SZ Klimafreitag <klimafreitag@newsletter.sueddeutsche.de> 25. November 2022
Diese Woche zogen vor meinem Balkonfenster gelegentlich Bäume vorbei. Nein, keine Baumstämme fürs Sägewerk, sondern lebendige Bäume, mit Blättern, Wurzeln und allem. Dazu muss man wissen, dass ich in einem Neubaugebiet wohne, das seit einigen Jahren praktisch keinen Baum, dafür aber sehr viele Bagger, Kräne und anderes Großgerät gesehen hat. Doch seit ein paar Tagen landen hier Lastwagenladungen an Laubbäumen an, damit nach vielen hohen Gebäuden endlich auch ein Park angelegt werden kann. Diese Bäume fahren Arbeiter dann mit Gabelstaplern – an meinem Fenster vorbei – dorthin, wo sie eingepflanzt werden.
Bei diesem Anblick wandernder Bäume musste ich spontan an ein Kinderbuch über „Mog, den Kater“ denken. Darin trägt Mogs Besitzer einen Weihnachtsbaum nach Hause, was Mog so erschreckt („Bäume laufen doch nicht!“), dass er aufs Dach flüchtet. Zum Glück habe ich keine Katze.
Man kann Bäume aber auch aus anderen Gründen kritisch sehen. Das zeigt der kürzlich erschienene „Land Gap Report“, der sich mit Aufforstungen für den Klimaschutz auseinandersetzt. Viele Regierungen setzen in ihren Klimaplänen verstärkt darauf, Bäume anzupflanzen. Denn diese binden während ihres Wachstums mithilfe der Photosynthese Kohlenstoff aus der Luft, entnehmen der Atmosphäre also Treibhausgase. Daher werden solche Klimaschutzmaßnahmen auch als „landbasierte CO₂-Entnahme“ (CDR) bezeichnet.
Für den neuen Bericht haben Wissenschaftler unter anderem der Universität Melbourne diese Versprechen genauer angesehen – und zusammenaddiert: Um so viele Bäume zu pflanzen, wie es die nationalen Klimaziele vorsehen, wäre demnach eine Fläche von 1,2 Milliarden Hektar nötig. Das ist fast die vierfache Fläche Indiens und annähernd so viel Land, wie weltweit für den Anbau von Nahrungsmitteln zur Verfügung steht. Daher schätzen die Forscher, dass für mehr als die Hälfte dieser anvisierten Aufforstungsfläche andere Nutzungen wohl zurücktreten müssten. Kleinbäuerliche Betriebe oder indigene Gruppen würden Land abgeben müssen, was zahlreiche ethische und soziale Fragen aufwirft.
Insgesamt schätzen die Forscher die auf dem Papier angestrebten Aufforstungsflächen als unrealistisch hoch ein. Und sie kritisieren, dass viele Regierungen diese meist vagen Pläne zur künftigen Kohlenstoffentnahme lediglich als Feigenblatt nutzen würden, um kurzfristig kaum etwas am Verbrauch fossiler Brennstoffe ändern zu müssen. Ohnehin ließen sich fossile Emissionen nicht eins zu eins mit in Ökosystemen gespeichertem Kohlenstoff ausgleichen. So dauert es Jahrzehnte, bis neu gepflanzte Bäume die nötigen Mengen Kohlenstoff binden. Zum anderen bieten die häufig als Monokulturen angelegten Baumplantagen längst nicht den gleichen Grad an Artenvielfalt und sind zudem deutlich anfälliger gegenüber Extremwetter als bestehende Wälder.
Deren Schutz – vor allem von primären Urwäldern – wäre laut den Forschern besser, als große Flächen neu zu bepflanzen. Auch die Wiederherstellung von stark zerstörten Waldflächen sei vielversprechend, was immerhin mehr als 500 Millionen Hektar ausmachen könnte. Vor allem aber dürften zukünftige Kohlenstoffentnahmen nicht von einer Senkung der Emissionen in der Gegenwart ablenken.
Ob die neu gepflanzten Bäume in meiner Nachbarschaft auch irgendwelche Klimabilanzen aufhübschen, kann ich leider spontan nicht beantworten. Ich freue mich trotzdem über jeden einzelnen von ihnen.
Viele Grüße sendet
Christoph von Eichhorn
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