Donnerstag, 1. September 2022

Wie der Strompreis entsteht

Standard  hier  Günther Strobl  21. August 2022

Preisbestimmung: Und was sich am Merit-Order-Prinzip ändern könnte

Günstig produzierter Strom aus Wind, Wasser oder Sonne wird zum selben Preis verkauft wie mit Gas hergestellter teurer Strom. Muss das sein?

Händler kaufen und verkaufen Strom rund um die Uhr, manchmal für denselben Tag noch, häufig für den Folgetag, immer wieder auch ein, zwei Monate oder gar Jahre im Voraus. Es sind vorwiegend Männer. Die Händler sitzen in speziell eingerichteten Räumen. Auf den vor ihnen aufgebauten Schirmen blinkt es in Permanenz. Per Knopfdruck lassen sich Zahlen in leichter verständliche Kurven und Diagramme übersetzen.

Verständlich ist die Stromwelt für viele Menschen in Europa schon lange nicht mehr. Seit die Preise im Vorjahr zu ihrem beispiellosen Höhenflug angesetzt haben, der sich mit Ausbruch des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine noch beschleunigt hat, ist speziell in Österreich das Unverständnis darüber groß. Schließlich wurden im Land der Berge, Land am Strome, wie es in der Bundeshymne heißt, zuletzt 84 Prozent des verbrauchten Stroms mit erneuerbaren Energien erzeugt.

Wie kann es sein, dass Strom aus Wasserkraft, Wind- oder Solaranlagen gleich teuer ist wie elektrische Energie, die zu horrenden Kosten etwa in Gaskraftwerken produziert wird. "Irgendetwas ist faul", sagen viele. Dass es so ist, wie es ist, hat mit der sogenannten Merit-Order und der gleichnamigen Kurve zu tun.

Preismechanismus

Die Merit-Order ist ein Mechanismus zur Preisbestimmung, der sich schon bei Rohstoffen wie Getreide, Kakao oder Zucker bewährt hat, die wie der Strom auf Börsen gehandelt werden.

Die Merit-Order-Kurve bildet sich, abhängig von den an der Strombörse eingegangenen Kauf- und Verkaufsorders, täglich neu. Die Form der Kurve wird bestimmt von der Struktur, Anzahl und Leistungsfähigkeit der Kraftwerke, die zur Deckung der Stromnachfrage eingesetzt werden.

Strom ist keine Ware wie jede andere. Angebot und Nachfrage müssen zu jeder Stunde, zu jeder Minute und Sekunde gleich hoch sein. Weicht die Frequenz im Netz von den normierten 50 Hertz auch nur minimal ab, können sensible elektronische Geräte beschädigt werden. Kommt es zu einem größeren Frequenzabfall, weil zu wenig Strom im Netz ist, bricht der Laden zusammen. Dasselbe gilt, wenn zu viel Strom auf zu wenig Nachfrage trifft.

Um das zu vermeiden, wurde ein Verfahren gesucht, mit dem die Versorgungssicherheit jederzeit gewährleistet wird, Haushalte wie Industrie durch Wettbewerb unter Kraftwerksbetreibern aber dennoch zu möglichst günstigem Strom kommen. 20 Jahre ab Liberalisierung der Strommärkte, die um die Jahrtausendwende erfolgt ist, hat das auch gut funktioniert.

Allein in Österreich haben sich Verbraucher nach Berechnungen von E-Control und Energieagentur kumuliert rund 13 Milliarden Euro erspart. Mit der Explosion der Gaspreise ist das System, wonach zuerst die billigsten Kraftwerke ans Netz gehen und dann Zug um Zug die teureren an die Reihe kommen, aber an Grenzen gestoßen. Das letzte, zur Deckung des Strombedarfs gerade noch notwendige Kraftwerk, das definitionsgemäß auch das Teuerste ist, setzt nämlich den Preis für alle anderen.

Inflationstreiber

Das teure Gas, für das Putin die Hauptverantwortung trägt, hat so auch die Strompreise in die Höhe getrieben. Weil Strom in die Preisgestaltung vieler anderer Produkte bis hin zur Frühstückssemmel einfließt, heizt das die Inflation gehörig an. Seit Wochen wird diskutiert, wie dem Preisauftrieb Einhalt geboten werden könnte.

Manche Länder wie Spanien und Portugal haben den Gaspreis gedeckelt. Das sei möglich, weil die Iberische Halbinsel vom Rest Europas weitgehend abgeschottet ist. Auf den Strompreis habe die Maßnahme eine dämpfende Wirkung gehabt, verweist man bei Österreichs Energie auf entsprechende Untersuchungsergebnisse.

Würde Österreich dasselbe tun, würde der subventionierte Strom zumindest teilweise ins Ausland abfließen, weil Österreich stark mit den Nachbarländern vernetzt ist. Der Gasverbrauch auf der Iberischen Halbinsel habe sich außerdem verdreifacht seither, was auch nicht im Sinne des Erfinders sein könne. Ein knappes Gut werde dadurch noch rarer.

Österreich ist übrigens Nettoimporteur von Strom; 2021 waren es in der Jahresbetrachtung zehn Prozent, die aus Deutschland, Tschechien, Ungarn und anderen Ländern zugekauft wurden.

Vorschlag von Kern

Für eine Gaspreisbremse wie in Spanien hat sich bei früherer Gelegenheit schon Ex-Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) ausgesprochen, weil damit der Strompreisanstieg gedämpft werden könne. Durch Abschöpfung von Zufallsgewinnen, wie sie etwa Verbund und OMV erzielen, könne man das finanzieren. So was wäre aber wohl nur möglich, wenn europaweit eine Abkoppelung der Gas- von den Strompreisen stattfinde, und sei es zeitlich begrenzt. In der ZiB2 am Freitagabend sprach sich Kern auch für staatliche Eingriffe in den Markt aus.

Darüber hinaus werden noch weitere Maßnahmen diskutiert, nicht zuletzt unter den Sozialpartnern. Eine Idee ist, in den Algorithmus einzugreifen, der das Merit-Order-System abwickelt. Würde dieser so programmiert, dass er statt den Preis des teuersten den Preis des ersten, nicht fossilen Kraftwerks auswirft, würden das auch helfen, ist Josef Thomann, Energieexperte der Arbeiterkammer, überzeugt.

Damit der Gaskraftwerksbetreiber den benötigten Strom produziert, müsse ihm die Differenz abgegolten werden. Nachteil sei, dass sich das auf europäischer Ebene wohl nicht so rasch umsetzen lasse. Eine nationale Lösung aber sei schwierig.

Energiemix

Immer wieder wird auch das Schweizer Modell ins Treffen geführt. Im Nachbarland ist der Energiemarkt nicht liberalisiert, die Kunden können folglich auch ihren Stromanbieter nicht aussuchen. Den Kunden wird jener Energiemix in Rechnung gestellt, der tatsächlich gekauft wird. Der Unterschied zu Österreich ist, dass in der Eidgenossenschaft der Anteil des Atomstroms bei rund 20 Prozent liegt und der Gasanteil in der Stromproduktion bei unter fünf Prozent – verglichen mit rund 15 Prozent Gas in Österreichs Stromproduktion.

Für Österreich hat Energieunternehmer Thomas Eisenhuth Vorschläge, die rasch Wirkung zeigen würden. Erstens die Mehrwertsteuer auf Energie nach dem Beispiel Deutschlands senken – in Österreich von 20 auf sieben Prozent. Zweitens den Stromproduzenten CO2-Zertifikate zeitlich befristet gratis zuteilen. Das würde den Strompreis sofort um 100 Euro je Megawattstunde verbilligen, sagt Eisenhuth. Drittens sollten Kraftwerksprojekte beschleunigt werden.

Anhängige Klagen

Dass Feuer am Dach ist, zeigen mehrere anhängige Klagen. Der Linzer Anwalt Michael Poduschka etwa vertritt eine Klientin, die den Energiekonzern Verbund geklagt hat, weil dieser seine Preise nach dem Merit-Order-Prinzip gestaltet.

Poduschka rechnet noch heuer mit einer Grundsatzentscheidung. Etwa 50 weitere Personen hätten Klage gegen diverse andere Energieanbieter eingebracht, sagt er. Denn kein anderes Thema ärgert die Menschen derzeit so sehr wie die stark gestiegenen Energiepreise. (Günther Strobl, 21.8.2022)


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Strompreise sind keine Verschwörung

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