profitieren, statt an ihm bankrottzugehen. Es darf auch nicht passieren, dass sie deshalb die EU verlassen. Schließlich müssen wir die EU-Bürger davon überzeugen, dass es bei der Transformation fair zugeht. Sonst finden die Maßnahmen zur Emissionsminderung keine Akzeptanz.
ZEIT ONLINE: Sie haben zuletzt ein ehrgeiziges Zwischenziel für die Klimaneutralität der EU empfohlen. Bis 2040 sollen insgesamt 90 Prozent weniger Emissionen ausgestoßen werden als 1990. Allerdings hinkt die EU schon bei ihrem 2030-Ziel hinterher, es gibt Rückschläge im Gebäudesektor, beim Verkehr, in der Landwirtschaft. Sehen wir nicht vielmehr ein Rollback in der Klimaschutzpolitik?
Hoekstra: Da widerspreche ich! Rund 80 Prozent der EU-Bürger wollen zwar, dass mehr für den Klimaschutz getan wird. Aber ein großer Teil dieser Leute macht sich Sorgen, was das für ihre Jobs, ihr Portemonnaie und ihre Zukunft bedeutet. Diese Sorgen sind berechtigt, wir Politiker müssen darauf eingehen. Das Schöne und gleichzeitig Schwierige an Politik ist, dass es nie eindimensional zugeht. Vielmehr müssen wir versuchen, verschiedene Aspekte zum Ausgleich zu bringen. Ich bin trotzdem optimistisch. Europa wird seine Klimaziele schaffen.
ZEIT ONLINE: Der EU-Klimabeirat, ein Gremium aus Wissenschaftlern, das Sie in diesen Fragen berät, ist gar nicht optimistisch. Er sieht die EU meilenweit von ihren Klimazielen entfernt.
Hoekstra: Viele Mitgliedsstaaten, auch Deutschland, haben bereits viel getan. Wir erhalten zum Beispiel sehr ermutigende Zahlen zum Emissionshandel (ETS): Die jüngsten Daten zeigen einen Rückgang der Emissionen um 15,5 Prozent für 2023 im Vergleich zum Vorjahr. Mit dieser Entwicklung liegen die ETS-Emissionen nun rund 47 Prozent unter dem Niveau von 2005 und sind auf dem besten Weg, das Ziel für 2030 von 62 Prozent weniger zu erreichen. Trotzdem gibt es noch viel zu tun. Die neue Kommission muss nach den Europawahlen im Juni die 2040-Klimaziele mit konkreten Plänen für alle Sektoren unterlegen.
ZEIT ONLINE: Pläne gab es auch bislang – bloß scheiterten diese oft an der Umsetzung. Das jüngste Beispiel ist die Landwirtschaft: Das geplante umfassende Bodenschutzgesetz ist auf ein Monitoring-Gesetz geschrumpft, und von Ökobrachen oder dem Ziel, 50 Prozent der fossil erzeugten Pestizide einzusparen, ist nach den Bauernprotesten in Brüssel so gut wie nichts übrig geblieben.
Hoekstra: Wir müssen bei allem, was wir tun, die Menschen mitnehmen. Deshalb ist es wichtig, dass die einzelnen Branchen ihre Bedenken äußern, auch die Landwirte. Ihr Protest hat allerdings im Kern wenig mit der Klimapolitik zu tun, den Bauern geht es oft viel mehr um ihre Einkommenssicherheit. Als ich Teil der Vorgängerregierung in den Niederlanden war, haben wir gelernt, dass man sie nicht überfordern darf.
ZEIT ONLINE: Die Absicht, etwa den Phosphateinsatz und die Tierhaltung massiv zu beschränken, hat vergangenes Jahr bei den niederländischen Parlamentswahlen rechte Parteien gestärkt. Aber wie gewinnt man die Landwirte für den Wandel?
Hoekstra: Ich bin während meiner Zeit als Politiker bei den Landwirten auf große Bereitschaft gestoßen, die eigenen Praktiken zu verändern. Sie wollen vor allem zwei Dinge: ihr Land weiter bewirtschaften, das ihren Familien oft seit Generationen gehört, und ein verlässliches Einkommen. Wenn wir sie dabei unterstützen, dann werden sie offen für die gemeinsame Suche nach Wegen sein, wie wir beim Klimaschutz am besten vorankommen. Genauso müssen wir auch mit der Schwerindustrie und anderen Branchen über den besten Weg zur Transformation ins Gespräch kommen.
ZEIT ONLINE: Gerade durch diese Gespräche mit Interessenvertretern der Branchen werden doch die Klimagesetze immer wieder aufgeweicht.
Hoekstra: Ich finde Sie erneut zu negativ. Kürzlich hatte ich ein Gipfeltreffen mit den Vorständen der Autoindustrie. Die muss man weder von den Klimaschutzzielen überzeugen noch von der Elektrifizierung der Fahrzeuge. Sie äußern vor allem zwei Wünsche: Planbarkeit, denn politische Vorhaben werden zu häufig ad hoc geändert. Und Unterstützung beim Aufbau der Lade- und Netzinfrastruktur für E-Mobilität.
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