ZDF hier 26.09.2022 von Thomas Hauer
Protestverschärfung
Fridays for Future war gestern. Pandemie und Ukraine-Krieg scheinen der Klimabewegung den Wind aus den Segeln genommen zu haben. Nun fordern andere Gruppen eine Radikalisierung.
Die Klima-Aktivistin Luisa Neubauer hatte bereits auf Instagram mit einer Bemerkung über Ökoterrorismus für Irritation gesorgt:
Natürlich denken wir darüber nach, wie man die längste Rohöl-Pipeline der Welt in die Luft jagen könnte.
Klima-Aktivistin Luisa Neubauer
Sie erklärte es hinterher als Witz, bezogen auf das Buch "How to Blow Up a Pipeline", des schwedischen Humanökologen Andreas Malm. Er gilt als Vordenker der "Extinction Rebellion", des radikalen Flügels der Klimabewegung. Für Malm ist das alles kein Witz. Er fordert Protestverschärfung auf Grund des globalen Klimanotstandes. "Kämpfen lernen in einer Welt in Flammen", so der Untertitel seines Buches.
Nun versuchen Klimaaktivisten der Gruppe "Letzte Generation", mit neuen Protestformen die nötige Aufmerksamkeit zu erzeugen. Sie kleben sich fest auf Straßen und an Bilderrahmen berühmter Gemälde.
Befeuert werden solche Aktionen durch den Politikwissenschaftler und Aktivisten Tadzio Müller, der für eine "friedliche Sabotage" im Namen des Klimaschutzes eintritt. "Es gibt auf jeden Fall die Notwendigkeit, die Klimaproteste zu radikalisieren, weil sich die Klimakrise jeden Tag radikalisiert. Menschen sterben weltweit jeden Tag am Klimanotstand."
Weltretter als Bürgerschreck?
Die Aktivisten berufen sich auf die Pflicht zum zivilen Ungehorsam. Ihre Aktionen sollen den Klimanotstand wieder ins Bewusstsein rücken. So lange man, wie die Gruppe "Ende Gelände", Braunkohletagebaue besetzte, konnten sie sich der Sympathie einer Mehrheit sicher sein. Das geschah weit weg vom Alltag der Bürger.
Bei Straßenblockaden durch Festkleben sieht das anders aus. Die Klimaaktivisten wurden bei ihren Aktionen vor allem mit dem Zorn der Bürger konfrontiert. Und die Transformation in eine klimaneutrale Gesellschaft kann nur mit den Bürgern zusammen gelingen.
Der Protest klingt zwar ehrenwert, aber die Vorstellung, dass man damit sozusagen die Bevölkerung und die Zähigkeit des parlamentarischen Getriebes außer Acht lassen kann, die ist eben realitätsfremd.
Protestforscher Dieter Rucht
Müller lässt das nicht gelten. "Ziviler Ungehorsam ist genau das was in der Geschichte von sozialen Bewegungen immer Druck auf die Gesellschaft und Politik ausgeübt hat."
Weltrettung als Nötigung?
Mittlerweile hat in Berlin der erste Prozess gegen einen Klimaaktivisten der "Letzten Generation" stattgefunden. Obwohl der Richter Verständnis für das Anliegen des Angeklagten geltend machte, -für den Gesetzgeber blieb die Straßenblockade der Tatbestand der Nötigung. In München wiederum wurden drei Klimaaktivisten vor Gericht nur verwarnt und nicht verurteilt. Die Richterin nannte die Ziele der Aktivisten "billigenswert".
Der Rechtsstaat tut sich schwer mit der Frage: Illegal und trotzdem legitim? Für die Aktivisten gilt das Widerstandsrecht aus Artikel 20 des Grundgesetzes. Allerdings heißt es unter Juristen auch, Artikel 20 rechtfertige keinen zivilen Ungehorsam, der als rechtswidrig empfunden würde. Dagegen argumentieren die Aktivisten, dass die Pariser Klimaziele rechtsverbindlichen Status haben - und wenn die Politik sie nicht einhalten kann oder will, muss Widerstand geleistet werden.
Wissenschaftler auf die Barrikaden?
Auch junge Wissenschaftler kleben sich bereits auf den Straßen fest. Eine neue Bewegung unter dem Namen "Scientist Rebellion", mit weltweit rund tausend Mitglieder ruft zum zivilen Ungehorsam im Namen der Wissenschaft auf. Ihre Sprecherin in Deutschland, die Molekularbiologin Nana-Maria Grüning, sagt:
Ziviler Ungehorsam oder ziviler Widerstand wird oft als radikal bezeichnet, ich würde das als vernünftig bezeichnen. Radikal sind die, die unsere Lebensgrundlagen nicht wertschätzen und retten.
Molekularbiologin Nana-Maria Grüning
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