Donnerstag, 24. November 2022

Klima-Protestaktionen: „Wir verurteilen, was verurteilt werden will“

Da lässt sich nichts mehr hinzufügen. Ich liebe diesen Beitrag!

Berliner Zeitung hier  Author - Franziska Hauser  23.11.2022

Was ist das Ziel der Straßenblockaden der „Letzten Generation“? Unsere Autorin meint: Es geht nicht um Akzeptanz – sondern darum, endlich gehört zu werden.

Gendern, Impfen, kulturelle Aneignung, Krieg, unverschämte Klimaaktivisten. Meist habe ich es geschafft, beim Versuch, mir eine Meinung zu diesen Themen zu erarbeiten, auch die andere Seite zu sehen und zu differenzieren. Aber eine autofreie Innenstadt wünsche ich mir schon, seit ich das Wort Auto sagen kann. Ich wuchs in Pankow an der B96 auf. Keine Ahnung, ob man es als Widerstand gelten lassen kann, dass ich mich im Trabbi ständig übergeben habe, bis man ihn nicht mehr mit geschlossenen Fenstern benutzen konnte. Ich wagte es zwar nicht, den Autoschlüssel in einen Gully zu werfen, war aber immer froh, wenn das Getriebe versagte und wir mit der Straßenbahn fahren mussten. Auch Stau fand ich gut, weil ich hoffte, zu spät in die Schule zu kommen.

Überhaupt hat mich jede durcheinandergebrachte Ordnung fasziniert. Kurz öffneten sich Türen zu unendlich vielen Möglichkeiten, die aber von den Erwachsenen aus irgendwelchen Gründen für gefährlich gehalten und schnell wieder abgeriegelt wurden. Diese verbotene Freude, wenn etwas nicht funktionierte in dem System, in dem ich nicht mitmachen wollte, fiel mir wieder ein, als ich neulich morgens über die von Klimaaktivisten blockierte Kreuzung zur Arbeit radelte. Die Nasen am Kühler saßen sie da, mit traurigen Gesichtern, hielten die Köpfe hin, um zu sagen, dass sie sich in ihren Bedürfnissen ignoriert fühlen.

Ich wollte als Kind nicht zur Schule und verweigerte die Nahrungsaufnahme, bis ich im Krankenhaus vorm Verhungern gerettet werden musste, und ich wollte nicht mit dem Auto fahren und spuckte meine Nahrung darin aus. Aber wenn meine Schwester etwas nicht wollte und gegen die Übermacht der Eltern nicht ankam, dann machte sie was kaputt. Etwas, von dem sie ganz genau wusste, dass sie es verdammt nochmal nicht anzufassen hatte!

Die Klimaaktivisten sind Kinder unserer Gesellschaft, fühlen sich ignoriert im Kampf um ihre Zukunft und werden vermutlich keine Ruhe geben, sondern weiter nerven, da, wo es uns am meisten wehtut, bis sie am Tisch der Erwachsenen mitreden dürfen. Inzwischen habe ich selbst Kinder, sogar Enkelkinder, und weiß: Man kann einem unartigen Kind eine runterhauen, man kann es einsperren, ins Heim stecken, oder ihm zum hundertsten Mal erklären, dass es gefälligst nichts kaputt machen soll. Man kann ihm aber auch zuhören, um herauszufinden, wie sich ein Kompromiss finden lässt.

Die Aktivisten wollen inakzeptabel sein

Mein Sohn lehnte es mit 13 ab, in einem Werbespot für RWE einen Haufen Taschengeld zu verdienen, nachdem er sich selbständig über den Energiekonzern informiert hatte. Jetzt ist er Zimmermannsmeister, Vater, Hobbygärtner, Hobbybäcker, Lastenradfahrer und auf dem Arbeitsmarkt schwer gefragt. Hätten wir nicht eh zu wenig junge Leute im Verhältnis zu den vielen alten, könnte man die Klima-Nervensägen leichter einsperren.

Blöd auch, dass sie eben doch keine Kinder mehr sind, sondern gut ausgebildete Menschen, denen wir nichts anbieten können, womit sie sich bestechen ließen. Was auch nicht hilft, ist von ihnen zu verlangen, sich unsere Gunst zu erkämpfen. Denn: Nicht mal akzeptiert werden wollen sie. Sie wollen inakzeptabel sein und Inakzeptables tun. Sie lassen sich freiwillig beschimpfen und verklagen, dabei sollten unsere Kinder es doch gut haben. Schließlich haben wir dafür gesorgt, dass sie sich jetzt nicht mit Existenzkämpfen herumschlagen müssen. Aber statt dankbar zu sein, nutzen sie ihre Wohlstands-Privilegien, um unsere Ordnung durcheinanderzubringen.

Sie bringen uns auf die Palme, indem sie antäuschen, kostbare Kunstwerke zu zerstören. Und bei der Blockade unserer geliebten Autos werden wir aber wirklich stinkig und verlangen Strafen, ohne zu erkennen, dass wir verurteilen, was verurteilt werden will. Denn es geht ja den Aktivisten nicht darum, Sympathie hervorzurufen, sondern Emotionen für die Zerstörung dessen, was uns lieb und teuer ist. Bisher hat das auch gut geklappt. Die Frage ist nur, wohin das jetzt führen soll.

Alle Aktivisten einsperren? Dann wäre der Krieg vermutlich unaufhaltsam eröffnet. Die kluge Politik sollte auf die Aktivisten zugehen, sie einbeziehen, bevor es zu spät ist und die Fronten radikaler werden.

Dass es viel mehr Fußgängerzonen, Fahrradstraßen und verkehrsberuhigte Gebiete geben und dem privaten Autoverkehr ziemlich viel Platz weggenommen werden muss und dass es, so wie es ist, nicht weitergehen kann, ist den meisten klar. Es geht aber doch so weiter trotz der Proteste, an die wir uns inzwischen gewöhnt haben. Nicht mal Schulstreiks konnten etwas ausrichten, sondern werden nur akzeptiert.

Ob eine Protestaktion beliebt oder unbeliebt ist, hat in der Geschichte kaum Einfluss darauf gehabt, ob sie erfolgreich war oder nicht, und vermutlich werden es nicht die Aktivisten sein, die sich in ein paar Jahren für ihr Handeln rechtfertigen müssen.

Wütende Autofahrer behaupten, die festgeklebten Aktivisten würden das Gegenteil bewirken. Aber was wäre das Gegenteil? Dass man für Umweltzerstörung und gegen Klimaschutz ist, nur weil ein paar Leute etwas machen, was man doof findet? Oder ist das Gegenteil, dass die Angst vor Veränderungen und davor, dass einem was weggenommen wird, noch panischere Ausmaße annimmt?

Ein Plan, den keiner hört: Friedliche Protestaktionen werden ignoriert

Einer der Dialoge zwischen einem blockierten Autofahrer und einem Radfahrer am Rosa-Luxemburg-Platz früh um acht ging ungefähr so: Und wenn ein Krankenwagen kommt? Der kann doch gar nicht durch, wenn die Idioten hier sitzen! – Quatsch, der Krankenwagen kann nicht durch, weil die Autos hier stehen! Deshalb kann der nicht durch. – Und wogegen protestieren die Idioten hier? – Dass die Autos hier stehen! – Ey, das ist doch Freiheitsberaubung! – Wieso? Hält dich doch keiner fest. Du stehst hier draußen an der frischen Luft. Guck mal, Fahrrad! Das ist Freiheit! – Jaja, fahr ma weiter, du mit deinem Zweirad! – Mach ich auch. Ich fahr weiter!

Es gibt ein paar Schimpfende, es gibt aber auch Leute, die aus den Autos steigen, nach vorne gehen, sich hinknien, nach konkreten Forderungen fragen und danach, was die Aktivisten eigentlich so arbeiten, wenn sie nicht auf der Straße sitzen. Es stellt sich heraus, dass enorm viele in Berufen arbeiten, die neue Umwelttechnologien entwickeln, und dass sie keine unrealistischen Forderungen haben, sondern ganz vernünftige. Sie erzählen von jahrelangen friedlichen Protestaktionen, die akzeptiert und eben auch ignoriert blieben. Sie haben einen Plan und wollen, dass man den hört.

Gewaltfreiheit ist immer die oberste Priorität. Aber der Straßenverkehr selbst ist nun mal nicht gewaltfrei. Der Straßenverkehr ist eine permanente Verletzung des Lebens. Durchschnittlich 2500 Verkehrstote im Jahr nehmen wir in Deutschland inzwischen als Naturgesetz hin. Aber falsch parkende Autos sind auch Festgeklebte und werden nicht verklagt wegen mutwilligen Blockierens der Rettungsfahrzeuge.

Die Aktionen erzeugen nicht nur Wut. Jede Bewegung erzeugt auch eine Gegenbewegung. Je stärker die Bewegung, umso stärker auch die Gegenbewegung. Ein physikalisches Gesetz. Und Bewegung brauchen wir, um etwas zu ändern. Straftat hin oder her, jetzt ist wenigstens zu spüren, dass eine richtig große Kraft dahintersteckt. Und vielleicht geht es gerade erst richtig los. Inzwischen kleben sich „Klima-Mütter“ an das Saurierskelett im Naturkundemuseum. Vielleicht ist es wie die Ice-Bucket-Challenge. Irgendwann sagen wir zueinander: „Was? Du warst noch nie angeklebt?“

Aber so weit sind wir nicht. Störe nie ein laufendes System, sagen wir, und dass es jeder mit seinem eigenen Gewissen vereinbaren muss, was er ganz privat gegen den Klimawandel tun möchte oder eben nicht. Dabei kann man es inzwischen eigentlich niemandem mehr zumuten, die heranrollenden Klimaveränderungen mit seinem eigenen Gewissen zu vereinbaren.

Kartoffelbrei und Tomatensoße bringen Aufmerksamkeit

Dass es von „Ende Gelände“ im August über drei Tage hinweg Kleingruppenaktionen und mehrere Massenaktionen mit Straßen- und Schienen-Blockaden gab, weiß kaum jemand. Eine der Aktionen hat den LNG-Hafen in Wilhelmshaven thematisiert, der in vielerlei Hinsicht ein unerträglicher Umweltfehler ist. Dass da Leute, die in studierten Berufen versuchen, etwas für unser Klima zu tun, oft verzweifelt gegen politische Mauern rennen, neben ihrer Arbeit diese riesigen Camps organisieren und finanzieren, was ein unglaublicher logistischer Aufwand ist, wird nur vor Ort registriert.

Unbezahlt und unbezahlbar werden da an einem Tag Duschtürme, Waschstrecken, Konferenzzelte mit Simultanübersetzungsanlangen in mehreren Sprachen, eine Freiluftküche mit Essen für 2000 Leute aufgebaut. Es gibt Handyladestationen, einen Orga-Bus, ein Info-Zelt, eine Bühne, Musik, Animationsgruppen, Notfalltraining und Essen, Essen, Essen, wie für ein Festival, nur, dass hier alle kostenlos arbeiten. Und was sie erreichen wollen ist manchmal nur, dass die Schiffe umgebaut werden, damit nicht tonnenweise Chlor ins Meer kommt.

Berichtet wird über solche vernünftigen und verträglichen Aktionen kaum. Aber worüber wirklich alle Bescheid wissen, ist: Kartoffelbrei und Tomatensoße auf Gemälden. Die schwer beleidigte Museumsdirektion bestraft die Besucher und schließt für eine Weile. Offenbar war es an der Zeit, dass Klimaaktivisten die heilige Kunstwelt mit ihren eigenen kreativen Mitteln angegriffen haben. Damit ist ein Bereich erschlossen, in dem noch viel zu viele denken, sie könnten sich oder man müsste die Kunst da raushalten. Hier ist eine inakzeptable Grenze erreicht und eine Protestform eröffnet, die allen an den Kragen geht.

Wenn sich Aktivisten jahrelang in friedlichen Aktionen engagiert haben, die von der Öffentlichkeit ignoriert wurden, dann ist es eigentlich ein Wunder, dass nicht viel mehr von ihnen viel eher richtig sauer geworden sind. Wenn unsere Enkel fragen werden, warum wir eigentlich nicht aufgehört haben, auf ihre Kosten zu leben, werden wir vielleicht sagen: „Wir wussten ja nicht, wie schlimm es wird“ oder „Wir konnten ja nichts machen“.

Nur leider werden sie uns beweisen können, dass wir es gewusst haben. Und dass wir viel mehr hätten tun können, lässt sich auch nicht leugnen. Wenn wir sagen: „Wir konnten ja nicht Rad fahren wegen der ganzen gefährlichen Autos auf den Straßen“, dann werden sie das schon einsehen. Worin wir unsere größten Hoffnungen setzen sollten, sind sicherlich gezielt angepasste Lösungen. Und sicherlich werden wir für solche Lösungen kluge und engagierte junge Menschen brauchen, deren Fähigkeiten und Ambitionen nicht an Klebeblockaden verschwendet werden dürfen.

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