Mittwoch, 23. November 2022

Wiederaufforstung in Afrika: Der Wald heilt sich selbst

Spiegel hier  Aus Kenia berichten Heiner Hoffmann und Jacob Ochieng  17.11.2022,

In Afrika feiert eine Methode zur Wiederaufforstung große Erfolge. Statt neue Bäume zu pflanzen, werden alte Baumstümpfe, Wurzeln und Samen im Boden wiederbelebt. Selbst in der Dürre lassen sich damit noch Erfolge erzielen.

Wieder einmal: keine dunkle Wolke am Himmel. Nichts. Nur strahlendes Blau und drückende Hitze. Samuel Kirianga schaut gar nicht mehr nach oben, warum auch. Seit zwei Jahren hat es nicht mehr geregnet, vier Regenzeiten in Folge sind ausgeblieben. Und daran scheint sich so schnell auch nichts zu ändern. Eigentlich wäre es gerade Zeit für die kurzen Novemberschauer, doch sie sind schon wieder nicht gekommen. Der Norden Kenias erlebt die schlimmste Dürre seit 40 Jahren.

Dabei sind Kirianga und seine Familie harte Zeiten gewohnt, die Region um Marsabit ist eine Halbwüste. Doch inzwischen ist weit und breit alles verdorrt: Die Akazien sind nur noch Gerippe, das Gras hellgelb, bei den wenigen verbliebenen Rindern kann man die Knochen zählen. Doch auf Samuel Kiriangas Grundstück sprießt die Hoffnung. Die Bäume tragen Grün.

Der ehemalige Lehrer bezeichnet sich inzwischen als Umweltschützer: »Ich ziehe umher und erkläre den Leuten, wie wichtig es ist, auf natürliche Prozesse zu setzen«, sagt er. Natürliche Prozesse bedeutet: Keine Bäume pflanzen, keine künstliche Bewässerung, kein Kunstdünger. Stattdessen: Bestehende Bäume, Triebe und Samen schützen, damit sie sich regenerieren können. FMNR heißt die Methode – Farmer Managed Natural Regeneration – entwickelt vom Australier Tony Rinaudo, der gerade auf Kiriangas Anwesen zu Besuch ist.

Rinaudo erklärt die Idee gern mit einer Anekdote, er ist ein gläubiger Mensch. Vor vielen Jahren sei er im Niger unterwegs gewesen, im Auftrag der Regierung, er sollte Bäume pflanzen. So sei er mit seinem Pick-up-Truck durch die dürre Landschaft gefahren, vor einem Sandfeld habe er aus den Reifen etwas Luft lassen müssen. In diesem Moment, so erzählt er heute, sei ihm die Sinnlosigkeit des Unterfangens bewusst geworden. Er habe spontan gebetet und dabei eine Art Erleuchtung gehabt: Neben ihm stand ein kleines Gewächs, nicht größer als ein Busch, doch Rinaudo habe erkannt – es ist eigentlich ein Baum, der es nie geschafft hat zu wachsen. Ob es nun ein Zeichen Gottes war oder nicht: Rinaudo ist seitdem auf einer Mission, die so kaum jemand für möglich gehalten hätte.

Die Maxime des Umweltaktivisten lautet: Wo einmal ein Wald gestanden hat, da kann er von ganz allein zurückkommen. Man müsse ihn nur lassen. Genau da setzt FMNR an; Baumstümpfe, Jahrzehnte alte Samen im Erdboden und Wurzelwerk werden regeneriert, indem etwa vorhandene Triebe ausgedünnt und speziell beschnitten werden, damit sie wieder wachsen können. Dadurch soll sich nach und nach das Erdreich stabilisieren, Nährstoffe zurückkehren und ganze Landstriche neu erblühen. Dabei muss das Areal auch gegen übermäßige Nutzung geschützt werden: Ziegen oder Rinder dürfen die Triebe nicht abfressen, Landwirte nur auf speziell zugewiesenen Flächen etwas anbauen.

Samuel Kirianga läuft zu einem einheimischen Baum auf seinem Grundstück, er hat ihn in den vergangenen zwei Jahren nach den FMNR-Regeln gepflegt, nun ist das satte Grün der Triebe zurückgekehrt. Und damit auch neue Einkommensquellen für den Vater und seine 15 Mitstreiterinnen und Mitstreiter aus dem Dorf Kamboe. Sie haben Bienenstöcke aufgestellt, denn nun finden die Insekten wieder Nahrung und produzieren Honig. Unter den Bäumen wühlen Hühner in der Erde, früher wären sie hier verhungert. »Es braucht Geduld, aber am Ende hat es sich für uns gelohnt«, sagt Kirianga.

Nach seinem Besuch in Kamboe zieht Tony Rinaudo weiter zum nächsten Projekt in Lontolio, etwa eine Autostunde entfernt, auch hier wurde eine Gruppe Frauen in FMNR ausgebildet. Der Australier und sein Team werden freudig empfangen, die Gastgeberinnen tragen bunte Gewänder. Doch ihre Umgebung wirkt weit weniger farbenfroh: Hier ist kaum Grün zu sehen, das Gras ist längst vertrocknet oder wurde an die Tiere verfüttert, die Dürre fordert ihren Preis.

Tony Rinaudo wirkt nach dem Besuch in Lontolio enttäuscht, er hatte sich mehr erhofft. »Aber vier Jahre ohne Regen sind natürlich heftig«, sagt er. Er spricht noch einmal mit den Bewohnerinnen, führt mit einer Machete Techniken zum Trimmen der kargen Bäume vor, redet über schonendere Landnutzung. Doch genau darin sehen Skeptikerinnen und Skeptiker auch eine Schwäche von FMNR: Oft sei eine langfristige Begleitung durch Hilfsorganisationen nötig, um entscheidende Ergebnisse zu erzielen. Immerhin können die Farmerinnen aus den Rinden der kargen Bäume nun Harz und gummiartigen Weihrauch gewinnen, wenigstens eine kleine Einnahmequelle.

In anderen Ländern sind die Resultate deutlicher: Im Norden Ghanas sind ganze Waldgebiete entstanden, die den unerbittlichen Wüstenwind Harmattan aufhalten und damit die Gegend vor Sandstürmen schützen. Auch im Niger haben die FMNR-Aktivisten große Waldflächen wiederbelebt, Expertinnen konnten dort den Nutzen der Methode zur CO₂-Reduzierung wissenschaftlich nachweisen. »Es heißt immer und überall: Wir bekämpfen den Klimawandel. Eigentlich müssen wir aber die Einstellung der Menschen verändern«, sagt Rinaudo. Denn auch im Norden Kenias sind weite Landstriche der Überweidung und dem Kahlschlag für Brennholz und Holzkohle zum Opfer gefallen. »In früheren Generationen gab es oft feste Regeln, welche Teile des Landes genutzt und welche in Ruhe gelassen werden. Das ist nach und nach verloren gegangen, und wir wollen es reaktivieren«, hofft der Erfinder der FMNR-Methode.

Inzwischen ist Rinaudo nach Scharm el-Scheich gereist, zum Klimagipfel COP27. Dorthin fahre er vor allem mit einer Botschaft, sagt er kurz vor seiner Abreise aus Kenia: »Alle wollen ständig Bäume pflanzen, dabei ist das oft sinnlos und funktioniert nicht. Wir müssen die bestehende Natur erneut zum Leben erwecken.«

Sein großer Traum: Weltweit sollen Flächen wieder mit Bäumen bedeckt sein, die insgesamt der Größe der USA entsprechen; das würde bis zu 25 Prozent des weltweiten CO₂-Ausstoßes aufnehmen, rechnet er vor. »Bisher waren alles nur Vorbereitungen. Jetzt müssen wir endlich mal richtig loslegen.«

Dieser Beitrag gehört zum Projekt Globale Gesellschaft

Unter dem Titel »Globale Gesellschaft« berichten Reporterinnen und Reporter aus Asien, Afrika, Lateinamerika und Europa – über Ungerechtigkeiten in einer globalisierten Welt, gesellschaftspolitische Herausforderungen und nachhaltige Entwicklung.

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