Stuttgarter Zeitung hier 15.09.2022 Von Eberhard Wein
Einigung von Grün-Schwarz
Grüne und CDU haben sich auf ein neues Klimaschutzgesetz geeinigt. Ist es der große Wurf, den sich der Ministerpräsident Winfried Kretschmann erhofft hat?
Nach wochenlangen und offenbar äußerst schwierigen Verhandlungen haben sich Grüne und CDU im Land auf ein neues Klimaschutzgesetz geeinigt. Es soll Baden-Württemberg bis zum Jahr 2040 den Weg zur Klimaneutralität ebnen. Für Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) ist es das erklärtermaßen wichtigste Vorhaben seiner dritten Amtszeit: An den Erfolgen beim Klimaschutz wolle er sich messen lassen, hatte er bei der Vorstellung der grün-schwarzen Koalitionsvereinbarung vor einem Jahr erklärt.
Bei ihrer Klausur in Berlin stimmten die Landesgrünen dem Kompromiss am Donnerstag einstimmig zu, einen Tag zuvor hatte schon die CDU-Fraktion bei ihrer Tagung in Freudenstadt den Weg frei gemacht. Zuvor hatten sich die Vertreter der Fraktionen intensiv in die Abstimmungen zwischen den Ressorts eingeschaltet. Dies ist im Gesetzgebungsverfahren zu diesem frühen Zeitpunkt unüblich. „Es geht hier nur noch um die Frage, was hilft“, sagte der CDU-Umweltpolitiker Raimund Haser.
Fernwärme kann verpflichtend werden
Details der Einigung sollen am kommenden Dienstag bei der Regierungspressekonferenz in Stuttgart bekannt gegeben werden. Doch einzelne Punkte drangen bereits durch. Demnach setzt die Koalition keineswegs nur auf Freiwilligkeit. So wollen Grüne und CDU den Anschluss- und Benutzungszwang für eine Fernwärmeversorgung aus erneuerbaren Quellen auch auf bereits bestehende Gebäude ausweiten.
Den Städten und Gemeinden soll diese Möglichkeit eröffnet werden. Wenn ein neues Wärmenetz gebaut wird, kann die Kommune auch die Besitzer älterer Immobilien dazu zwingen, sich die Leitung auf ihr Grundstück legen zu lassen. Es soll sogar möglich sein, die Eigentümer dazu zu zwingen, die Wärme abzunehmen und die eigene Heizung abzuschalten. Allerdings erwartet niemand, dass ein Gemeinderat so weit geht.
Die Solarpflicht auf Altbauten wird es vorerst aber nicht geben. Ziel sei aber, dass bis 2035 alle Dächer wenn möglich mit Fotovoltaik bestückt sind. Zudem sollen die Förderprogramme des Landes künftig unter Klimavorbehalt stehen. Projekte wie etwa eine Schulsanierung können dann nur noch auf Landeszuschüsse hoffen, wenn sie nicht dem Klima schaden.
Ziele für Verkehr, Landwirtschaft, Bau
Mit der Gesetzesnovelle legt erstmals ein Bundesland Richtgrößen fest, welche CO2-Einsparungen in den verschiedenen Sektoren in den kommenden Jahren erzielt werden müssen. Dabei folgt die Koalition einem Gutachten im Auftrag des Umweltministeriums.
Demnach muss etwa die Landwirtschaft den Ausstoß bis 2030 um 39 Prozent gegenüber 1990 senken, die Energiewirtschaft um 75 Prozent, die Industrie um 62 Prozent, der Verkehr um 55 Prozent und der Gebäudesektor um 49 Prozent.
Zuletzt lag das Land insgesamt gegenüber 1990 bei einem Minus von 26 Prozent. Allerdings erwarten Experten, dass die Emission von Treibhausgasen wegen fehlender Gaslieferungen durch die zunehmende Verstromung von Kohle in diesem Jahr eher ansteigt.
Der Landesvorsitzende des Nabu, Johannes Enssle begrüßte die Festlegung von Prozentzahlen. „Die Frage ist aber, welche Sanktionen es gibt, wenn ein Sektor sein Ziel nicht erreicht“, sagte Enssle. „Ich bin auf die Details gespannt“, erklärte Fritz Mielert, Umweltreferent beim Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) in Stuttgart.
CDU will Pellets weiter fördern
Derweil forderte die CDU-Landtagsfraktion in einem Papier, das sie bei ihrer Klausur in Freudenstadt verabschiedete, im Hinblick auf die aktuelle Energiekrise einen stärkeren Ausbau der erneuerbaren Energien für die Wärmeversorgung. Der Fokus müsse vor allem auf Biomasse und Tiefengeothermie gelegt werden. Es gelte, den Einsatz von Biogas als Fernwärmelieferant zu fördern und zu entbürokratisieren. Gleichzeitig sprach sich die CDU dagegen aus, die Förderung von Pelletheizungen einzustellen. Pellets wurden bisher als klimaneutral eingestuft, viele Experten halten sie aber für besonders klimaschädlich. Für die CDU bleibt Biomasse aber der größte Lieferant von erneuerbaren Energien im Südwesten – weit vor der Windkraft.
Südkurier hier
Grüne und CDU raufen sich bei Klimaschutz zusammen
...Was
sind die neuen Ziele im Gesetzentwurf? Mit der Novelle will
Baden-Württemberg das erste Bundesland sein, das konkrete Ziele für die
Reduzierung von klimaschädlichem CO2 für die unterschiedlichen Bereiche
gesetzlich verankert. Grüne und CDU übernahmen die Richtgrößen, die ein
Gutachten im Auftrag des Umweltministeriums ergeben hatte....
Gegen diese Ziele hatte es in den zuständigen Ministerien teilweise
erheblichen Widerstand gegeben. Umweltministerin Thekla Walker (Grüne)
will den Entwurf am kommenden Dienstag vorstellen. Sie mahnt immer
wieder an, dass die erneuerbaren Energien dringend ausgebaut werden
müssen. Ein zentraler Hebel sei aber auch eine Reduzierung des
Tierbestands und ein geringerer Konsum von Fleisch. Der Gesetzentwurf
muss noch vom Landtag verabschiedet werden.
Was waren die großen Streitpunkte? Neben den konkreten Sektorenzielen wurde dem Vernehmen nach lange über den Anschluss- und Benutzungszwang bei der Wärmeversorgung diskutiert. Grünen-Fraktionschef Andreas Schwarz hatte sich dafür stark gemacht. Nun wollen Grüne und CDU demnächst die gesetzlichen Voraussetzungen schaffen und die Gemeindeordnung ändern. Letztlich soll die Entscheidung aber bei Städten und Gemeinden liegen. Wenn eine neue Infrastruktur, etwa ein Wärmenetz, gebaut wird, kann die Kommune dann auch die Besitzer älterer Immobilien zumindest dazu zwingen, sich die Leitung auf ihr Grundstück legen zu lassen. Zwar können diese Eigentümer theoretisch auch dazu verpflichtet werden, die neue Wärmequelle auch abzunehmen. Doch es gilt als eher unwahrscheinlich, dass die Kommunen auf dieses Mittel zurückgreifen. Die Grünen drängten auch darauf, die Solarpflicht auszuweiten. Schon 2021 hatte der Landtag eine Pflicht zur Installation von Photovoltaikanlagen für alle Neubauten und auch bei grundlegenden Dachsanierungen beschlossen, die in diesem Jahr schrittweise eingeführt worden ist. Nun sollte die Pflicht auf alle Bestandsgebäude ausgeweitet werden. Die Koalition einigte sich aber nun darauf, das Thema 2023 erneut aufzurufen. Das Ziel sei, dass die Ausweitung der Solarpflicht bis 2035 kommen solle.
Was steht sonst noch in dem Entwurf? Es soll einen sogenannten Klimavorbehalt geben, wonach neue Förderprogramme des Landes daraufhin überprüft werden, ob sie klimaschädlich sind. Von 2040 an soll es dann nur noch „klimafreundliche Förderprogramme“ geben. Das bedeutet zum Beispiel, dass Umbaumaßnahmen in Schulen nur noch dann vom Land finanziell unterstützt werden, wenn diese nicht dem Klima schaden. Eine neue Ölheizung wäre demnach nicht mehr förderfähig.
Was stand bisher im Klimaschutzgesetz? Stolz verweist das Land darauf, dass Baden-Württemberg schon handele, während andere noch darüber nachdächten, konkrete Maßnahmen in das Klimaschutzgesetz zu schreiben. Neben der Solarpflicht gebe es schon eine verpflichtende kommunale Wärmeplanung für die 103 größten Städte. Damit soll es gelingen, beim Heizen auf erneuerbare Quellen umzusteigen. Auch sei das Mindest-Flächenziel von zwei Prozent in den Regionalplänen für den Ausbau von Windkraft- und Freiflächen-Photovoltaikanlagen verankert. Allerdings kommt der Südwesten beim Bau von Windkraftanlagen nur schleppend voran.
Worauf pocht die CDU? Die Partei fordert in puncto Wärmewende einen stärkeren Fokus auf Biogas. Die CDU dringt darauf, dass verstärkt schnell wachsendes Holz angebaut werden soll, um das Angebot an Biomasse zu vergrößern. Sie will außerdem die bisher ungenutzten Potenziale der Tiefengeothermie ausschöpfen. Diese Technologie war wegen der Schäden durch Bohrungen im südbadischen Staufen bei Freiburg im Jahr 2007 in die Schlagzeilen geraten.
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