Mittwoch, 21. September 2022

Ein guter Tag für die Natur: 1,5 Milliarden Euro für die Natur

Süddeutsche Zeitung  hier 21. September 2022   Kommentar von Tina Baier

Umwelt: Umweltschutz finden alle wichtig. Aber immer bleibt die Frage: "Und wer bezahlt das alles?"

Die finanzielle Unterstützung der Bundesregierung für den weltweiten Naturschutz ist viel mehr wert als die zugesagten 1,5 Milliarden Euro pro Jahr.

Es ist ein seltenes Ereignis, dass sich alle großen Naturschutzverbände in Deutschland bei einem Thema einig sind. Noch ungewöhnlicher ist es, dass sie wie aus einem Mund die Bundesregierung loben. Die Ankündigung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), die finanzielle Unterstützung für den weltweiten Naturschutz auf 1,5 Milliarden Euro jährlich zu erhöhen und damit mehr als zu verdoppeln, ist ein großer Schritt in die richtige Richtung.

Die Ankündigung zeigt, dass die Bundesregierung das Artensterben endlich ernst nimmt. Und sie lässt hoffen, dass die Biodiversitätskrise, die für die Menschheit mindestens genauso bedrohlich ist wie der viel präsentere Klimawandel, nicht in Vergessenheit geraten ist. In Anbetracht des Kriegs in der Ukraine und der nicht enden wollenden Pandemie ist das umso bemerkenswerter.

Auch der Zeitpunkt der Ankündigung ist klug gewählt. In wenigen Wochen, Anfang Dezember, startet im kanadischen Montreal die Weltnaturkonferenz, auf der ein verbindliches Abkommen zum Schutz von Tieren, Pflanzen und ihren Lebensräumen verabschiedet werden soll.
Umweltschützer verbanden mit dem Gipfel lange Zeit große Hoffnungen: Er sollte einen Wendepunkt markieren, von dem an die Natur nicht mehr rücksichtslos ausgebeutet, sondern pfleglich behandelt und geschützt werden sollte.
 

Genauso viel wert wie das Geld sind die deutlichen Worte, die Olaf Scholz gefunden hat

In den letzten Wochen und Monaten glaubten aber nur noch unverbesserliche Optimisten daran, dass das tatsächlich gelingen könnte. Die Vorverhandlungen zu dem Abkommen erwiesen sich als unendlich kompliziert und blieben schließlich in einem Sumpf aus Partikularinteressen stecken. Scholz' Finanzierungszusage hat das Potenzial, sie da wieder herauszuziehen. Denn in vielen Punkten scheiterte eine Einigung letztlich an der Frage: "Und wer bezahlt das alles?"

Natürlich sind die von Deutschland zugesagten 1,5 Milliarden Euro jährlich nicht ausreichend, um sämtliche Umweltprobleme der Welt zu lösen. Um die Wende hin zu einem verantwortungsbewussten Umgang mit der Natur zu schaffen, wären Schätzungen zufolge mehr als 700 Milliarden Euro pro Jahr nötig. Doch sie sind ein starkes Signal, das andere Industrienationen hoffentlich dazu animiert, sich ebenfalls zu bewegen und einen Teil der immensen Kosten zu übernehmen.

Genauso viel wert wie das Geld sind die deutlichen Worte, die Olaf Scholz am Rande der UN-Versammlung in New York gefunden hat. Unter anderem sprach sich der Bundeskanzler dafür aus, 30 Prozent des Planeten unter Schutz zu stellen. Der Hoffnungsschimmer wird heller.


Süddeutsche Zeitung hier  21. September 2022  Von Thomas Krumenacker

Umweltschutz:1,5 Milliarden Euro für die Natur

Bundeskanzler Olaf Scholz verdoppelt die internationale Naturschutzhilfe. Das macht Hoffnung auf ein globales Schutz-Abkommen im Dezember.

Mit einer Verdoppelung der deutschen Finanzhilfe für den Naturschutz in Entwicklungsländern will die Bundesregierung Bewegung in die festgefahrenen Schlussverhandlungen für ein weltweites Abkommen zum Schutz von Artenvielfalt und Ökosystemen bringen.
Bundeskanzler Olaf Scholz kündigte am Rande der UN-Generalversammlung am Dienstag (Ortszeit) in New York an, die Bundesregierung werde ihre bisherigen Naturschutzhilfen für Entwicklungsländer bis spätestens 2025 auf 1,5 Milliarden Euro pro Jahr erhöhen. Das entspricht im Durchschnitt der vergangenen Jahre einer Verdoppelung der Finanzmittel beispielsweise für den Schutz der tropischen Regenwälder oder artenreicher Feuchtgebiete auf der Südhalbkugel.

"Die Erde braucht dringend Überlebenshilfe", sagte der Kanzler in einer vorab aufgezeichneten Grußbotschaft für eine Veranstaltung im Rahmen der laufenden UN-Generalversammlung. "Ihre Lungen - unsere Natur, Wälder und Ozeane - versagen, ihr Herzschlag wird mit jeder Art, die für immer ausstirbt, schwächer."

Die deutsche Finanzzusage könnte auf den letzten Metern Bewegung in die festgefahrenen Verhandlungen über das Weltnaturschutzabkommen bringen. Der analog zum Pariser Klimaabkommen von 2015 als "Paris-Abkommen für die Natur" bezeichnete Vertrag der 190 Mitgliedstaaten der UN-Konvention über biologische Vielfalt (CBD) soll in der ersten Dezemberhälfte bei einem Vertragsstaatengipfel in Montréal, Kanada, beschlossen werden und einen Wendepunkt im Kampf gegen das globale Artensterben und die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen einleiten.

Vor allem die südlichen Regionen wollen für den Verzicht auf eine Ausbeutung der Natur entschädigt werden

Scholz warb bei der Veranstaltung erstmals selbst eindringlich für die Verabschiedung eines ambitionierten Abkommens mit verbindlichen Zielen und starken Mechanismen zur Überprüfung. Ausdrücklich bekannte er sich zu einem der wichtigsten Ziele der Verhandlungen, in dem Vertrag den Schutz von jeweils 30 Prozent der Land- und der Meeresfläche des Planeten festzuschreiben.
"Der Weltbiodiversitätsgipfel muss ein Wendepunkt für unsere Naturschutzbemühungen sein", forderte der Kanzler. Dieselbe Menschheit, die den Planeten an den Rand der Überlebensfähigkeit getrieben habe, könne sich zusammenschließen, um den Trend umzukehren und die Natur zu schützen.

Ob im Dezember in Montréal ein Abkommen verabschiedet werden kann, mit dem Ziel, das Artensterben und die anhaltende Zerstörung der letzten intakten Ökosysteme zu stoppen, ist offen. Trotz mehrjähriger Verhandlungen gibt es auch wenige Wochen vor dem Gipfel in kaum einem der zentralen Streitpunkte Einigkeit unter den 190 Vertragsstaaten. Der Streit um die Finanzierung des globalen Naturschutzes ist dabei eine der bis zuletzt am heftigsten umstrittenen Fragen.

Vor allem die südlichen Regionen der Erde bestehen darauf, für den Verzicht auf eine weitere Ausbeutung beispielsweise des Amazonas-Regenwaldes entschädigt zu werden. Gleichzeitig kommt dem Schutz von Lebensräumen in den Ländern der Südhalbkugel eine besondere Bedeutung bei der Bewahrung der globalen biologischen Vielfalt zu, weil sich dort noch großflächig Hotspots der Artenvielfalt erhalten haben, während der natürliche Reichtum in den entwickelten Ländern des Nordens vielfach auf kleine Reste zusammengeschrumpft ist.

Deutschland untermauert mit der Ankündigung des Kanzlers seine Rolle als einer der weltweit größten Geldgeber des internationalen Biodiversitätsschutzes. Zugleich treibt die Nachfrage nach Rohstoffen wie Holz und Produkten wie Soja, Palmöl und Rindfleisch aus Deutschland und anderen reichen Ländern aber die anhaltende Umweltzerstörung vor allem auf der Südhalbkugel weiter an. Umweltverbände hatten deshalb eine Aufstockung der jährlichen Zahlungen für den Naturschutz im globalen Süden auf kurzfristig zwei Milliarden Euro pro Jahr und auf acht Milliarden im Laufe der Legislaturperiode gefordert.

"Geld für den Naturschutz wird genauso dringend gebraucht wie für Maßnahmen gegen die Klimaerhitzung."

Als internationale Biodiversitätsfinanzierung gelten Hilfen an Entwicklungsländer beispielsweise für die Aufforstung zerstörter tropischer Wälder nach ökologischen Kriterien oder die Erhaltung wertvoller Lebensräume wie Savannen oder Feuchtgebieten. Auch Hilfen für die Entwicklung ökologischer Landbaumethoden wie Agroforsten sowie Bildungs- und Forschungsprojekte zum Erhalt der Biodiversität zählen dazu.

Bundesumweltministerin Steffi Lemke, die sich seit Langem für mehr Geld für den internationalen Naturschutz einsetzt, nannte die Ankündigung des Kanzlers einen Meilenstein. "Dies gibt mir als deutsche Verhandlungsführerin bei der Weltnaturkonferenz im Dezember den nötigen Rückenwind für eine ambitionierte globale Vereinbarung, mit der wir die Naturzerstörung stoppen können", erklärte sie.

Auch Umwelt- und Naturschutzverbände äußerten die Hoffnung auf einen Schub in der Endphase der Verhandlungen durch die deutsche Entscheidung. "Die zugesagten 1,5 Milliarden Euro geben Hoffnung für erfolgreiche Verhandlungen im Dezember, denn die fehlende Finanzierungszusage war bei den bisherigen Diskussionen der Hemmschuh für Fortschritte im Verhandlungstext", sagte Greenpeace-Biodiversitätskoordinator Thilo Maack. "Die anderen G-7-Staaten sollten sich ein Beispiel nehmen und vergleichbare Summen auf den Tisch legen, denn Geld für den Naturschutz wird genauso dringend gebraucht wie für Maßnahmen gegen die Klimaerhitzung - beide Krisen lassen sich nur gemeinsam lösen."

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