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Mehr als neun Monate später sitzt der Klimakleber vor Gericht, Saal drei am Amtsgericht in Freiburg. Nötigung lautet der Vorwurf. Richterin Julia Pfizenmaier betont gleich zu Beginn, worum es in diesem Verfahren gehen soll. Sie sagt: „Für was Sie kämpfen, spielt hier keine Rolle.“ Sie sagt aber auch: „Jeder darf kämpfen, solange es nicht strafbar ist.“

Den Aktivisten ist es egal, ob sie sich mit ihrem Protest strafbar machen. Jared Schiffer meint: „Ich respektiere den Rechtsstaat.“ Doch die Klimakatastrophe sei wichtiger. Der international anerkannte Klimaschutz-Index für 2022 zeigt, wie weit die Welt tatsächlich neben der Spur unterwegs ist.

Wenn das 1,5-Grad-Ziel hätte erreicht werden sollen, das darf man inzwischen so formulieren, wäre es nötig gewesen, die Treibhausgasemissionen zwischen 2019 und 2030 um 57 Prozent zu senken. Aktuell würden alle bislang gemachten Zusagen der Regierungen aber nur 14 Prozent ergeben. Die Weltorganisation für Meteorologie meldet für 2021 indes neue Rekordmengen an Treibhausgasen.

Mit der Erwärmung des Planeten heizt sich auch die Debatte immer weiter auf. Endzeitrebellen. Grüne RAF. Ökodiktatur. Begriffe, die Kritiker der Letzten Generation entgegenwerfen. Das sei hanebüchen, sagt Tobias März, er ist Sprecher der Freiburger Protestgruppe.

Vielmehr aber noch sei dieser Vorwurf gefährlich und verschiebe den Diskurs. Schließlich habe die RAF Staat, Wirtschaft und Gesellschaft durch Terroranschläge erschüttert. „Wir sind in unserer Aktion gewaltfrei.“

Sein Verteidigerin ist keine Anwältin

Der Angeklagte steht auf. Auf den Prozess hat sich Jared Schiffer gut vorbereitet. Seine Verteidigerin ist ebenfalls Aktivistin, keine Anwältin. Sie hat Rollenspiele und Prozesstrainings bei einem Anwalt absolviert. Ihr Mandant, wenn man so will, betont: „Mir ist klar, welches Privileg es ist, dass ich in Deutschland lebe und mich verteidigen darf.“

Dann folgt das, was man vor Gericht eine Einlassung nennt. Jared Schiffer gesteht und erzählt, dass die Klimakrise kein neues Problem ist. Dass weltweit mehr CO2 ausgestoßen wird als je zuvor. Dass die Wissenschaft bereits alle Technologien kennt, um es besser zu machen. „Wir befinden uns in der letzten Wahlperiode, in der man noch rechtzeitig handeln kann.“ Jared Schiffer sieht die Zeit ablaufen. Und zitiert den US-amerikanischen Bürgerrechtler Martin Luther King.

Weil die Erderwärmung in seinen Augen kaum jemand verhindert, protestiert er. Und leistet dabei zivilen Ungehorsam, so der sperrige Begriff der Behörden. Das stößt an, an vielen Ecken und Enden der Gesellschaft.

Tobias März kann die Wut der Menschen verstehen, wenn sie durch die Letzte Generation im Stau stehen oder ein Gemälde attackiert wird, mit dem sie sich identifizieren. „Darauf zielen die Aktionen ab. Damit man ins Grübeln kommt.“ Wobei die Aktionen alle so gestaltet seien, dass niemand gefährdet werde, auch kein Bild von van Gogh. Es geht um Empörung und Aufmerksamkeit.

So war es auch im Februar in Freiburg, als die Gruppe der Letzten Generation die Bundesstraße blockierte. Das sieht selbst die Richterin so. Nicht alle Aktivisten seien angeklebt gewesen, erklärt Jared Schiffer. In der Mitte hätten Autos durchfahren können, der Notarzt zum Beispiel, aber auch Menschen mit dringenden Terminen.

Ein Deeskalationsteam, schildert er, habe sich darum gekümmert, eine Rettungsgasse zu bilden. Auf dem Flyer, den die Aktivisten verteilt hatten, entschuldigten sie sich für die Unannehmlichkeiten. Es gehe nicht gegen die Autofahrer, heißt es da, aber der Punkt sei überschritten.

„Ich glaube, dass es nötig ist, Spannungen aufzubauen, damit der Druck auf die Politik wächst“, sagt Jared Schiffer. Einige Politiker sehen die Aktivisten jedoch vor allem als Störfaktoren.

Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl zum Beispiel bezeichnete sie als Straftäter. „Das sind keine friedlichen Proteste“, sagte der CDU-Politiker. Auch aus dem Bundestag weht der Letzten Generation ein kalter Wind entgegen. Die Unionsfraktion forderte erst Mitte November verschärfte Gesetze und „Strafen für Straßenblockierer und Museumsrandalierer“.

Präventivhaft in Bayern

Die Urteile fallen bislang bundesweit relativ glimpflich aus. Restriktiver geht bisher nur Bayern gegen die Letzte Generation vor. Wegen des bayerischen Polizeiaufgabengesetzes können Klimakleber in Zellen gesperrt werden, rein präventiv.

Um zu verhindern, dass sie wieder auf die Straße gehen. 13 Mitglieder der Letzten Generation sitzen dort in der Justizvollzugsanstalt Stadelheim für 30 Tage in Polizeigewahrsam. Einer von ihnen ist seit gut einer Woche im Hungerstreik.

Haft aus Sorge. Vorbeugung um jeden Preis. In Baden-Württemberg und anderswo betrachten das viele mit Sorge. „Das zeigt die Absurdität, wie wir behandelt werden“, betont Tobias März. Der Gewahrsam stehe in keinem Verhältnis zu den Aktionen.

In Freiburg ist es früher Nachmittag. Jared Schiffer und seine Verteidigerin Zoe Ruge legen seitenweise Anträge vor, sie zitieren Klimaexperten und Wissenschaftler und Journalisten. Im Saal drei des Amtsgerichts nehmen sie die Nötigung, die ihnen vorgeworfen wird, juristisch auseinander, in alle Einzelteile, um den Strafbestand zu widerlegen, besser als viele Rechtsanwälte es könnten. Sie wollen zeigen, dass der Protest Notwehr war. Es hilft ihnen wenig.

Staatsanwältin: So entstehen noch mehr Emissionen

Die Staatsanwältin sieht nicht, wie eine Straßenblockade dem Klimaschutz dienen könnte. Im Gegenteil, der Stau verursache noch mehr Emissionen. Mehr als 30 Personen, Rettungsdienst, Polizei, Notarzt, seien eingebunden gewesen, eine Rettungsgasse war in ihren Augen nicht möglich. „Das Ziel des Klimaschutzes steht außer Frage“, meint Cathrin Daniel. Aber sei die Maßnahme, die die Aktivisten gewählt haben, das richtige Mittel? Nein, sagt sie. Die Aktion sei verwerflich.

Die Richterin befindet ähnlich. „Ich kann das schätzen, was Sie tun. Sie haben sich bemerkenswert eingearbeitet.“ Aber: „Sie haben das Rechtsgut der Autofahrer verletzt.“

„Ich gehe weiter auf die Straße“

Jared Schiffer nimmt das Urteil gelassen hin. Mit einer Strafe hat er gerechnet, auch wenn einen Tag zuvor ein anderer Aktivist für diese Blockade in Freiburg und zwei weitere freigesprochen wurde. „Es hat sich nichts geändert, ich gehe weiter auf die Straße.“ Schließlich manövriere sich die Welt weiter in die Klimakatastrophe.

Der 29-Jährige riskiert viel, seine Zukunft, er will Grundschullehrer werden. Mit Vorstrafen aber rückt der Beamtenstatus weit weg. Gleichzeitig könne er nicht jeden Tag mit Kindern arbeiten, in dem Wissen, dass sie nicht ansatzweise ein Leben führen könnten wie er es tue. „Diese Kinder werden eine Hungerkrise erleben, Kämpfe ums Wasser.

Die nächsten Jahre sind entscheidend, sagt Tobias März. Damit das Verständnis in der Gesellschaft dafür wächst, wird die Klima-Gerechtigkeits-Bewegung nicht umhin kommen, sich breiter aufzustellen. „Die Letzte Generation zeigt, wie dringlich es ist.“ Man müsse es aber schaffen, einen Schulterschluss in der Gesellschaft zu erreichen.

Dafür seien neue Bündnisse wichtig. Wird das reichen, um den menschengemachten Klimawandel zu bremsen? Und wenn nicht: Wie gelingt das Leben mit der Erderwärmung? Antworten darauf hat die Letzte Generation nicht. Die aber kann bislang niemand geben.