Donnerstag, 11. April 2024

Der Klimaklartext: Die Schweiz verletzt Menschenrechte und 1,5° erreicht

hier Standard  Klimaklartext

Wer gestern Morgen die Startseite des STANDARD ansteuerte, dem schlugen gleich zwei Klima-Meldungen groß entgegen. Einerseits: „Treibhausgase weltweit nach wie vor auf Rekordkurs“. Die globalen Konzentrationen der drei wichtigsten Klimagase CO2, Methan und Lachgas in der Atmosphäre sind auf einen neuen Höchststand geklettert.

Was unmittelbar mit einer weiteren schlechten Neuigkeit zusammenhängt: Die symbolisch wichtige 1,5-Grad-Schwelle scheint erreicht zu sein. Die Temperatur in den vergangenen zwölf Monate lag immer über 1,5 Grad über dem vorindustriellen Niveau. Der März 2024 war der heißeste in der Messgeschichte und der zehnte Rekordmonat in Folge.

Vergangenen Sonntag wurde in Österreich der früheste Hitzetag seit Aufzeichnungsbeginn registriert: In Bruck an der Mur hatte es am 7. April exakt 30,0 Grad. Seien wir uns ehrlich: So ein bisschen Sommer im April kann auch ganz angenehm sein. Aber normal ist das nicht - und der sonnige April ist vielleicht nur ein Vorbote für einen weiteren Sommer voller gefährlicher Hitzewellen und anderer Wetterextreme.

Die Schweiz ist jetzt auch per Gericht dazu verurteilt worden, seinen Teil dazu beizutragen, diese Entwicklung zu bremsen. Gestern, Dienstag, hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Schweiz gerügt, weil sie durch ihre lasche Klimapolitik Menschenrechte verletzt. Eine Gruppe von Seniorinnen hatte geklagt - mit Erfolg. Das Urteil stellt nun klar: Staaten sind verpflichtet, ihre Bürger vor den Folgen der Klimakrise zu schützen. Es hat Signalwirkung für ganz Europa.

Klimaschützerinnen und Klimaschützer könnten nun erstmals ein mächtiges Werkzeug in der Hand haben, um ihre Regierungen vor dem Höchstgericht zum Handeln zu zwingen. „Gerade in Österreich, wo die Menschenrechtskonvention im Verfassungsrang steht, könnte unter den jahrzehntelangen klimapolitischen Schlendrian nun ein Schlussstrich gezogen werden“, kommentiert meine Kollegin Nora Laufer.

Während die Politik nur zögerlich handelt, wächst in der Bevölkerung der Wunsch nach Veränderung. Global sehen über 80 Prozent der Menschen den Klimawandel als Bedrohung. Entsprechend groß ist auch die Zustimmung für politische Maßnahmen - rund 70 Prozent unterstützen etwa die Besteuerung fossiler Brennstoffe oder den Schutz der Wälder. Und dennoch kommt dieser in der Politik nicht immer an. Immerhin streitet die österreichische Regierung bereits seit 2020 über ein Klimaschutzgesetz.

Woran liegt diese Divergenz zwischen Einstellung und Handeln? Unsere neue Praktikantin im Ressort Edition Zukunft, Marie Kermer, hat sich diese Frage gestellt. Eine Erklärung lautet, dass wir uns eben auch an sozialen Normen orientieren. Und die sind in einem Land, wo über fünf Millionen Autos auf 7,6 Millionen Erwachsene kommen, klar ausgerichtet.

Dabei zeigt eine STANDARD-Umfrage, was die Menschen wirklich dazu bringen könnte, klimafreundlicher mobil zu sein. Ganz oben auf der Liste: ein besser ausgebautes öffentliches Verkehrsnetz. Dreiviertel der Befragten gab an, bei einer Haltestelle in der Nähe und kürzeren Fahrzeiten auf Bus und Bahn umsteigen zu wollen. Gar nichts ändern würde sich hingegen, wenn die Politik an der Pendlerpauschale schraubt – die Hälfte lehnt es kategorisch ab, deswegen aufs Auto zu verzichten.

Leichter als vom Auto könnten sich viele vom Einwegplastik trennen. Laut einer Umfrage sprechen sich weltweit über 80 Prozent der Menschen für weniger Plastikproduktion und mehr Mehrwegverpackungen aus. In Österreich sind es sogar 90 Prozent. Doch oft fehlt es an Alternativen – und die Verhandlungen für ein globales Plastikabkommen, das diese Alternativen zumindest indirekt fördern würde, stocken seit Jahren.

Eine aktuelle Recherche von Greenpeace wirft ein schlechtes Licht auf die Holzbeschaffung von Ikea. Laut der Umweltorganisation könnte das Holz für Produkte wie Stühle und Kinderbetten aus geschützten rumänischen Wäldern stammen. Ikea betont, kein illegales Holz zu verwenden und jedem Verdacht nachzugehen. Doch die Realität in Rumänien zeigt ein anderes Bild: Laut Greenpeace soll regelmäßig Holz aus geschützten Wäldern bei Ikea-Zulieferern landen. Wer lieber schaut statt liest: In der Arte-Mediathek gibt es derzeit noch die Doku „Wie Ikea den Planeten plündert“ zu sehen, die Natascha Ickert in einem TV-Tagebuch empfiehlt. 

Viel Freude beim Lesen wünscht 

Philip Pramer

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