Donnerstag, 1. September 2022

Die Katastrophe ist doch so lukrativ!

Spiegel  hier   Eine Kolumne von Christian Stöcker    21.08.2022

C. Stöcker Jahrgang 1973, ist Kognitions­psychologe und seit Herbst 2016 Professor an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW). Dort verantwortet er den Studiengang Digitale Kommunikation. Vorher leitete er das Ressort Netzwelt bei SPIEGEL ONLINE.

Streit über fossile Energie 

Warum schafft die Menschheit es nicht, sich von fossilen Brennstoffen zu lösen? Es gibt technische Hürden, einiges müsste man anders machen – vor allem aber wird mit CO₂ viel Geld verdient. Von ziemlich wenigen.

Zehn Banken, Finanzdienstleister und Staaten besitzen einer brandneuen, in einer wissenschaftlichen Publikation erschienenen Studie zufolge, gemeinsam die Rechte an fast fünfzig Prozent aller fossilen Brennstoffvorräte in privatwirtschaftlicher Hand. Das hier ist die Liste:

Die Kapitalinteressen dieser zehn stehen, das sollte klar sein, im Widerspruch zum Fortbestand der menschlichen Zivilisation.

Dass die Buchstabenkombination US in dieser Liste sehr oft auftaucht, ist natürlich kein Zufall – und es dürfte zwischen diesem Umstand, und der Tatsache, dass in den USA jetzt der Supreme Court dabei ist, elementarste Umweltregeln außer Kraft zu setzen, einen Zusammenhang geben.

Investoren zur Rechenschaft ziehen

Die Autoren der Studie stammen aus Kanada, Neuseeland und Frankreich. Einer der Autoren, Alain Naef, arbeitet für die Banque de France, die französische Zentralbank also. Die Studie kommt deshalb mit dem Disclaimer daher, dass sie »nicht die Meinungen der Banque de France oder des Eurosystems« repräsentiere. Dass Europa auf der Liste nur in Gestalt des Nicht-Eurolandes Norwegen auftaucht, ist aber ein Faktum.

Tatsächlich enthält die Studie nicht nur Fakten, sondern auch Meinungen. Diese hier zum Beispiel: »Es erscheint unwahrscheinlich, dass das Finanzsystem die transformativen Veränderungen mittragen wird, die notwendig sind, um auf die Klimakrise zu reagieren, wenn es nicht dazu gebracht wird (im Original steht hier »disciplined to do so«).« Es sei nötig, Investoren zur Rechenschaft zu ziehen, wenn sie die nötige Transformation behinderten oder bremsten.

»Wahnsinn«, sagt der Uno-Generalsekretär

Das ist nicht optional, es ist überlebenswichtig. Oder um es mit Uno-Generalsekretär Antonio Guterres zu sagen : »Neue Investitionen in Exploration und Förderinfrastruktur für fossile Brennstoffe sind Wahnsinn.«

Die Liste der zehn Übeltäter basiert auf einer Netzwerk- und Investitionsanalyse einer anderen, längeren Liste: den sogenannten Carbon Underground 200 . Die wiederum hat ein anderes Investmentunternehmen ermittelt – eines, das ausschließlich CO₂-freie Investitionen verspricht. Diese Liste umfasst je 100 börsennotierte Unternehmen, die entweder über noch nicht geförderte Gas- und Öl- oder über Kohlevorkommen verfügen.

Das Wort »börsennotiert« ist hier relevant, denn in Wahrheit gibt es noch mehr Öl, Gas und Kohle als von der Zehner- und der Zweihunderterliste erfasst wird – viel mehr. Zu den Top fünf der Öl- und Gasproduzenten etwa gehören neben den zwar staatlichen, aber dennoch börsennotierten Unternehmen Aramco (saudi-arabisch), Gazprom und Rosneft (russisch) auch die iranische Ölfirma NIOC und der chinesische Staatskonzern CNPC. Nach diesen fünf erst folgen ExxonMobil, BP, Shell und Chevron, wie der »Economist« kürzlich ermittelte .Es sind Staatskonzerne, aber nur ziemlich wenige

Hinter den privaten vier Ölgiganten kommen dann schon wieder, mit sehr wenig Abstand, die Staatskonzerne ADNOC (Abu Dhabi), KPC (Kuwait), Sonatrach (Algerien), dann mit TotalEnergies der einzige europäische Konzern auf dieser Liste, und schließlich mit QuatarEnergy und PEMEX (Mexiko) wiederum zwei Staatskonzerne. Mexiko hat nicht nur Kohle- sondern auch Ölvorräte und verweigert sich derzeit einem Umbau  hin zu erneuerbaren Energien.

Nach der auf Daten der Internationalen Energieagentur IEA beruhenden »Economist«-Auswertung sitzen Staatskonzerne insgesamt auf zwei Drittel der bisher bekannten, noch nicht geförderten Ölreserven.

Das Gesamtbild ist glasklar

Das sorgt jetzt für ein etwas verwirrendes Gesamtbild, denn mehrere dieser Staatskonzerne sind ja ihrerseits börsennotiert (Saudi Aramco, Rosneft, Gazprom, dazu gewisse Tochterunternehmen etwa des chinesischen Konzerns CNPC).

Klar ist aber: Die Vorräte, über die die diese börsennotierten und staatseigenen Unternehmen noch verfügen, übersteigen das Restbudget, das wir noch an CO₂ in die Atmosphäre pusten können, um die Durchschnittstemperatur bei 1,5 oder auch nur 2 Grad über vorindustriellen Zeiten zu halten, um ein Vielfaches. Sowohl die Staaten, denen diese Vorräte gehören, als auch die Investoren, die in diese Konzerne investiert haben, müssen dringend dazu gebracht werden, das CO₂ im Boden zu lassen. Es gilt, gewaltige Mengen fiktiven Geldes zu vernichten, um nicht die menschlichen Lebensgrundlagen zu zerstören.

Im Moment ist davon nichts zu sehen, im Gegenteil. Die größten Öl- und Gasfirmen des Planeten planen Investitionen in Höhe von über 850 Milliarden Euro , um weitere Quellen zu erschließen. Wie Guterres sagt: »Wahnsinn«.

Ein Junkie auf der Suche nach der Überdosis

Die globale Wirtschaft ist ein Junkie, verzweifelt auf der Suche nach der tödlichen Überdosis. Und die privaten und staatlichen Öl-, Gas- und Kohlekonzerne sind gern bereit, alles zu unternehmen, damit diese Überdosis auch fristgerecht bei der Kundschaft ankommt.

Sowohl für die Organisatoren von Klimaprotesten als auch für Regulierer sollte längst klar sein: Es geht jetzt darum, den Leuten, die am Weltuntergang verdienen, das Geschäft zu verderben. Vermutlich werden wir aber auch eine Art CO₂-Rettungsschirm brauchen. Manche der Finanzdienstleister, die ihren Kunden weiterhin Öl-, Gas- und Kohleaktien andrehen, haben es nicht besser verdient – sollen sie ruhig pleitegehen. Aber den Staaten, die nahezu vollständig von ihren Einnahmen mit dem tödlichen Gift für die Erdatmosphäre abhängen, muss ein Ausweg geboten werden. Gerade da sind reiche, rohstoffarme Länder wie die Europas in der Pflicht.

Auf Gas-Einkaufstour

Es klingt sicher so, als ob dies nun gerade der falsche Zeitpunkt wäre, auf Saudi-Arabien, Qatar, die Vereinigten Arabischen Emirate, Iran und all die anderen mit den gigantischen Reserven Druck auszuüben oder ihnen alternative Wirtschaftsmodelle nahezulegen. Gerade jetzt, wo selbst der Grüne Robert Habeck auf Gas-Einkaufstour in Autokratien gehen muss.

Aber wir haben einfach keine Zeit mehr. Dass Bundeskanzler Olaf Scholz tatsächlich mit deutschem Geld neue Gasfelder im Senegal erschließen lassen will, ist – »Wahnsinn«. Wir müssen dringend mithelfen, dass gerade in den Ländern, die noch nicht an der Nadel hängen wie wir, die suizidale Phase der fossilen Energie übersprungen wird.

Hören wir auf den obersten Lobbyisten für die Zukunft der Menschheit, den Uno-Generalsekretär: »Ich rufe alle Akteure des Finanzmarktes auf, Investitionen in fossile Energiequellen aufzugeben und in erneuerbare Energien zu investieren.«

Man kann auch ganz persönlich etwas tun

Ich persönlich fürchte, Apelle werden nicht reichen: Internationale Institutionen wie der Internationale Währungsfonds und die Weltbank werden Methoden entwickeln müssen, weitere Investitionen in erderhitzende Geschäftsmodelle zu verhindern. Die deutsche Bundesregierung muss dringend die Richtung ändern und auf der Seite derer stehen, die so etwas einfordern und vorantreiben.

Der Teil der Menschheit, der an fossilen Brennstoffen verdient, ist winzig. Man darf diesen wenigen Unternehmen, Staaten und Personen nicht erlauben, die globale Zivilisation ihrem kurzfristigen Profit zu opfern.

Viele können übrigens auch als Privatpersonen etwas tun: Keinen Cent mehr in Fonds, Aktien oder andere Investments stecken, die irgendetwas mit fossilen Brennstoffen zu tun haben. Beim Bankberater hartnäckig nachhaken. Von der eigenen Bank oder Versicherung das Gleiche verlangen. Lautstark, ohne Unterlass, möglichst öffentlichkeitswirksam.

Wer will schon daran verdienen, den Planeten für die eigenen Kinder und Enkel unbewohnbar zu machen?


mehr dazu: https://www.business-leaders.net/seilschaften-im-finanzsystem/

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