Süddeutsche Zeitung hier 16. November 2022 Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe
Der Justizminister will Gerichtsverfahren zur Klimaschutz-Infrastruktur beschleunigen. Doch Umweltministerin Steffi Lemke und Justizvertreter melden erhebliche Bedenken an. Was steckt dahinter?
Zeit ist ein wesentlicher Faktor beim Klimaschutz, weshalb das Bundesjustizministerium die Planung und Genehmigung wichtiger Infrastrukturprojekte deutlich beschleunigen will. Eine der vielen Stellschrauben, an denen gedreht wird, sind die Verfahren vor Verwaltungsgerichten. Sie werden gern mal als Bremsklötze ausgemacht - nicht immer zu Recht.
Justizminister Marco Buschmann (FDP) lässt derzeit einen Referentenentwurf, der den Gerichtsverfahren Beine machen soll, mit den anderen Ressorts abstimmen. Doch wie es aussieht, kommt das Gesetzgebungsprojekt selbst nicht so recht voran: Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) hat dem Vernehmen nach Bedenken, weil mit dem Gesetz auch Großprojekte beschleunigt würden, die das genaue Gegenteil von Klimaschutz sind.
Zentraler Baustein des Referentenentwurfs ist ein "Vorrang- und Beschleunigungsgebot". Es soll Verfahren beispielsweise durch einen "frühen ersten Termin" ankurbeln, der schon zwei Monate nach Eingang der Klageerwiderung abgehalten wird. Hinzu kommen Regeln zur "Präklusion" von Erklärungen und Beweismitteln: Gerichtliche Fristen sollen es Klägern erschweren, mit immer neuen Schriftsätzen einen Prozess endlos in die Länge zu ziehen. Auch die Möglichkeiten, ein Projekt per Eilantrag vorläufig stoppen zu lassen, sollen reduziert werden. Oder, in den Worten Buschmanns: Die Regierung wolle den "Turbo starten".
Der Turbo könnte auch bei klimaschädlichen Vorhaben zünden
Auch das Bundesumweltministerium will "konstruktiv" an diesem Turbo mitarbeiten, wie ein Sprecher auf Anfrage mitteilt: "Beim Anwendungsbereich diskutieren wir Vorschläge, wie vor allem klimanützliche Projekte vorrangig beschleunigt werden können, weil ansonsten eine Beschleunigung insgesamt nicht gelingen wird." Doch wie aus Regierungskreisen zu hören ist, wendet Umweltministerin Lemke gegen den Vorstoß des Kabinettskollegen Buschmann ein, dass sein Turbo eben auch bei klimaschädlichen Vorhaben gezündet werden soll - Projekten nämlich, die "genau in die andere Richtung weisen, wie beispielsweise der Neubau von Autobahnen und Flughäfen".
Tatsächlich umfasst die lange Liste der Infrastrukturprojekte, auf die das Beschleunigungsgebot abzielt, zwar alle Schwerpunkte der Energiewende, von Windenergie bis Wasserkraft. Der maßgebliche Paragraf 48 der Verwaltungsgerichtsordnung erwähnt allerdings auch "das Anliegen, die Erweiterung oder Änderung und den Betrieb von Verkehrsflughäfen". Gleiches gilt für "den Bau oder die Änderung von Bundesfernstraßen und Landesstraßen". Sollte das Gesetz tatsächlich zugunsten des Tempos den Rechtsschutz der von Großprojekten Betroffenen einschränken - was die Bundesrechtsanwaltskammer in einer Stellungnahme kritisch sieht -, dann gälte dies auch beim Bau von Autobahnen und Flughäfen.
Umstritten ist freilich schon die Frage, ob der Turbo nicht nur eine Attrappe ist. Die Neue Richtervereinigung hat darauf hingewiesen, dass die Gerichtsprozesse vergleichsweise kurz seien, gemessen an den oft mehr als zehn Jahre dauernden Planungsverfahren. Und der Deutsche Anwaltverein hält mehrere der angeblichen Beschleunigungsinstrumente für "kaum hilfreich" oder gar "entbehrlich", weil die Gerichte ihre Möglichkeiten, Verfahren voranzutreiben, schon jetzt nutzten.
Überflüssig bis kontraproduktiv, lautet die Kritik
Kritik an dem Vorhaben kommt inzwischen auch aus den Gerichten selbst, und zwar von höchster Stelle. In einem internen Schreiben an das Bundesjustizministerium hat Andreas Korbmacher, seit kurzem Präsident des Bundesverwaltungsgerichts, mehrere der geplanten Regelungen kritisiert - als überflüssig oder gar kontraproduktiv. Das gilt beispielsweise für eine Norm, die verhindern soll, dass ein Großprojekt wegen eines bloßen Formfehlers, der sich leicht beheben lässt, im Eilverfahren vorläufig gestoppt wird. "Diese Regelung hat keinen relevanten Anwendungsbereich", heißt es in dem bereits am 6. September verfassten Schreiben, das der SZ vorliegt. Denn solche Fehler führten schon jetzt "nicht zu einem Erfolg im einstweiligen Rechtsschutzverfahren".
Die Hauptkritik des erfahrenen Praktikers richtet sich gegen eine Regelung, wonach die Gerichte zu einem "frühen ersten Termin" laden sollen, auch um die Möglichkeiten einer einvernehmlichen Lösung auszuloten. "Diese Überlegungen beschreiben einen idealtypischen Verfahrensablauf, an der Realität gehen sie vorbei", schreibt Korbmacher. Denn nach einem langen Planungsverfahren mit Beteiligung der Öffentlichkeit bestehe normalerweise überhaupt kein Spielraum für einen gerichtlichen Vergleich mehr. "Ziel der Klage ist in diesen Fällen die dauerhafte Vorhabenverhinderung. Das gilt insbesondere für Klagen von Umweltverbänden."
Zudem bedeute so ein früher Prozesstermin - der ja nicht die eigentliche Hauptverhandlung ersetze - einen erheblichen organisatorischen Aufwand, "der in keinem Verhältnis zum Nutzen steht". Ob ein solcher Termin sinnvoll und angemessen sei, sollte daher nach wie vor dem Gericht überlassen bleiben.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen