Freitag, 25. November 2022

Fortschritt ist möglich – sogar beim Klimaschutz

 Zeit hier Von  24. November 2022

Der Ausstieg mehrerer Staaten aus der Energiecharta zeigt: Wenn Aktivisten dranbleiben, dann können sie sogar internationale Verträge kippen, zum Vorteil für die Umwelt.

Es gibt ihn doch, den Fortschritt. Und es gibt ihn tatsächlich auch beim Klimaschutz. In dieser Woche konnte man das sogar im mongolischen Ulan-Bator erleben. Was dort passierte und nicht passierte, hat wiederum große Auswirkungen auch auf Deutschland. Es geht um Folgendes (und hier bitte ich um 30 Sekunden Geduld, denn die Angelegenheit lässt sich nicht in einem Satz erklären. Ist dafür aber interessant.): Deutschland und die EU sind seit vielen Jahren Mitglied in der sogenannten Energiecharta. Das ist ein internationaler Vertrag, der den Handel mit Öl, Gas und Kohle regelt. Erfunden wurde er in den Neunzigerjahren von westeuropäischen Regierungen. Die wollten die eigenen Unternehmen schützen, die nach dem Fall der Mauer in den ehemaligen Sowjetrepubliken in die Energieversorgung investierten: davor, dass die osteuropäischen Regierungen plötzlich die Marktwirtschaft und die Privatisierung doch wieder doof finden und dann die ausländischen Investitionen kurzerhand verstaatlichen würden. Deswegen können Unternehmen seither vor einem privaten Schiedsgericht gegen die entsprechende Regierung klagen, wenn so etwas passiert.

Nach und nach traten dem Vertrag immer mehr Länder bei, heute sind es 51. Dummerweise nur waren dessen Paragrafen sehr schlecht gemacht, sie gaben Unternehmen deutlich zu viel Macht. Und sie schränkten die Regierung sehr ein, auch in Bereichen, in denen die sich eigentlich nicht einschränken lassen sollten: Also wenn sie beispielsweise neue Umweltschutzgesetze erlassen wollte. Oder wenn sie aus der Atomkraft aussteigen wollte. Oder aus der Kohle. Wagte ein Staat so etwas, können betroffene ausländische Unternehmen ihn auf entgangene Gewinne oder die Rückzahlung von Investitionen verklagen – und zwar nicht wie ihre nationale Konkurrenz vor regulären nationalen Gerichten.

Sie dürfen stattdessen vor sogenannte Schiedsgerichte ziehen, die anders als staatliche Gerichte das Eigentumsrecht sehr hoch und den Umweltschutz eher niedrig bewerten. Immer wieder gewannen Unternehmen deswegen Klagen, die sie vor nationalen Gerichten so nicht gewonnen hätten. Immer wieder mussten Staaten zahlen. Auf Basis dieses Vertrages wurde Italien zu einer Strafzahlung von 250 Millionen Euro verurteilt, weil es Ölbohrungen in Gewässern innerhalb von zwölf Meilen vor der Küste verboten hatte – an ein Ölunternehmen.

Auch Deutschland musste zahlen

Deutschland musste schon wegen strengerer Wasserschutzauflagen für das Hamburger Kohlekraftwerke Moorburg Schadenersatz an den schwedische Vattenfall-Konzern zahlen, die genaue Summe und die Auflage sind bis heute geheim. Und dann gewann der Vattenfall-Konzern auch noch eine Entschädigung von 1,4 Milliarden Euro vom deutschen Staat – für den Atomausstieg. Auch deutsche Unternehmen gehören übrigens zu den Klägern. Vor einem Jahr haben RWE und Juniper den niederländischen Staat auf eine Entschädigung von mindestens 1,4 Milliarden Euro verklagt, weil Holland schneller als ursprünglich geplant aus der Kohle aussteigen will – zugunsten des Klimaschutzes.

Das alles zeigt das Riesenproblem dieses Vertrages. Er schützt eben nicht nur berechtigte Interessen von Investoren. Er ermöglicht es ihnen auch, Klimaschutz zu verhindern oder sehr viel teurer zu machen. Irre ist das. Noch irrer aber ist: Lange haben sich die Bundesregierung und auch die EU-Kommission trotz alledem geweigert, an dem Vertrag etwas zu ändern. Bekannt sind ihnen dessen Fehler schon seit Langem. Bereits vor rund sieben Jahren gab es in mehreren europäischen Hauptstädten große Demonstrationen und Forderungen nach einer Reform der Handelspolitik. Damals hatten sich die Proteste am geplanten europäisch-amerikanischen Handelsabkommen TTIP entzündet. Das kam dann nicht. Doch es kam eben auch keine Reform der Energiecharta. Die EU-Kommission und die damalige schwarz-rote Bundesregierung spielten auf Zeit – sie wollten die Sache einfach aussitzen.

Und so passierte – erst mal gar nichts. Die EU-Kommission arbeitete jahrein, jahraus an Reformen des Vertrages, doch die waren immer eher halbherzig. Und auch die Ampel tat erst mal nichts. Andere europäische Regierungen waren da mutiger: Italien war bereits 2016 aus dem Vertrag ausgestiegen (und konnte trotzdem noch verurteilt werden, weil der Austritt erst 20 Jahre (!) später wirksam wird). Polen kündigte vor wenigen Wochen den Austritt an, dann auch Frankreich und die Niederlande. Doch dann, vor ein paar Tagen, bewegte sich tatsächlich auch die Bundesregierung. Auch sie wird ihre Mitgliedschaft bei der Energiecharta kündigen. Und das wiederum ist dann – tatsächlich – ein großer Erfolg! 

Peinlich für die EU

Durch diese Entscheidung steht die EU-Kommission nicht nur blamiert da – quasi als letzte Kämpferin für eine Politik, über die die Zeit längst hinweggegangen ist. Und da sind wir endlich wieder bei Ulan-Bator: Auf dem Jahrestreffen der Mitglieder der Energiecharta in dieser Woche in der mongolischen Hauptstadt wollte die EU-Kommission nämlich eigentlich einen weiteren Reformvorschlag vorstellen, um den Vertrag zu retten. Doch darauf verzichtete sie. Offensichtlich hat man in Brüssel eingesehen, dass man mit halbherzigen Veränderungen nicht mehr durchkommt. Die EU wird sich stattdessen ernsthaft überlegen müssen, ob sie selbst noch Mitglied im Energiecharta-Vertrag sein kann, wenn ihre eigenen Mitglieder den mit wehenden Fahnen verlassen. Man könnte auch sagen: Das Ding ist bereits so gut wie tot, was wiederum für den Klima- und Umweltschutz eine sehr gute Nachricht ist. Auch das Europäische Parlament hat am Donnerstag den Ausstieg der EU aus dem Vertrag  gefordert

Dass das möglich wurde, ist übrigens einer kleinen Gruppe sehr aktiver Menschen und Umweltgruppen in ganz Europa zu verdanken. In Deutschland beispielsweise hat das Umweltinstitut München über Jahre immer wieder protestiert und informiert und auch nicht nachgelassen, als die Medien nicht mehr berichteten, die Öffentlichkeit das Interesse verlor und die Politik auf stur schaltete. Es hat im Gegenteil immer wieder nachgebohrt. Ohne solche Leute wäre unsere Demokratie deutlich ärmer. Und die Staatskasse künftig wahrscheinlich auch.

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