Auch das muss einmal gesagt werden: hier ist ein Politiker, der ein enormes Arbeitspensum zur Bewältigung unserer Vielfachkrisen bewältigt und der trotzdem so einiges weg stecken muss.
TAZ FutureZwei hier Udo Knapp 27.9.22
Betr.: Habeck
Im Sturm von Zweiflern, Blockierern und stimmungsgetriebenen Medien baut Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck um, sorgt vor und keilt zurück.
Der Ausbau der Zivilisation auf der Basis fossiler Rohstoffe und der unüberlegte Gebrauch aller anderen natürlichen Ressourcen hat keine menschenfreundliche Zukunft. Das ist seit Jahren wissenschaftlich belegt. Die Energiefrage ist nur eine Facette der durch den Menschen verursachten Veränderungen im Verhältnis von Kultur und Natur, im Mensch-Erde-System, das heute als Anthropozän bezeichnet wird. „Klimawandel, Umweltzerstörung, Artensterben und Pandemien hängen vielfältig mit der expansiven Dynamik industrialisierter Gesellschaften zusammen. Sie spitzen sich gegenseitig zur Überlebensfrage für die Menschen auf der ganzen Erde zu. Das wird auch außerhalb der Wissenschaft in der Gesellschaft zunehmend so verstanden“, beschreibt Jürgen Renn die Lage, der Leiter der Max-Planck-Institute für Wissenschaftsgeschichte in Berlin und für Geoanthropologie in Jena.
Putins imperialistischer Krieg in der Ukraine, Chinas Herausforderung des Westens, beider Missbrauch der fossilen Rohstoffe, der seltenen Erden oder der Nahrungsmittel – Grundstoffe im von ihnen vorangetriebenen Systemkrieg mit dem Westen – relativieren die Aufgaben und die Zwänge zur ökologischen Transformation der Zivilisation nicht. Im Gegenteil. Der Ansatz, dass jetzt – Ökofragen schön und gut – erst mal Russlands Angriffskrieg und Chinas Weltanspruch in ihren Folgen für unser Alltagsleben eindämmt werden müssten, beschleunigt nur die Mensch-Naturkrisen. Beides wird gebraucht, die Abwehr der systemischen Bedrohung durch Russland und China durch eigene Aufrüstung und zugleich das Voranbringen der ökologischen Transformation der Industrien. Dazu bedarf es einer handlungsstarken Realpolitik. Die ökologische Wirtschaftspolitik des Vizekanzlers Robert Habeck hat also zwei Aufgaben gleichzeitig zu erledigen.
Zum einen versucht er ordnungspolitisch und regulierend alle geistigen und ökonomischen Ressourcen auf den Aufbau einer Industrie jenseits aller fossilen Rohstoffe auszurichten. Eine Rückkehr zur scheinbaren Glückseligkeit der Ausbeutung natürlicher Ressourcen und in ihrer Folge immer niedrigere Preise aller Endprodukte wird es nicht geben. Die Energiepreise werden nicht wieder zum alten Niveau zurückkehren oder zumindest nicht bis zu dem Zeitpunkt, an dem die regenerativen Energieträger die heutigen Funktionen der fossilen und anderer Leben gefährdender Energietechnologien übernehmen können. Gleichzeitig wird daran gearbeitet, für den ökologischen Umbau der Industrien öffentliche Milliarden zu generieren, die als zweckgebundene Kredite der privaten Wirtschaft für den Umstieg in nachhaltiges Wirtschaften zur Verfügung gestellt werden können.
Das Ministerium für Wirtschaft und Klima wird zum Machtzentrum der Republik
US-Präsident Joe Biden hat mit seinem Billionen-Dollar-Programm zum technologischen Wandel der amerikanischen Wirtschaft vorgemacht, wie ein solches Programm Wirkungen erzielt. Habeck hat sich für einen vergleichbar großen Investitionsschlag, einem 100 Milliarden Öko-Sondervermögen bisher gegen die hinhaltende Zauderei von SPD und FDP nicht durchsetzen können.
Gleichzeitig versucht der Vizekanzler, eine nicht völlig auszuschließende Energienot im Winter soweit einzugrenzen, dass Betriebsschließungen, -Verlagerungen und Insolvenzen möglichst vermieden werden. Dafür hat er das neue Ministerium für Wirtschaft und Klima (BMWK) zum handlungsstarken Machtzentrum der Republik ausgebaut.
Er nutzt das Ausbleiben des russischen Gases als Chance, den Übergang zu regenerativen Energieträgern voranzutreiben. Er hat für den Übergang bisher drei neue LNG-Anlegehäfen auf den Weg gebracht, auch gegen den Widerspruch der Grünen Kern-Klientel; hat Lieferverträge für LNG-Gas aus anderen Weltgegenden abgeschlossen; hat für bis zu 95 Prozent gefüllte Gasspeicher gesorgt, hat mit der Verstaatlichung der Gaslieferanten und dem faktischen Ausbau der Bundesnetzagentur zum einem quasi staatlichen Energie-Sicherheitsunternehmen für öffentlich steuerbare Energiemärkte gesorgt; hat mit der Gasumlage alle Bürger, auch wenn es sie schmerzen wird, daran beteiligt, den Einkauf verteuerter Gaslieferungen abzusichern; hat Kohlekraftwerke vorübergehend wieder in Betrieb nehmen lassen; hat am Atomausstieg festgehalten, aber mit dem Reservebetrieb der drei übriggebliebenen Atomkraftwerke Vorsorge für den Notfall getroffen; hält am Öllieferstopp aus Russland zum 1. Januar fest und hat für die Öl-Raffinerie in Schwedt ein 800 Millionen Euro-Umbauprogramm auf den Weg gebracht.
Habeck führt die Regierung
Kanzler Olaf Scholz (SPD) kommentiert diese Politik nicht ablehnend, faktisch aber verhält er sich hinhaltend. Finanzminister Christian Lindner (FDP) bremst und blockiert. Der frühere Grünen-Vorsitzende Habeck aber führt die Regierung. Habeck geht Risiko. Habeck keilt gegen personalisierte Angriffe der CDU zurück: „Sind wir denn im Fußballstadion, Herr Merz?“, rief er vergangene Woche im Bundestag, „oder geht es um die Zukunft unseres Industriestandortes, um Sicherheit im Umbau und die Zukunft der freien westlichen Gesellschaften?“ Auch wenn das gern anders dargestellt wird: Habeck hat die Industrie auf seiner Seite, von der Stahlindustrie bis zu den exportorientierten Mittelständlern. Sie haben die Dekarbonisierung ihrer Produktion und ihrer Produkte zu ihrer Sache gemacht. Sie akzeptieren, dass eine enge Kooperation mit dem Staat, dass staatlich regulierende Eingriffe in das Marktgeschehen für einen erfolgreichen Wandel vorübergehend unverzichtbar sind.
Tatsache ist aber auch, dass in einer solchen Transformation Strukturbrüche, Betriebsschließungen, ein breiter Konsumverzicht und möglicherweise sogar eine Rezession nicht ausgeschlossen werden können. Aber der Sozialstaat bietet ein so hohes Maß an Grundsicherheit, dass zwar mit Einschränkungen am gewohnten Konsumglück gerechnet werden muss, das Gesamtsystem der Republik aber nicht gefährdet ist. Um Ängsten zu begegnen, könnte zum Beispiel die SPD dafür sorgen, dass für ein bis zwei Jahre ein generelles Kündigungsverbot für Mieter im Falle nicht leistbarer Energiezahlungen oder das 29-Euro-Ticket für die ganze Bundesrepublik verbindlich festgeschrieben werden.
Es ist erstaunlich, wie selbstverständlich Robert Habeck in seine historische Rolle hineingewachsen ist und sie nun im Zentrum verständlicher Zweifel, strategischer Gegenpositionen und stimmungsgetriebener Medien ausfüllt. Auch wenn es im kommenden Winter für viele von uns gelegentlich ungemütlich werden wird.
UDO KNAPP ist Politologe und kommentiert an dieser Stelle regelmäßig das politische Geschehen für taz FUTURZWEI.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen