Freitag, 11. November 2022

Der Staat muss sich mäßigen

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Klimaaktivisten, die Straßen blockieren und Kunstwerke mit Lebensmitteln bewerfen: Für diesen zivilen Ungehorsam fordern nicht wenige Politiker nun härtere Strafen. Der Jurist Bijan Moini hält das für opportunistisch und für nicht zielführend.

Die Reaktionen auf die Klimaproteste der Letzten Generation eskalieren schneller als die Proteste selbst. Politiker*innen fast aller Parteien fühlen sich zu teils heftiger Kritik bemüßigt. Bundesinnenministerin Faeser unterstützte auf Twitter ein hartes Durchgreifen der Polizei, Bundesjustizminister Buschmann zählte schon mal in Betracht kommende Straftatbestände auf.

Der ehemalige Bundesverkehrsminister Dobrindt setzte noch einen drauf und will mit harten Strafen die Entstehung einer – Zitat – „Klima-RAF“ verhindern. Seine Fraktion hat dazu gestern im Bundestag einen Antrag eingebracht, der für die speziellen Formen des Klimaprotests künftig Freiheitsstrafen statt Geldstrafen verlangt – als hätten Strafverschärfungen jemals ein Problem gelöst.

Die Politik handelt opportunistisch

Warum diese Zuspitzung, diese Empörung? Und wohin führt sie uns? Die Frage nach dem Warum ist rasch geklärt: Es ist der Opportunismus aufseiten der Politik. Aus weit niederen Motiven geschieht in diesem Land tagtäglich vielfach Schlimmeres als Blockaden und Gemäldeschmierereien, ohne dass sich jemand laut empört.

Aber in der Kritik am Klimaaktivismus weiß die Politik das Wahlvolk gegen die Störenfriede nahezu vereint und drischt deshalb rhetorisch auf sie ein, als ginge es um al-Qaida.

Verdrängt ist, dass die Letzte Generation für ein Anliegen zivilen Ungehorsam übt, dessen Dringlichkeit niemand bestreiten kann. Sie handelt nicht primär für sich, sondern drängt auf die Rettung unseres Planeten.

Wozu die aggressive Rhetorik der Politelite führt, wurde jüngst in München deutlich: Zwölf Aktivist*innen sitzen dort in Haft. Ohne Strafurteil, als polizeiliche Präventivmaßnahme. Und das für 30 Tage, nur weil sie angekündigt haben, weitere Staus zu verursachen.

Präventivgewahrsam ist unverhältnismäßig

Der Präventivgewahrsam ist zwar im Gesetz vorgesehen, doch Bayern hat bundesweit die härteste Regelung dazu getroffen. Bis zu zwei Monate lang dürfen dort Menschen vorsorglich inhaftiert werden, während in anderen Bundesländern die Höchstgrenze bei zwei Wochen liegt.

Die bayerische Regelung ist schon für sich genommen unverhältnismäßig, erst recht aber ist es ihre Anwendung auf die jüngsten Aktionen. Wer sich für besseren Klimaschutz einsetzt und dazu den Verkehr blockiert, gehört dafür nicht weggesperrt. Da sind die Maßstäbe völlig verrückt.

Ja, die Proteste der Letzten Generation provozieren. Manche Aktion ist womöglich strafbar und wird auch bestraft werden. Doch solange die Aktivist*innen sich diesen Strafen stellen und solange sie friedlich bleiben, muss nicht alles, was illegal ist, auch illegitim sein.

Demokratische Prozesse scheitern am Klimaschutz

Ich muss zugeben, dass ich in Blockaden und Schmierereien trotz aller taktischen Erfolge keine zielführende Strategie erkennen kann. Doch was ist die Alternative? Es ist nicht besonders überzeugend, die Aktivist*innen schlicht auf eben jenen demokratischen Prozess zu verweisen, der am Klimaschutz Tag für Tag so kläglich scheitert – und das seit Jahrzehnten.

Auf einen Prozess, der zu kurzfristig schmerzhaften, langfristig aber heilsamen Einschnitten nicht ausreichend in der Lage ist. Der uns zurasen lässt auf Fluten, Stürme, Massenflucht, Krankheiten und Tod. Der junge Menschen sehr viel mehr leiden lassen wird als alte.

Die Letzte Generation wird nicht nachlassen. Ihren Forderungen – einem Tempolimit von 100 km/h und dem 9-Euro-Ticket – wird der Staat nicht nachgeben. Da ist es umso wichtiger, dass die Staatsgewalt sich mäßigt. Präventivhaft für Stauverursacher ist der völlig falsche Weg, politisches Geschrei nach hohen Strafen Gift. Denn die Letzte Generation ist gerade keine RAF. Ihre gewaltsame Unterdrückung aber könnte sie dazu machen.

Bijan Moini ist Rechtsanwalt und Politologe und leitet das Legal Team der Gesellschaft für Freiheitsrechte. Nach dem Rechtsreferendariat in Berlin und Hongkong arbeitete er drei Jahre für eine Wirtschaftskanzlei. Dann kündigte er, um seinen Roman „Der Würfel“ zu schreiben (2019, Atrium). Zuletzt erschien von ihm bei Hoffmann und Campe „Unser gutes Recht. Was hinter den Gesetzen steckt“ – ein anekdotischer Überblick über das, was unsere Gesellschaft zusammenhält.

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