Mittwoch, 7. September 2022

Strom-Stresstest: Ausfälle sehr unwahrscheinlich - zwei AKW in Reserve

Winfuture  hier

Die vier deutschen Übertragungsnetzbetreiber haben der allgemeinen Panikmache mit ihrem zweiten Netzstresstest jetzt Fakten zur Sicherheit der Stromversorgung gegenübergestellt. Daraus wurden auch Schlussfolgerungen gezogen.

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) hatte die erneute Untersuchung unter verschärften Bedingungen in Auftrag gegeben. Anlass dafür war, dass aufgrund der Dürre im Sommer, des Niedrigwasser in den Flüssen, des aktuellen Ausfalls rund der Hälfte der französischen Atomkraftwerke und der seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine insgesamt angespannten Lage auf den Energiemärkten eine Reihe von Unsicherheitsfaktoren zusammengekommen sind, die eine Herausforderung für die Versorger darstellen.

Die Netzbetreiber kamen bei ihrer Analyse zu dem Ergebnis, dass auch kurze krisenhafte Situationen im kommenden Winter sehr unwahrscheinlich sind, auch wenn sie nicht komplett ausgeschlossen werden können. Um kurzzeitige Lastunterdeckungen oder Stromausfälle zu vermeiden, wurden verschiedene Maßnahmen empfohlen, die zu den bereits bestehenden Sicherungen dazukommen. Dazu gehört Nutzung von Kraftwerksreserven und Zuschaltung von Kohlekraftwerken.

Die Bundesregierung wird mit der dritten Novelle des Energiesicherungsgesetzes einige weitere Maßnahmen auf den Weg bringen. Hier werden beispielsweise zusätzliche Kapazitäten zur Stromproduktion mit Biogasanlagen und eine Verbesserung der Transportkapazitäten der Stromnetze geschaffen.

AKWs als Reserve für Bayern

Konkret bedeuten die Schlüsse aus dem Stresstest auch, dass die zwei der drei noch laufenden Atomkraftwerke im Süden Deutschlands - Isar 2 und Neckarwestheim - noch über den Jahreswechsel hinaus als Einsatzreserve vorgehalten werden. Damit trägt die Bundesregierung der Tatsache Rechnung, dass insbesondere Bayern Probleme bekommen könnte, da das Bundesland seit vielen Jahren den Ausbau der Windkraft blockiert und auch die zusätzlichen Transportleitungen aus dem Norden nicht voranbringt. Bayern ist dadurch das Bundesland mit dem höchsten Bedarf an russischem Erdgas geworden - das nun nicht mehr zur Verfügung steht. Allerdings wird der grundsätzliche Ausstieg aus der Kernkraft nicht angetastet und neue Brennelemente werden nicht in die Kraftwerke geladen.

"Wir haben genug Energie in und für Deutschland; wir sind ein Stromexportland", stellte der zuständige Minister Robert Habeck angesichts der Ergebnisse klar. Aber gerade da liegt auch ein grundlegendes Problem. Denn derzeit benötigt beispielsweise Frankreich so viel Strom, dass hierzulande die teuren Gaskraftwerke zugeschaltet werden müssen, was aufgrund der Eigenheiten des Strommarktes die Preise für die Verbraucher nach oben treibt.


Kommentar  RND  hier    06.09.2022

Habecks Atomentscheidung: Die Grünen sitzen am längeren Hebel

Die Atomentscheidung von Robert Habeck hat zu neuem Koalitionszoff geführt. FDP und Union zürnen – auch weil hinter ihren sachlichen Argumenten immer deutliche parteipolitische Interessen hervorlugten. Jetzt wurden sie von Habeck kalkuliert ausgekontert. Ob das klug war, muss sich erst noch zeigen. 

CDU, CSU und FDP zürnen. Die Stimmung bei den Grünen war hingegen schon mal schlechter. Der Grund dafür ist hier wie dort der aktuelle Stand im Streit um die Verlängerung der Laufzeiten der drei verbliebenen Atomkraftwerke Emsland, Isar 2 und Neckarwestheim 2. Während der erstgenannte Meiler komplett vom Netz gehen soll, will Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck die beiden anderen bis zum Frühjahr in eine Notreserve überführen. Die Kraftwerke sollen auf Stand-by gehalten werden, um sie bei Bedarf kurzfristig hochfahren zu können. Was den bürgerlichen Parteien zu wenig ist, erscheint der Ökopartei gerade noch zumutbar. Wer diesen Konflikt gewonnen und wer ihn verloren hat, das wird sich erst im Rückblick sagen lassen.

Unter Umständen hätten sich die Konfliktparteien auf einen Kompromiss verständigen können: nämlich auf einen Streckbetrieb aller drei Werke bis 2023 oder gar eine moderate Laufzeitverlängerung mit neuen Brennelementen bis 2024. Es ist nicht sicher, dass sich die Grünen dazu hätten breitschlagen lassen. Aber es wäre, wenn man in die Partei hineinhört, auch nicht völlig ausgeschlossen gewesen.

Union und FDP: Hinter der sachlichen Erwägung lugte das parteipolitische Interesse hervor

Freilich ging es Union und FDP nicht allein darum, eine etwaige oder tatsächliche Stromlücke zu schließen, die im Zuge des russischen Angriffs auf die Ukraine und die dadurch ausgelöste Energiekrise eventuell entsteht. Hinter der sachlichen Erwägung lugte das macht- und parteipolitische Interesse deutlich hervor. Für die größte Oppositionsfraktion und den kleinsten Koalitionspartner war der Streckbetrieb auch der Fuß in der Tür, um zunächst eine Laufzeitverlängerung und dann womöglich einen echten Wiedereinstieg in die Atomenergie folgen zu lassen.

Die Grünen mussten unterdessen schon allerlei Federn auf ihrem Kerngebiet – der Ökologie – lassen. Sie holen Kohlekraftwerke aus der Reserve und stimmten einer Verschiebung der CO₂-Preis-Erhöhung um ein Jahr zu. Auch bat Habeck bei den Menschenrechtsverletzern in Katar – letztlich vergeblich – um Gas. Sein Kabinettskollege Cem Özdemir wiederum traf die Entscheidung, die Stilllegungspflicht von Ackerflächen und Vorgaben zu Fruchtfolgeregeln im kommenden Jahr auszusetzen. Die Erwartung, die Grünen könnten jetzt noch ihr eigentliches Tafelsilber, den Atomausstieg, verscherbeln, musste fehlschlagen. Deshalb haben sie auf das taktische Kalkül der Gegenseite mit einem eigenen taktischen Kalkül reagiert.

Die Grünen sitzen am längeren Hebel

Das ist clever, da die Grünen machtpolitisch am längeren Hebel sitzen. Sicher, in der Ampelkoalition gibt es wieder Zoff. Schön ist das nicht. Doch die Grünen haben die SPD an ihrer Seite. Und sie stellen mit Habeck den Minister, der den Gesetzentwurf vorlegen kann. Wenn die Liberalen dem nicht zustimmen, haben sie den Schwarzen Peter. Dann würden alle drei Meiler zum Jahresende entsprechend dem gültigen Atomgesetz vom Netz gehen. Die Grünen stünden erneut als die Verantwortungsbewussten da.

Ungewiss ist, wer die öffentliche Auseinandersetzung gewinnt. Bürgerinnen und Bürger dürften schließlich mehrheitlich denken, wie der FDP-Vorsitzende Christian Lindner denkt: „In diesen Zeiten sollten alle Möglichkeiten genutzt werden, den Strompreis für die Menschen und die Betriebe zu reduzieren. Das ist aus meiner Sicht ein wirtschaftspolitischer Stresstest, der neben dem energiepolitischen Stresstest auch eine Rolle spielen muss.“ Jede Strompreiserhöhung lässt sich dann – zu Recht oder zu Unrecht – den Grünen in die Schuhe schieben.

So gesehen gleicht ihr Manöver dem Ritt auf der Rasierklinge. Es kann sein, dass die Sieger von heute die Verlierer von morgen sind. Wie so vieles in diesen Tagen ist auch das unwägbar.


eine andere Sichtweise hat diese Pressemitteilung, die aufzeigt dass mit recht großen Spielräumen geplant wurde.

Pressemitteilung | Bundesverband Erneuerbare Energie e.V. (BEE)  07.09.2022 

AKW-Stresstest: Erneuerbare statt atomare Reserve mit fraglichen Prämissen nutzen

Der BEE hat die Eckdaten aus dem Stresstest analysiert. "Die Ergebnisse machen deutlich, dass die Kernkraftwerke in diesem Winter voraussichtlich nicht erforderlich sind", sagt BEE-Präsidentin Dr. Simone Peter. "Ihre Bedeutung für die Energiesicherheit sinkt noch weiter, wenn die anderen Maßnahmen aus dem Stresstest umgesetzt werden. Es gilt sicherzustellen, dass Kraftwerke, die in der Sicherheitsreserve stehen, gar nicht zum Einsatz kommen. Der Vorrang der Erneuerbaren ist vielmehr zu sichern."

Die Hintergründe des Stresstests werfen beim BEE auch Fragen auf. So basiert die Simulation auf dem Jahr 2012, was zwar in der Stromerzeugung ausgeglichen werden kann, jedoch Fragen bei der hinterlegten maximalen Stromlast aufwirft. Fakt sei, dass sich die Maximalstromlast in den vergangenen Jahren drastisch verringert habe - von ca. 92 Gigawatt (GW) in den Jahren 2012 und 2014 auf im Mittel unter 84 GW in den Jahren 2015 bis 2022. Sofern der Stresstest keine Anpassung der Stromlast und hierbei vor allem der maximalen Stromlast aus dem Jahr 2012 vorgenommen hat, ergibt sich eine Differenz von einer bis zu 8 GW höhere maximale Stromlast, als diese selbst im Extremfall der letzten Jahre zu erwarten wäre. Durch eine solche potenziell hohe Stromnachfrage entsteht dann auch ein hoher Bedarf an Kraftwerken, womit auch die AKW-Reserve begründet wurde."

Zudem sei das absolute Wetterausnahmejahr 2012 zugrunde gelegt worden. Das allein schaffe einen deutlichen Spielraum, denn seit Februar 2012 gab es keine vergleichbar kalte Phase mehr, auch nicht tageweise. Selbst die kältesten Tage waren im Bundesdurchschnitt um einige Grad wärmer als der kälteste Tag im Februar 2012.

Ein weiterer kräftiger Spielraum sei bei den für den Winter wichtigen Annahmen zur Wärmelast eingebaut worden: "Im Stresstest wurde für die erste Februarwoche eine deutlich höhere Wärmeleistung angenommen, als die BNetzA-Erdgasszenarien sie ihn ihren maximalen Werten annimmt. Auch das bedeutet einen erheblichen Spielraum, der über die Notwendigkeit des Einsatzes von Kraftwerken entscheidet", so Peter
Des Weiteren werde im Rahmen des Stresstests nicht berücksichtigt, dass höhere Strompreise schon heute zu sinkendem Verbrauch durch die Stromkunden führen. Die Effekte eines Marktes werden somit überhaupt nicht simuliert. "Hier versteckt sich ein dritter Spielraum, der in die Grundannahmen der Stresstests eingeflossen ist", so Peter. "

Anstatt weiterhin Aufmerksamkeit auf eine gefährliche, teure Technologie zu lenken, sollten wir uns den echten Potenzialen für diesen und alle kommenden Winter zuwenden. Der BEE hat in seinem Befreiungspaket gezeigt, welche Maßnahmen erforderlich sind, um zusätzliche Leistungen der Erneuerbaren Energien zu erschließen. Und zwar kurz- und mittelfristig. Die Kombination aus den Erneuerbaren Masseträgern Wind und Solar, zusammen mit flexiblen Optionen wie der Bioenergie, Wasserkraft, KWK-Anlagen, Speichern und der Lastverschiebung in Verbindung mit der lange ersehnten Wärmewende bringen uns sicherer, wärmer und sauberer durch die kalte Jahreszeit als es die Atomkraft jemals konnte."

Quelle und Kontaktadresse:
Bundesverband Erneuerbare Energie e.V. (BEE) Adrian Röhrig, Referent Presse- und Öffentlichkeitsarbeit EUREF-Campus 16, 10829 Berlin Telefon: (030) 27581700, Fax: (030) 275817020


Ähnlich sieht es der Artikel auf der Sonnenseite  hier  vom    06.09.2022
Stresstest: AKW-Reservebetrieb ist unnötig und ignoriert Sicherheitsrisiken

BUND prüft rechtliche Schritte – Die beiden betroffenen Kraftwerke Isar 2 und Neckarwestheim 2 laufen bereits seit drei Jahren ohne gültige Sicherheitsnachweise.

Anders als von Bundesfinanzminister Christian Lindner und den Atom-Befürworter*innen in den Unionsparteien behauptet, zeigt der gestern vom Bundeswirtschaftsministerium veröffentlichte Stresstest: Die Versorgungssicherheit und die Stromnetzstabilität in Deutschland sind trotz Krise nach wie vor hoch.

Die drei verbliebenen Atomkraftwerke – auch das zeigt der Stresstest –  haben daran allerdings keinen wesentlichen Anteil. „Wir haben keine Versorgungslücke, sondern eine nicht hinnehmbare Sicherheitslücke“, erklärt Olaf Bandt, Vorsitzender des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND).

Dennoch sollen die AKW Isar 2 und Neckarwestheim 2 laut Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck nach dem gesetzlichen Abschalttermin Ende des Jahres noch bis April als Reservekraftwerke bereitstehen. Der geringe Nutzen steht dabei in keinem Verhältnis zu den Risiken. Der BUND warnt vor einem Aufweichen des Atomausstiegs und prüft rechtliche Schritte gegen ein Wiederanfahren der AKW nach dem gesetzlichen Abschalttermin. 

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