Vielen Dank an den Südkurier für diesen sehr gelungenen Kommentar in einer wirklich entwürdigenden, haßerfüllten Zeit voller polemischer Auswürfe.
Südkurier 07.11.2022 |
Es passt einfach zu schön ins Bild: Die Letzte Generation macht den Autofahrern schon seit Monaten das Leben schwer, dann ruinieren die Klimaaktivisten mutwillig kostbare Gemälde – und jetzt töten sie auch noch eine Radfahrerin! Man könnte schon fast den Eindruck gewinnen, die Klimaprotestierer hätten selbst am Steuer des Betonmischers gesessen und die Frau mutwillig ins Visier genommen. So einhellig ertönt das Halali zur Jagd auf die Klimaradikalen.
Das ist – bei aller berechtigter Kritik an der Letzten Generation – nicht in Ordnung: Wie sich inzwischen herausgestellt hat, wollte die Notärztin nämlich ohnehin nicht auf das im Stau stehende Feuerwehrauto warten. Statt den Betonmischer anzuheben, entschied sie, dass das Unfallfahrzeug vom Opfer runterfahren sollte. Aus medizinischen Erwägungen.
Bevor man ein Urteil fällt, sollte man besser die Fakten prüfen. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Allerdings konnte man auch schon zuvor mehrfach den Eindruck gewinnen, dass es bei der Bewertung der Letzten Generation mit den Fakten nicht so genau genommen wird. Immer wieder war davon zu lesen, dass Kartoffelbrei und Tomatensuppe direkt auf den Van Gogh gekippt wurden. Tatsächlich befanden sich die attackierten Gemälde aber hinter Glas. Im Aufschrei der allgemeinen Empörung ging dieser wichtige Fakt allerdings unter.
Nicht mehr nett und niedlich
Es scheint, als ob die Anhänger der Letzten Generation mehr Hass auf sich ziehen als andere Klimaaktivisten. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Was sie im Schilde führen, ist zwar nicht radikaler in den Zielen, aber doch deutlich rücksichtsloser im Umgang mit der Öffentlichkeit, als dies Fridays for Future praktiziert. Die Fridays sind bunt, jung, engagiert. Das einzige, was man den demonstrierenden Kindern und Jugendlichen vorwerfen kann, ist, dass sie fürs Klima die Schule schwänzen. Im schlimmsten Fall Pech für sie.
Bei der Letzten Generation sieht das anders aus: Das Festkleben am Straßenbelag bezweckt wie das Beschmieren von Kunst und Gebäuden geradezu, dass andere gestört, belästigt und erschreckt werden. Statt nett und niedlich, wollen sie nervig und abstoßend sein, weil sie davon ausgehen, dass sonst nichts vorangeht beim Klimaschutz.
Watsche vom Expertenrat
Ganz falsch liegen die Klimaradikalinskis nicht: Vom Klimagipfel in Ägypten erwartet schon zu Beginn keiner mehr etwas. Das 1,5 Grad-Ziel ist praktisch aufgegeben, auch wenn das offiziell keiner sagen mag. Das 2-Grad-Ziel verschwindet ebenfalls zusehends außer Reichweite. Deutschland ist keinen Deut besser als der Rest der Welt: Gerade erst hat der unabhängige Expertenrat die deutschen Klimaschutzbemühungen als unzureichend abgewatscht. Sein Fazit: Unwahrscheinlich, dass Deutschland sein Ziel, den Ausstoß an Treibhausgasen bis 2030 um mindestens 65 Prozent im Vergleich zu 1990 zu senken, noch einhalten kann. Trotzdem waren die Fridays-Proteste auch ein großer Erfolg: Vor allem ihnen ist es zuzuschreiben, dass sich inzwischen fast alle politischen Parteien die Klimaneutralität auf die Fahnen geschrieben haben. Die Prämisse, friedlicher Protest bringe nichts, trifft also nicht zu.
Außerdem stellt sich die Frage, was durch beschmierte Bilder und blockierte Straßen anders werden soll. Die vergangenen Wochen haben gezeigt, wie groß das Unverständnis gegenüber diesen Aktionen ist. Wenn sich alle über Tomatensuppe auf Kunst aufregen, führt das nicht zu klimafreundlicherem Verhalten, und schon gar nicht zu Sympathie für die Klimaaktivisten und ihre Ideale. Während viel von Gesetzesverschärfungen die Rede ist, müssten die Anhänger der Letzten Generation also vor allem mit sich selbst ins Gericht gehen: Was bringt diese Form des Protests – außer einer Menge Ärger und noch mehr Unverständnis?
angelika.wohlfrom@suedkurier.de
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