Vom Österreichischen Standard hier Jakob Pallinger, Florian Koch 28. August 2022
Kaum jemand traut sich heute noch, den menschengemachten Klimawandel zu leugnen. Stattdessen versuchen einige Unternehmen und Politiker, den Klimaschutz zu verzögern. Ihre Argumente sind meist ähnlich
Geht es darum, wer die Verantwortung für den Klimawandel trägt, wird mit dem Finger schnell auf China gezeigt. "Schaut euch China an, wie schmutzig es ist", sagte der ehemalige US-Präsident Donald Trump 2020 als Verteidigung für seine Entscheidung, aus dem Übereinkommen von Paris auszusteigen. "China stößt mehr Emissionen aus als die OECD zusammen", zitierte auch die österreichische Wirtschaftskammer im vergangenen Jahr eine Studie. Das dahinterliegende Narrativ: Warum sollten wir unsere Emissionen reduzieren, wenn China ohnehin weiter Unmengen an CO2 in die Luft bläst?
Tatsächlich ist China seit 2008 der größte CO2-Emittent der Welt. Rund 30 Prozent der globalen Emissionen verursachte das Land 2019. Im Vergleich dazu erscheint Österreichs Anteil am weltweiten CO2-Ausstoß mit 0,22 Prozent geradezu verschwindend gering.
Aber ganz so einfach ist die Rechnung nicht. Denn China ist mit seinen 1,4 Milliarden Einwohnern auch das bevölkerungsreichste Land der Welt. Berechnet man den CO2-Ausstoß pro Kopf, landet China mit 7,1 Tonnen CO2 auf Platz 48. Zum Vergleich: Österreich kommt im Schnitt auf acht Tonnen CO2 pro Kopf, die USA auf 15 Tonnen, Katar auf 32 Tonnen.
Und weil Kohlenstoffdioxid lange in der Atmosphäre bleiben kann, zählt auch, wer in den vergangenen Hunderten Jahren wie viele Emissionen verursacht hat. An den CO2-Emissionen zwischen 1750 und 2019 hat Europa einen Anteil von einem Drittel, China lediglich 14 Prozent. Das Land hat viel später angefangen, signifikante Mengen an CO2 zu produzieren.
Nicht zuletzt sind auch die Emissionszahlen eines Landes verzerrt: Gemessen wird meist, welche Emissionen innerhalb der Landesgrenzen entstehen. China exportiert jedoch nach wie vor viele seiner Waren nach Europa. Bezieht man die Exporte und Importe eines Landes in den CO2-Ausstoß mit ein, sinken Chinas CO2-Emissionen um rund zehn Prozent, während etwa jene Österreichs um 35 Prozent steigen.
Letzten Endes geht es aber nicht darum, Sündenböcke zu erschaffen, sondern dass jedes Land seinen Beitrag leistet, sagen Expertinnen. Die ernüchternde Wahrheit: Derzeit befindet sich kein Land auf Schiene, die Klimaerwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen.
"Wir haben schon so viele Erneuerbare"
Es gibt kaum ein Bundesland in Österreich, das sich nicht gerne mit seinen Leistungen beim Ausbau von erneuerbaren Energien brüstet. "Schon jetzt ist Niederösterreich die einzige Region in Europa ohne Kohlekraft und Atomkraft, die es schafft, 100 Prozent des Strombedarfs aus erneuerbarer Energie zu produzieren", sagte Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) vor einigen Monaten in einem Interview. Neue Windzonen soll es in dem Bundesland deshalb künftig keine mehr geben.
Auch auf die Wasserkraft wird gerne gezeigt. Rund zwei Drittel des Stroms werden damit hierzulande erzeugt. Gemeinsam mit Photovoltaik und Windkraft werden in einigen Monaten im Jahr 100 Prozent des Strombedarfs durch Erneuerbare gedeckt.
Gerade der Winter zeigt der heimischen Stromproduktion allerdings seine Grenzen auf: Die Erzeugung von erneuerbarer Energie geht zurück, der Verbrauch steigt, weil für die Beleuchtung und die Beheizung von Gebäuden mehr Strom verbraucht wird. In dieser Zeit muss Strom aus Kohle- und Atomkraftwerken aus dem Ausland importiert werden.
Um tatsächlich 100 Prozent Strom das ganze Jahr über aus erneuerbaren Energien zu beziehen, müsste Österreich laut Experten weniger Energie verbrauchen, etwa durch eine bessere Isolierung von Gebäuden oder dadurch, mehr überschüssigen erneuerbaren Strom aus dem Sommer bis in den Winter zu speichern und mehr Wind- und Solaranlagen zu bauen.
Zudem ist Strom nur ein Teil der Energierechnung. Rund ein Drittel des Endenergieverbrauchs Österreichs wird derzeit mit erneuerbaren Energien gedeckt, ein Drittel mit Erdöl und 22 Prozent mit Gas.
Fest steht: Jedes Bundesland muss auch in Zukunft weiter in Erneuerbare investieren, um Österreich bis 2040 klimaneutral zu machen. Dafür braucht es nicht nur neue Windräder im Burgenland, sondern auch in den westlichen Bundesländern, sagen Experten. Dass diese dort aufgrund der Berge wirtschaftlich nicht sinnvoll seien, wie es Tirols Landeshauptmann-Stellvertreter Josef Geisler vor kurzem formulierte, widerlegte schon eine Studie der IG Windkraft aus dem Jahr 2014. Darin heißt es: Selbst in Tirol gebe es für Windkraft durchaus Potenzial.
"Die Energiewende wird sehr viel kosten"
Öl und Gas sind der Motor unserer Wirtschaft und unseres Wohlstands, heißt es immer wieder. "Russisches Gas ist mittelfristig alternativlos. Ohne Gas drohen Produktionsstillstand und Massenarbeitslosigkeit", stand etwa in einem kürzlich geleakten internen Papier der Industriellenvereinigung. Ähnlich formulierte es FPÖ-Chef Herbert Kickl im ORF-Sommergespräch: Der Ausstieg aus den fossilen Energieträgern innerhalb so kurzer Zeit werde unglaublich teuer werden.
Man könnte die Rechnung jedoch auch umdrehen: Laut einer Studie, die im vergangenen Jahr in der Zeitschrift Environmental Research Letters veröffentlicht wurde, könnte das weltweite Bruttoinlandsprodukt in diesem Jahrhundert infolge des Klimawandels um ganze 37 Prozent sinken. Verantwortlich dafür sind Waldbrände, Hochwasser und Dürren, die der Infrastruktur schaden, aber auch der Gesundheit der Menschen.
Eine weitere Studie der Universitäten Wien und Graz von 2020 kommt zu dem Ergebnis, dass auf Österreich bei einem Nichthandeln beim Klimaschutz jährlich Kosten von rund 15 Milliarden Euro zukommen könnten. In einigen Jahren könnte diese Summe dann auf 20 Milliarden Euro steigen. Viele der Kosten, die der Klimawandel an Ökosystemen verursacht, lassen sich noch nicht einmal berechnen, sagen Experten.
Das zweite Argument ist, dass durch die Energiewende Arbeitsplätze verloren gehen. Tatsächlich werde es wohl in den nächsten beiden Jahrzehnten in Öl- und Gasunternehmen, im verarbeitenden Gewerbe und in der Lebensmittelproduktion zu Arbeitsplatzverlusten kommen, heißt es in einem Bericht der OECD. Gleichzeitig entstehen jedoch viele neue Jobs bei erneuerbaren Energien, im Dienstleistungsbereich und Baugewerbe.
Dass sich Wirtschaft und Klimaschutz nicht ausschließen, zeigt auch der jährliche Environmental Performance Index, der Länder anhand ihrer Nachhaltigkeit bewertet. In jenen Ländern, die besonders in den Klimaschutz und den Erhalt der Ökosysteme investieren, darunter Dänemark, Finnland oder Schweden, floriert auch die Wirtschaft.
"Der Konsument trägt die Verantwortung"
Unternehmen betonen gerne die Macht der Verbraucher und Konsumentinnen. Sie müssten nur die richtigen Produkte kaufen, um ein grünes Gewissen zu haben. Doch allzu oft schieben Konzerne damit Verantwortung von sich – und nutzen es zu ihrem Vorteil.
Der britische Ölkonzern Beyond Petroleum (BP) entwickelte 2004 unter Chairman Peter Sutherland einen der ersten CO2-Fußabdruck-Rechner. Eine PR-Aktion mit Wirkung: Auch heute noch berechnen Menschen, wie sich ihr Leben auf das Klima auswirkt. Dabei sind Konzerne wie BP, Chevron, Exxon Mobil und Shell seit 1965 für 35 Prozent aller energiebedingten CO2- und Methan-Emissionen verantwortlich – eine massive Verzerrung.
Was stimmt, ist, dass private Haushalte in Österreich beispielsweise einen Großteil der Emissionen verursachen, die im Gebäudesektor anfallen. Der Pro-Kopf-Verbrauch ist hierzulande hoch. Doch dem Weltklima ist es ziemlich egal, ob einzelne Menschen auf Fleisch und Flüge verzichten, nur mit dem Jutesackerl einkaufen oder die Bambuszahnbürste im Bad stehen haben. Wirksame Maßnahmen werden nicht an der Supermarktkasse beschlossen, sondern in den Unternehmen, Parlamenten und auf internationalen Konferenzen.
Einzelne tragen durchaus Verantwortung, doch nicht nur beim Einkaufen. Wo sich ihr Handeln am meisten auswirkt, ist an der Wahlurne. Dort bestimmen sie, wie wichtig ihr Land den Klimaschutz nimmt – und ob Konzerne in die Verantwortung gezogen werden. Nicht zuletzt sind es Einzelne, die den gesellschaftlichen Wandel hin zu einer klimafreundlichen Lebensweise mittragen. Eine Studie aus dem Vorjahr zeigt: Ändert ein Großteil der Gesellschaft seinen Lebensstil, könnte die EU schon 2040 klimaneutral sein – und damit zehn Jahre früher als geplant.
Nicht zu unterschätzen sind laut Forschenden auch soziale Kipppunkte: Diese werden überschritten, wenn eine engagierte Minderheit die Einstellung der Mehrheit ändert und damit weitreichende Veränderungen anstößt.
"Die Technologie wird es schon richten"
Was stimmt: Laut dem Weltklimarat IPCC können sogenannte Negativ-Emissionen dazu beitragen, die Erderhitzung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Das bedeutet, CO2 mithilfe von Technologien aus der Atmosphäre zu entfernen. In Island saugt eine Anlage mittels Direct Air Capture bereits erfolgreich CO2 aus der Luft. Auch Microsoft-Gründer Bill Gates sieht Potenzial und investiert in ein Start-up, das CO2 aus der Luft holen möchte. Norwegen will künftig CO2 mittels Carbon Capture and Storage unter der Nordsee speichern.
So schön die Technologie auch klingt: Bisher ist sie zu teuer, um großflächig eingesetzt zu werden. Zudem braucht es mitunter Jahrzehnte, bis Lagerstätten gefunden, Genehmigungen eingeholt und Anlagen aufgebaut sind. Die IPCC-Forschenden betonen deshalb, dass kein Weg um eine rasche Abkehr von Kohle, Öl und Gas herumführt. Als Argument für Kohle- oder Ölkonzerne, einfach weiterzumachen wie bisher, gelten die CO2-Sauger also nicht. Sie bleiben ein kleines Werkzeug für das Klimaproblem.
Noch umstrittener ist das Geoengineering, also Maßnahmen, bei denen die Erderhitzung mit technischen Mitteln eingedämmt werden soll. Es gibt etwa Ideen, Schwefeldioxid künstlich in die Atmosphäre einzubringen, um die Sonneneinstrahlung zu reduzieren. Sogar gigantische Spiegel im Weltall, die der Erde Schatten spenden, gehören zu den Überlegungen. Bislang bleiben diese Ideen bis auf einzelne Versuche nur Theorie.
Die Risiken solcher Maßnahmen für Klima und Umwelt sind unberechenbar. Schwefeldioxid in der Atmosphäre könnte etwa der Ozonschicht schaden oder mancherorts das Risiko von Dürre perioden erhöhen. Zudem sind solche künstlichen Maßnahmen oft nur schwer rückgängig zu machen. Im schlimmsten Fall ersetzt man ein Problem mit dem nächsten.
Nicht zuletzt könnten solche Maßnahmen den effektiven Klimaschutz verzögern. Sich auf künstlichen Eingriffen auszuruhen wäre laut Forschenden riskant. (Jakob Pallinger, Florian Koch, 28.8.2022)
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