Donnerstag, 11. April 2024

Shell geht in Berufung: Verlorene Jahre - Wiederaufnahme des Verfahrens von 2021

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Der Ölkonzern kämpft in den Niederlanden gegen ein Klima-Urteil von 2021. Das Verfahren wird zur Werbeveranstaltung.

Ein Prozess mit großer Signalwirkung steht in dieser Woche in den Niederlanden an: Vor dem Gerichtshof in Den Haag begannen am Dienstag die Anhörungen im Berufungsverfahren des Öl- und Gaskonzerns Shell gegen die Umweltorganisation „Milieudefensie“.

Nach einer Klage des niederländische Zweigs von „Friends of the Earth“ wurde Shell im Mai 2021 verurteilt, seinen CO2-Ausstoß bis 2030 um 45 Prozent gegenüber dem Stand von 2019 zu senken, um dem Klimawandel entgegenzuwirken. Das Urteil erregte weltweit Aufmerksamkeit, weil es erstmals die Verantwortung eines Unternehmens gerichtlich festgelegt hatte.

Im vollbesetzten Gerichtssaal kamen am Dienstag vor den Augen zahlreicher internationaler Me­di­en­ver­tre­te­r*in­nen die beteiligten Parteien zu Wort. Im Zentrum stand dabei zunächst das Plädoyer des Unternehmens. Unterstützt von eingespielten Grafiken und Übersichtstafeln versuchte Shell zu belegen, warum dem Urteil aus erster Instanz die „faktische und juristische Grundlage“ fehle.

Balanceakt mit Promo-Film

Der Konzern ist der Meinung, Klimapolitik und CO2-Verminderung seien keine Aufgabe der Justiz, „sondern der Staaten, und Betriebe halten sich daran“. In diesem Rahmen bekannte er sich zu der „Notwendigkeit“, Emissionen zu reduzieren, sowie zu dem Pariser Klimaabkommen. Um dessen Ziele zu erreichen, habe Shell zahlreiche Maßnahmen eingeleitet, etwa Biokraftstoffe gefördert oder Ladestationen für Elektrofahrzeuge errichtet.

Teilweise balancierten die Unternehmensvertreter mit ihren Folien und einem eingespielten Promotion-Film auf dem Rand zu einer Werbeveranstaltung, die das Narrativ der grünen technologischen Erneuerung ins Zentrum stellte.

Mit dem Schlagwort des „Energie-Trilemmas“ verknüpft der Konzern seine Strategie mit der aktuellen Debatte zu Nachhaltigkeit und Energiewende. Trilemma bedeutet, dass Klimainteressen mit Energiesicherheit und Bezahlbarkeit abgestimmt werden müssten.

Ohne eine ausgewogene Mischung drohe der Wandel hin zu Erneuerbaren zu scheitern; die „Menschen müssen Energie bezahlen können“, so das Argument. Shell greift damit auf die einschneidenden Erfahrungen von Energiekrise und Inflation zurück, die zwischen dem Urteil von 2021 und dem Berufungsverfahren liegen.

Soziale Frage als Narrativ gegen nachhaltige Politik

Mehrfach schwangen sich die Redner auch zum Anwalt von „verletzbaren Gruppen“ auf, die in der Transformation der Energiesysteme zurückfallen könnten, wenn die „Klima-Interessen“ über die anderen gestellt würden. Dies ist ein regelmäßiges Narrativ in aktuellen Diskursen, das nachhaltiger Politik vorwirft, unsozial zu sein.

Zudem seien die Veränderungen für einzelne Unternehmen durch juristisch auferlegte Emissionsreduzierungen zu groß. Der niederländischen Wirtschaft drohten schwere Folgen und dem Land eine „De­industriealisierung“.

Dieses Argument spielt auf die laufende Kampagne von Milieudefensie an, 30 Schwergewichte der niederländischen Wirtschaft anklagen zu wollen, wenn sie keinen Klimaplan vorlegen, um „schneller nachhaltig zu werden“. Im Januar kündigte die Organisation eine Klage gegen ING als „Bankier der Klimakrise“ an, um deren CO2-Ausstoß zu halbieren und die Zusammenarbeit „mit verschmutzenden Betrieben zu beenden.

Milieudefensie, das im Berufungsprozess unterstützt wird von anderen Umweltgruppen wie Greenpeace Netherlands oder Fossil-Free NL, setzt damit auf sogenannte Klimaklagen als Strategie. Direktor Donald Pols erläuterte dies 2023 gegenüber der taz so: „Wissenschaftlich ist die Erderwärmung eindeutig belegt, es gibt Unterstützung in der Bevölkerung für Klimaschutz, er ist bezahlbar – warum funktioniert es nicht, ambitioniertere Absprachen zu treffen?' Irgendwann wurde mir klar: Wir müssen uns auf die großen Verschmutzer richten.“

Das Plädoyer vor dem Gericht in Den Haag begann am Nachmittag erst nach Redak­tionsschluss. Im Vorfeld verwies Milieudefensie auf weitere von Shell geplante Öl- und Gasförderungsprojekte. Anwalt Roger Cox betonte: „Die wissenschaftliche Grundlage, auf der wir unsere Klage gegen Shell gegründet haben, hat sich noch verfestigt. Vor Gericht sind es Fakten, die zählen. Darum bin ich zuversichtlich, dass wir die Rich­te­r*in­nen einmal mehr überzeugen können, dass Shell in Übereinstimmung mit internationalen Klimaabkommen handeln muss.“ Das Urteil wird im Herbst erwartet.

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