Montag, 28. November 2022

Die Blockaden der „Letzten Generation“ sind ein Segen für die Mobilitätswende

 DREHMOMENT  hier  Don Dahlmann  28 Nov 2022

Seit Wochen teilen die Verkehrsblockaden junger Klimaaktivisten Deutschland in zwei Lager. Dabei sind die Proteste hilfreich für die Mobilitätswende – denn sie offenbaren ein massives Problem.

Die Protestaktionen von Klimaaktivisten der Gruppe „Letzte Generation“ erhitzt die Gemüter. Soll es strafbar sein, sich auf der Straße festzukleben? Sollen Demonstranten ins Gefängnis gesteckt werden, wenn sie absichtlich den Verkehr behindern? Es gibt nicht wenige Menschen, die das befürworten. Vor allem jene, die in den Staus stehen, die durch die Blockaden verursacht werden. Der Ärger der Befürworter ist ebenso verständlich wie die Wut der meist jungen Aktivisten, die ihre Lebensgrundlage durch die Klimakrise bedroht sehen. Der Konflikt teilt Deutschland in zwei Lager.

Nun ist Protest immer unbequem. Das soll er auch sein, andernfalls ist er zwecklos. Dass der Verkehr im Zentrum der Aktivisten steht, ist auch kein Zufall. 26 Prozent aller CO₂-Emissionen in der EU werden verursacht durch den Autoverkehr. Weltweit sind es knapp 18 Prozent. Gelänge es, diese Emissionen gen null zu drücken, wäre man dem Ziel näher, das erhoffte 1,5 Grad-Ziel zu erreichen. Daher ist es nachvollziehbar, dass sich der Protest derzeit mit aller Härte gegen den Verkehr wendet.

Die Proteste greifen zu kurz

Das Interessante an den Protesten: Sie zeigen die Grenzen der Infrastruktur auf. Gut platzierte Manöver auf Ausfallstraßen genügen, um erhebliche Verkehrsprobleme zu provozieren. Das veranschaulicht zwei Dinge: Erstens ist die Verkehrsinfrastruktur schon heute bis weit über ihre eigenen Grenzen belastet. Zweitens hat sich die Gesellschaft zu lange auf das Auto als alleiniger Problemlöser verlassen.

Der Pendelverkehr zwischen Außenbezirken und Städten hat in den vergangenen Jahren erheblich zugenommen. Die jüngste Erhebung der Arbeitsagentur aus dem Juni 2021 weist 13,3 Millionen Menschen aus, die ihren Wohnkreis verlassen, um in einem anderen Kreis der Arbeit nachzugehen. Das entspricht mehr als 40 Prozent aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Vor allem in den großen Metropolen wie Berlin und München hat die Zahl in den vergangenen Jahren zugenommen.

Ein Grund sind die gestiegenen Mieten, die viele Familien zum Umzug in Randbezirke und Vorstädte zwingt. Anders als im Zentrum ist der öffentliche Nahverkehr dort jedoch kaum bis gar nicht vorhanden. Die Folge: Menschen sind umso mehr auf ein Auto angewiesen, um zur Arbeit zu kommen. Selbst in Städten wie in Berlin, wo die Zahl der Autos pro 1.000 Einwohner immer noch deutlich niedriger ist als im übrigen Bundesgebiet, führt die gestiegene Anzahl der Fahrzeuge zu massiven Verkehrsproblemen. 

Die Infrastruktur muss sich ändern

Die Proteste der Gruppe „Letzte Generation“ legen also schonungslos offen, wie schlecht es um die Alternativen zu Autos bestellt ist. Es gibt sie schlichtweg nicht. Das macht die Proteste im Grunde überflüssig, schließlich wird sich so schnell nichts an der Dominanz des Autos ändern. Aber sie helfen, ein Schlaglicht auf die Probleme zu werfen. Womöglich hilft das geplante 49-Euro-Ticket. Es macht das Pendeln mit der Bahn attraktiver und ist deutlich günstiger als ein Auto. In Zeiten, in denen vor allem die Energiepreise steigen, zählt für viele Familien jeder Euro und hier wird das Ticket eine Entlastung bringen. Aber es wird nicht die fundamentalen Probleme lösen, die wir mit dem Verkehr haben.

Denn eines ist klar: Der Autoverkehr aus Vorstädten und Speckgürteln wird nicht von heute auf morgen eingedämmt werden können. Das Augenmerk der Politik muss daher darauf liegen, den Verkehr in Innenstädten spürbar zu reduzieren. Für Kommunen und Städte ist das auch keine unlösbare Aufgabe: Schon jetzt haben sie verschiedene Mittel, beispielsweise die Umwandlung oder Sperrung von kleinen Seitenstraßen oder die Erhöhung der Parkgebühren. Auch die Förderung bisher unterrepräsentierter Mobilitätsformen wie Carsharing, E-Mopeds und Fahrräder ist noch längst nicht ausgeschöpft.

Und genau darin steckt die eigentliche Botschaft von Klimaaktivsten wie der Gruppe „Letzte Generation“: Sie offenbaren nicht nur die Probleme, die viele Städte mit dem Verkehr haben. Sie zeigen auch, dass viele Verwaltungen noch immer zu zögerlich sind, wenn es darum geht, endlich etwas gegen den klimaschädlichen Autoverkehr in den Städten zu tun. Dafür sollten wir dankbar sein.


Don Dahlmann ist seit über 25 Jahren Journalist und seit über zehn Jahren in der Automobilbranche unterwegs. Jeden Montag lest Ihr hier seine Kolumne „Drehmoment“, die einen kritischen Blick auf die Mobility-Branche wirft.



Kommentar bei RND  hier  Steven Geyer  25.11.2022

Immer Ärger mit der „Letzten Generation“: Die Empörung ist entlarvend


Manche Aktionen der Klima­protest­gruppe der „Letzten Generation“ sind gefährlich, strafbar und falsch – zuletzt die Blockade des Berliner Flughafens. Doch darüber herrscht längst breiter Konsens. Die Empörung darüber ist also banal – und wird von unseren Enkeln und Urenkeln womöglich ganz anders bewertet, kommentiert RND-Hauptstadt­korrespondent Steven Geyer.

Die Aktionen der „Letzten Generation“ eskalieren, die Hysterie darum ebenfalls – nur eins nicht: der Klimaschutz. Ohne Frage darf man für keine noch so gute Sache Straftaten begehen oder Menschen gefährden. Das gilt besonders für die jüngste Aktion der Protest­gruppe, sich aufs Rollfeld des Berliner Flughafens zu kleben. Erstens ist dort die Sicherheit so sensibel, dass leicht mit Menschenleben gespielt wird; zweitens ist eine Klimaschutz­aktion, die durch umgeleitete Flüge Klimaschäden verursacht, in sich unsinnig.

Was die Empörung entlarvt

Darüber herrscht aber so großer Konsens, dass die empörten Mahnungen an die Aktivistinnen und Aktivisten bestenfalls banal sind. Womöglich beweisen die Aufregung und die Rufe nach Strafverschärfung und Vorbeugehaft sogar, dass diese radikale Minderheit einen wunden Punkt trifft.

Sie entlarvt, dass der Aufschrei über bekleckerte Kunst unter Bildungs­bürgern größer ist als über wissenschaftliche Prognosen, wonach in wenigen Jahrzehnten Missernten und Unwetter einen vielfachen Wert der Gemälde vernichten.

Sie zeigt, dass Deutschland jahrzehnte­lang im Stau stecken und debattieren kann, wie sich Inlands­flüge minimieren lassen, sich aber eher zu Auto­korsos gegen Spritpreise aufrafft als zu einer Verkehrs­wende.

Die Störungen sind winzig im Vergleich zum Klimawandel

Sie führt vor Augen, wie unangenehm schon diese fiesen kleinen – im Fall des BER auch falschen – Störungen unseres Alltags sind, obwohl sie winzig sind im Vergleich dazu, wie der Klimawandel den Alltag unserer Enkel und Urenkel stören wird.

Wahrscheinlich bremst die „Letzte Generation“ die Erderwärmung nicht – schon, weil mehr über ihre Aktionen debattiert wird als über Klimaschutz. Trotzdem könnten künftige Generationen befinden, dass die Aktivistinnen und Aktivisten mit ihrem Ungehorsam auf der richtigen Seite der Geschichte standen, ihre Verzweiflung gerechtfertigt und unsere Prioritäten falsch waren.

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