hier Frankfurter Rundschau Verena Kern
In den EU-Staaten setzt sich die Einsicht durch, dass der Energiecharta-Vertrag schädlich ist
In der mongolischen Hauptstadt Ulaanbaatar findet am Dienstag die 33. Energiecharta-Konferenz statt. Auf der Agenda des diesjährigen Treffens steht die Reform des aus Klimaschutz-Gründen umstrittenen Energiecharta-Vertrags (ECT), die in den vergangenen zwei Jahren ausgehandelt wurde.
Der Vertrag erlaubt es Energieunternehmen, Staaten vor privaten Schiedsgerichten auf Milliarden-Entschädigungen zu verklagen, wenn diese neue Klimaschutz-Gesetze beschließen oder höhere Umweltstandards einführen. Die Reform soll unter anderem bewirken, dass der Vertrag keine neuen fossilen Projekte mehr schützt. Damit sie durchkommt, müssen alle 53 Unterzeichnerstaaten zustimmen.
Das schien längst in trockenen Tüchern zu sein. Doch seit vergangenen Freitag sieht das anders aus. Seitdem ist klar, dass die EU nicht mit einem Ja zur Reform nach Ulaanbaatar reisen kann. Bis zuletzt war offen, wie sich die EU positionieren wird. Bei der überraschend vorgezogenen Abstimmung im EU-Rat verweigerten dann aber Frankreich, Spanien, die Niederlande und Deutschland der Reform ihre Zustimmung. Die erforderliche qualifizierte Mehrheit kam nicht zustande.
Zuvor war der Abstimmungstermin gleich mehrmals verschoben worden und die EU-Kommission übte, wie Beobachter:innen berichten, „sehr großen Druck“ auf die Mitgliedsstaaten aus, um die Reform doch noch zu retten. Das ist gescheitert.
Doch worum geht es bei dem Tauziehen? Ist eine Reform des umstrittenen Vertrags, wie die EU-Kommission argumentiert, tatsächlich besser als ein Austritt? Klimaschützer:innen und viele Wissenschaftler:innen sehen das anders – und mittlerweile eben auch eine ganze Reihe von EU-Ländern. In den vergangenen Wochen erklärten Spanien, Polen, die Niederlande, Frankreich, Slowenien und schließlich auch Deutschland, dass sie aus dem ECT aussteigen wollen. Italien hat bereits 2016 seinen Austritt erklärt. Am Freitagvormittag, noch vor der Ratsabstimmung, kündigte auch Luxemburg, das zuvor für die Reform eingetreten war, seinen Austritt an.
Damit setzt sich mehr und mehr die Einsicht durch, dass der Energiecharta-Vertrag eine Art Anti-Klima-Abkommen ist, ein Vertrag, der die Energiewende bremst und den Zielen des Paris-Abkommens entgegensteht. Dadurch, dass Energieunternehmen Staaten vor privaten Schiedsgerichten auf Milliarden-Entschädigungen verklagen können, wird Klima- und Umweltschutz zu einer teuren und riskanten Angelegenheit. Die Konzerne können nicht nur für die Kosten Schadenersatz fordern, die ihnen bereits entstanden sind, sondern auch für die künftig erwarteten Gewinne, die ihnen nach eigenen Berechnungen entgehen.
Viele Klagen
Der Vertrag stammt aus den 1990er Jahren, als noch niemand ans Klima dachte.
Ziel war es , den Handel mit Kohle, Gas und Erdöl abzusichern und Investitionen von westlichen Unternehmen im Gebiet der ehemaligen Ostblockstaaten zu schützen. Bis die Firmen das Klagepotenzial erkannten, hat es eine Weile gedauert.
In den ersten zehn Jahren gab es nicht einmal 20 Klagen. Danach waren es jedoch über 100 und auch die Summen, die mittlerweile als Entschädigung verlangt werden, sind deutlich gestiegen.
Beim deutschen Atomausstieg beispielsweise hat Vattenfall Deutschland verklagt und 1,4 Milliarden Euro an Entschädigung herausgeholt.
53 Staaten sind Mitglieder des Vertrags, vor allem europäische Staaten wie Deutschland, Frankreich und Großbritannien, aber auch die EU als Ganzes sowie asiatische Länder wie Japan.
Beklemmend und beladen
Dabei ist der Energiecharta-Vertrag so konzipiert, dass praktisch alle Vorteile aufseiten der Unternehmen liegen. Dank der „Sunset-Klausel“ können sie ein Land noch weitere 20 Jahre nach einem Austritt verklagen. Genau genommen sind es sogar 21 Jahre, denn der Austritt wird erst ein Jahr nach der Kündigung wirksam.
Italien beispielsweise, das schon vor acht Jahren ausgetreten ist, wurde kürzlich von einem Schiedsgericht zur Zahlung von mehr als 250 Millionen Euro verurteilt. Die italienischen Behörden hatten – nach Protesten von Anwohner:innen – eine Förderkonzession nicht erteilt, die ein Ölunternehmen für Bohrungen vor der Adriaküste beantragt hatte. Der Konzern Rockhopper kaufte das Unternehmen für 29 Millionen britische Pfund und zog vor ein italienisches Gericht, um die Konzession einzuklagen.
Dort scheiterte Rockhopper in erster und zweiter Instanz. Doch das Schiedsgericht, das der Konzern im Rahmen der Energiecharta anrief, gab ihm Recht und sprach ihm fast das Zehnfache der investierten Summe zu. Berufung kann nicht eingelegt werden. Die ausgehandelte Reform, für die sich die EU-Kommission so vehement eingesetzt hat, würde den Schutz für bestehende fossile Investitionen auf zehn Jahre verkürzen, „spätestens jedoch bis zum 31. Dezember 2040“. Neue fossile Investitionen sollen ab dem 15. August 2023 nicht mehr geschützt werden, wobei für bestimmte Energieformen eine zehnjährige Übergangszeit vorgesehen ist.
Der entscheidende Haken: Die Änderungen werden erst wirksam, nachdem die Reform von mindestens 40 der 53 Vertragsparteien der Energiecharta ratifiziert wurde. Das kann aber Jahre dauern. Oder sogar ganz scheitern. Denn in der EU müssten neben dem Rat und dem EU-Parlament auch alle nationalen Parlamente ihren Segen geben – auch in den ausstiegswilligen Ländern.
Allerdings ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Zurzeit bemüht sich die EU-Kommission darum, dass die Abstimmung über die Reform von der Agenda der Konferenz genommen wird, um mehr Zeit zu gewinnen. Das Tauziehen geht weiter.
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