UMWELTSCHUTZ am 05.09.2022 Von Wilma Fasola
Die Worte von Tatjana von Steiger sind deutlich: «In den vergangenen Jahrzehnten wurde sehr viel Wissen und Energie in die Bekämpfung der globalen Erwärmung und des Artenverlusts gesteckt. Trotzdem stehen wir vor einer existenziellen Krise.» Im Gegensatz zu manch anderer Stelle aber nennt sie in ihrer Funktion als Head of Global Policy Outreach bei der Wyss Academy for Nature die Sache nicht nur beim Namen. Vielmehr trägt sie gemeinsam mit vielen weiteren Experten der Academy dazu bei, die wachsende Kluft zwischen dem Verstehen der Probleme und dem konkreten Handeln zu überwinden. «Es braucht einen neuen Ansatz, der die vielfältigen Wechselwirkungen zwischen Natur und Mensch berücksichtigt und erkennt, dass diese Probleme innerhalb von Systemen auftreten. Wie beispielsweise Systeme der Ernährung, der Wirtschaft, der Energie oder der Urbanisierung.»
Lösungen für den Wandel
Initiator der Wyss Academy for Nature ist der Unternehmer und Philanthrop Hansjörg Wyss (siehe Interview unten). Im Jahr 2020 an der Univer sität Bern gegründet, bietet die gemeinnützige Organisation in vier regionalen Hubs – Bern, Ostafrika, Südostasien und Südamerika – sogenannte Solutionscapes an. Gemeint sind Reallabore, in denen Forschende sowie andere Wissensträgerinnen und Wissensträger gemeinsam Lösungen entwerfen, testen und skalieren, die einen tiefgreifenden, nachhaltigen systemischen Wandel ermöglichen sollen.
«Sicher ist es so, dass die Zeit in Bezug auf die grossen ökologischen Krisen nicht unser Freund ist», sagt Peter Messerli, Direktor der Wyss Academy for Nature. «Es gibt eine zeitliche Verzögerung von häufig zehn oder mehr Jahren zwischen der Ursache – beispielsweise der Emission von Treibhausgasen – und der Wirkung.» Dennoch hat er Hoffnung: «Unterschätzen wir nicht unsere Handlungsspielräume. Wenn wir bereit sind, systemische Veränderungen anzugehen, haben wir nicht nur einen grossen Hebel, sondern können exponentielle Wirkungen erzielen.»
Als ein Beispiel nennt er die Ernährung. Würde man nur einen Teil des globalen Fleischkonsums reduzieren, wäre eine massive Reduktion von Treibhausgasen die Folge. Zudem würde ein Grossteil der landwirtschaftlichen Flächen für zusätzliche Ernährung und Naturschutz zur Verfügung stehen. Und schlussendlich hätte das positive Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit. «In den nächsten zehn Jahren müssen wir solche systemischen Veränderungen zielgerichtet verankern, sodass sich Teufelskreise in Engelskreise verwandeln können», so Messerlis Appell.
In der Wyss Academy for Nature geht es um Transformation und Nachhaltigkeit. Zwei Begriffe, die auch gerne als Buzzwords genutzt werden. Dazu Peter Messerli: «Buzzwords entstehen, wenn Problemlösungen, welche nicht umgesetzt wurden, mit anderen Begriffen erneut in Aussicht gestellt werden. Wenn wir an der Wyss Academy von Transformation sprechen, wollen wir nicht Symptome bekämpfen, sondern systemische Veränderungen verfolgen. Nachhaltigkeit bedeutet für uns, dass wir Zielkonflikte offenlegen und basierend auf wissenschaftlichen Fakten mit Interessensvertretern verhandeln.» Damit das gelingt, setzt die Academy auf drei Säulen:
- In den Forschungs- und Innovationsteams werden unter Einbezug von lokalem und indigenem Wissen relevante Themen erforscht.
- In den regionalen Hubs wird das Wissen in die Praxis umgesetzt.
- Im dritten Bereich führt die Science and Policy Outreach einen Dialog mit relevanten Gruppen und Organisationen auf der ganzen Welt, um die gemachten Erfahrungen zu teilen. Immer mit dem Ziel, in der Praxis erprobte Lösungen zu finden, die sich möglichst weltweit umsetzen lassen.
Mit Wissensdiplomatie Probleme lösen
Aktuell betreibt die Academy rund zwanzig Inkubator-Projekte. Diese befassen sich mit neun konkreten Mensch-Umwelt-Herausforderungen rund um den Globus. Beginnend bei bedrohten Pufferzonen rund um den Amazonas-Regenwald bis hin zur Energiewende im Schweizer Tourismussektor. Jüngst hat man in Bern das Projekt «Von Plusenergie-Quartieren zur Plusenergie-Stadt» lanciert. Dazu Tatjana von Steiger: «Die derzeitige Gas- und Stromknappheit in Europa hat ihre unmittelbare Ursache im Ukraine-Krieg, aber auch in der noch hohen Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen. Ein weiterer Beweggrund, bei der Energie in moderne Lösungen zu investieren. Heute lassen sich einzelne Gebäude sowie ganze Quartiere nicht nur energieneutral, sondern energiepositiv gestalten.»
Und dazu braucht es Wissensdiplomatie. «Wir verstehen uns als Vermittlerin, die Wissen nutzt, um verhärtete Machtstrukturen aufzuweichen, ungehörte oder überhörte Stimmen hörbar zu machen sowie räumliche und zeitliche Perspektiven zu erweitern», sagt Peter Messerli. «Damit können wir einen Beitrag leisten, um Koalitionen für Veränderungen zu schaffen, welche unter Umständen an ideologischen oder politischen Hindernissen scheitern würden.»
Tatjana von Steiger ergänzt abschliessend: «Hierzu braucht es Vermittlung, Überzeugungsarbeit und ein Verständnis unterschiedlicher Perspektiven. Damit kann die Evidenz respektive das Wissen von Akteuren mit unterschiedlichen Interessen zur Grundlage für eine gemeinsame Lösung werden.»
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