Mittwoch, 2. November 2022

L 317: Anwohner:innen bremsen Klimasünder mit Gehzeugen aus

Mit einer symbolischen Aktion der besonderen Art auf der L317 am heutigen Mittwoch (2. November 2022) drückten Anwohner:innen aus Oberankenreute, Schlier, Weingarten und Wolfegg ihre Empörung über "business-Zerstörung as usual" von Forst BW, Lokalpolitik und privatwirtschaftlichen Interessen in Zeiten der "Klimakatastrophe" aus. Mit sogenannten "Gehzeugen" [1], Holzgestellen in der Größe eines PKWs, die zu Fuß getragen werden und auf der Straße nach § 25 StVO auf der Straße transportiert werden müssen, verlangsamten sie für mehr als eine Stunde den Lasterverkehr bei der Kiesgrube Tullius bei Oberankenreute. Die Gruppe aus 35- bis 70- jährigen Bürger:innen stellt sich gegen die ungebremste Ausbeutung des Altdorfer Waldes durch Kieskonzerne.

Mit Botschaften wie „Eure Gewalt gegen das Leben ist unermesslich! Kapitalterroristen“ und „Der Weg zur Klimahölle wird gekiest“ fordern sie Wald- und Klimaschutz über die Partikularinteressen einzelner Konzerne zu stellen. „Unfassbar, dass hier wertvoller Staatswald, der der Allgemeinheit gehört, für private Profite geopfert wird. Was muss noch passieren, damit sich Politik eindeutig dem Gemeinwohl verpflichtet und Klimaschutz ernst nimmt?“, fragt Martin Lang (56) aus Oberankenreute. 

Den Ort für ihre Aktion hat die Gruppe bewusst gewählt. In den frühen Morgenstunden des 13. Oktober dieses Jahres ließ ForstBW mit Hilfe eines massiven Polizeiaufgebotes drei Hektar Buchen- und Mischwaldbestände für die Erweiterung der Kiesgrube Tullius roden [2]. Gudrun Bosch (47) aus Schlier dazu: „Alle, die hier spazieren gehen, Sport treiben und den Wald als ihr Naherholungsgebiet nutzen, sehen, wie hier die Natur vor der eigenen Haustür zerstört wird. So etwas auch noch in Zeiten der Klimakrise zu genehmigen, ist ein absolutes Unding und nicht verständlich. Selbst der wertvolle Waldboden ist von den schweren Rodungsfahrzeugen völlig kaputt. Ich frage mich: Wie erklären wir das unseren Kindern und Enkeln?"

Boschs Mitstreiterin Rosemarie Vogt (70), Lehrerin im Ruhestand, ergänzt: "Die Klimakrise schreitet ungebremst voran und unsere Politiker schlagen alle Warnungen und Empfehlungen der Wissenschaft in den Wind. Verantwortungslos und kriminell, entgegen besserem Wissen, einfach weiterzumachen wie bisher!" Lukas Häfele (35) aus Wolfegg stimmt ihr zu und greift Ravensburgs Oberbürgermeister verbal an: "Oberbürgermeister Rapp erzählt uns Märchen von „Ravensburg bla 2040 bla bla Klimaneutral“. Die traurige Realität: Die Baubranche - ein Klimakiller - macht unbehelligt weiter und zerstört artenreiche Wälder für private Profite. Solange wir so viel ungenutzten Wohnraum haben, muss bei Kies gespart werden."

FORDERUNGEN DER ANWOHNER:INNEN IM BESONDEREN:

- Kiesausbeute im Altdorfer Wald und anderen Wäldern sofort beenden
- Bodenschonende Waldbewirtschaftung (Harvester raus aus dem Wald!)
- Ausweisung weiterer Klimaschutzzonen im Wald
- keine weiteren Kahlschläge in Zeiten der Klimakrise
- Kieskonzerne zur Offenlegung ihrer Kiesexporte 
verpflichten 
- Umweltabgabe für Kies, so wie es in Österreich üblich ist


HINWEIS
Die Aktion auf der L317 findet von 10:30 bis 12:00 Uhr statt. Die Aktion beginnt bei der Einfahrt des Kieswerks Tullius bei Oberankenreute. Die Gruppe wird insgesamt zwei reichhaltig mit Transparenten ausgestattete Gehzeuge auf der Landstraße tragen. Rechtsgrundlage für die Aktion ist § 25 der Straßenverkehrsordnung, dennoch ist polizeiliche Intervention wahrscheinlich.

[1] https://www.deutschlandfunknova.de/beitrag/gehzeug-bauen-zeigen-wie-viel-platz-ein-auto-einnimmt
[2] https://www.schwaebische.de/landkreis/landkreis-ravensburg/schlier_artikel,-polizei-sichert-rodungen-im-altdorfer-wald-_arid,11564393.html


PORTRAIT EINER ANWOHNERIN
Das älteste Mitglied der Gruppe ist Rosemarie Vogt aus Weingarten. Sie wuchs im Schussental auf und wird dieses Jahr 71. Nach der Rodung im Februar dieses Jahres, wenige Tage vor Ende der Rodungssaison, besetzte sie selbst einen Baum im Altdorfer Wald (Foto zur freien Verwendung: https://www.speicherleck.de/iblech/stuff/.anw1/photo_2022_02_25_02_11_09.jpg). Wie es dazu kam, erzählt sie hier.

"Ich habe als Kind, als Jugendliche, als Mutter mit Familie immer im Schussental gewohnt." Der Altdorfer Wald war ihr immer sehr wichtig: "Es ist ein gut gewachsener Wald. Ich wandere, ich radle, ich fühl mich wohl im Wald." Früher war Vogt auch beruflich als Lehrerin mit Kindern und Jugendlichen im Wald. "Die hatten immer eine riesige Freude, wenn wir im Wald waren."

"Von der Räumung erfuhr ich aus dem Radio. Ich kann das Aufgebot von mehr als 30 Polizeiautos, von Kriminalpolizei und SEK nicht verstehen. Ich bin entsetzt! Die vier Menschen in den Bäumen sind doch bekannt. Das sind friedliche Menschen, die nur unseren Wald und unser Kies schützen wollten."

Nach der Rodung war Vogt innerlich aufgewühlt. "Ich wollte eine lange Wanderung im Wald machen, um wieder herunterzukommen. Ich musste unbedingt die Rodungsfläche mit eigenen Augen sehen. Ich bin auf einen Baum geklettert und habe lange, lange Zeit in diesem Wald zugebracht und mir Gedanken gemacht: Was bewegt Menschen dazu?"

Vogt ist überzeugt: "Es gibt so viele Menschen im Schussental, die entsetzt sind, wenn sie an das Ausmaß dieser Rodungen denken, die nicht verstehen können, wie man mit Luft und Wasser angesichts der Überschwemmungen im Ahrtal, angesichts dieser Starkniederschläge hier im Schussenbecken, angesichts der kürzlichen Stürme umgeht. Die Menschen verstehen nicht, wieso dann solche maßlosen Rodungen stattfinden dürfen."

"Diese Bäume schützen und speichern unser Regenwasser. Wer soll denn das Schussental schützen, wenn die Bäume nicht mehr sind? Es ist unglaublich, was da passiert. Das bricht mir das Herz."

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