Deutschlandfunk hier 09.09.2022
Strom gegen Gas
In Deutschland und in Frankreich ist Energie knapp. Während Frankreich wegen maroder Atomkraftwerke um seine Stromversorgung bangt, schaut Deutschland auf die Gasspeicher. Beide Länder haben sich gegenseitig solidarische Lieferungen zugesagt.
Energie
ist in Deutschland knapp und teuer geworden – und trotzdem exportiert
Deutschland Strom nach Frankreich und verstromt dafür sogar Gas. Aus der
Linkspartei kam daher bereits die Forderung, die Stromexporte
auszusetzen.
Doch
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat stattdessen eine Vereinbarung mit
Frankreich getroffen, in der beide Länder sich zu Solidarität in der
Energiekrise bekennen. Der französische Präsident Emmanuel Macron
betonte, das sei im Interesse beider Länder.
Warum hat Frankreich trotz Atomkraft nicht genügend Strom?
Frankreich
produziert circa 70 Prozent seines Stromes mit Atomkraftwerken. Doch
mehr als die Hälfte der 56 französischen Atomkraftwerke sind derzeit
wegen Instandsetzungsarbeiten sowie nach dem Auftreten von Rissen seit
Wochen außer Betrieb. Der zweitwichtigste Stromlieferant der Franzosen
ist die Wasserkraft, doch auch sie liefert wegen der extremen Hitze in
diesem Sommer nicht zuverlässig. Dadurch ist Frankreichs
Energieversorgung deutlich mehr in Schwierigkeiten geraten als durch
ausbleibende russische Gaslieferungen, die im Energiemix keinen so
großen Anteil haben.
Frankreich
kann diese Lücken nur zu sehr hohen Preisen durch Strom aus dem Ausland
decken. Denn der Strompreis am Markt hat sich durch die
Energieknappheit in vielen europäischen Ländern extrem erhöht. Etwa
1.000 Euro kostete eine Megawattstunde Strom Anfang September 2022, im
vergangenen Jahr gab es eine Megawattstunde für unter 100 Euro.
Im
Winter könnte das französische Stromnetz an die Belastungsgrenze kommen,
denn ein Drittel der Haushalte in Frankreich heizt mit Strom, in
Deutschland machen das gerade einmal fünf Prozent. Wenn die Temperatur
im Winter um ein Grad fällt, braucht es die Leistungskraft von
zweieinhalb Kernreaktoren, um den zusätzlichen Bedarf zu decken.
„Jeder
muss sich dafür verantwortlich fühlen, seinen Verbrauch zu drosseln“,
sagte der französische Wirtschaftsminister Bruno Le Maire Ende August.
Die Premierministerin Élisabeth Borne nimmt dazu vor allem die
Unternehmen in die Pflicht: Jedes Unternehmen müsse noch im September
einen Energiesparplan vorlegen, sagte sie am 5. September 2022 vor dem
Arbeitgeberverband. Falls man Energie rationieren müsse, werde man bei
den Unternehmen anfangen.
Droht Frankreich ein Blackout?
Doch
Borne räumt ein, dass auch die Haushalte betroffen sein könnten: „Wenn
alle Stricke reißen, müssen wir den Haushalten den Strom abschalten“,
sagte sie am 31. August 2022 im französischen Fernsehen. Wohnvierteln
werde man dann der Reihe nach jeweils für zwei Stunden den Strom
abstellen, man tue aber alles, um das zu verhindern.
Frankreich
sei in der Lage, den Mangel zu organisieren, zu ungeplanten
Stromausfällen werde es daher auch im Winter nicht kommen, sagte der
französische Ökonom Patrice Geoffron Ende August im Deutschlandfunk. Das
werde trotzdem eine „schwierige Situation“, die für viele Bürger auch
„traumatisch“ werden könne.
Warum kann Deutschland trotz Energiekrise Strom exportieren?
In
der ersten Hälfte des Jahres 2022 hat Deutschland sogar deutlich mehr
Strom produziert als hierzulande verbraucht wurde. Große
Produktionszuwächse gab es laut Statistischem Bundesamt bei Kohle (17,2
Prozent) und bei erneuerbaren Energien (12,1 Prozent). Fast die Hälfte
des Stromes wurde aus erneuerbaren Energien produziert. Und erstmals
seit Beginn der Statistik im Jahr 1990 führte Deutschland mehr Strom
nach Frankreich aus als in umgekehrter Richtung importiert wurde. Dass
Strom sowohl im- als auch exportiert wird liegt daran, dass so
Schwankungen im Netz ausgeglichen werden.
Allerdings
wurde auch verstärkt Gas verstromt, um den französischen Markt
beliefern zu können, sagte der Präsident der Bundesnetzagentur, Klaus
Müller, Ende August in der ZDF-Talkshow „Markus Lanz“. Das habe mit
„nachbarschaftlicher Solidarität“ zu tun, sei aber „unter
Gas-Gesichtspunkten nicht wünschenswert“. Nach Daten von Smard, dem
Energieportal der Bundesnetzagentur, wurden im Juli 2022 in Deutschland
4.036 Gigawattstunden aus Erdgas produziert, im Juli 2021 waren es nur
3.555 Gigawattstunden.
Deutsche AKW als Reserve – auch für Frankreich
Am
5. September 2022 gab Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne)
bekannt, dass zwei der drei noch genutzten deutschen Atommeiler zum
Jahresende nicht wie ursprünglich geplant endgültig abgeschaltet werden:
Sie sollen noch bis Mitte April als Reserve dienen. Der dritte
verbliebene Reaktor Emsland werde aber wie geplant Ende des Jahres
abgeschaltet. Eine Laufzeitverlängerung über Mitte April hinaus schloss
Habeck kategorisch aus.
Ein
sogenannter Stresstest hatte zuvor ergeben, dass die süddeutschen AKW in
Extrem-Situationen im Winter hilfreich sein könnten. Habeck nannte als
Problemstellungen unter anderem die schwierige Belieferung von
Kohlemeilern in Südwestdeutschland mit Kohle wegen des
Rhein-Niedrigwassers. Zudem ist die Windkraft gerade in Süddeutschland
nur schwach ausgebaut. Habeck verwies aber auch auf die wegen Wartung
abgeschalteten AKW in Frankreich. Man werde Strom ins Nachbarland
fließen lassen.
Was bekommt Deutschland im Gegenzug?
Während
die Stromversorgung in Deutschland relativ gut aufgestellt ist,
fürchtet man Engpässe beim Gas. Denn zum Heizen und in der Industrie
wird in Deutschland viel Gas als Energieträger gebraucht. Die Knappheit
beim Gas kann schon allein technisch nicht ohne Weiteres durch Strom
kompensiert werden. Und hier hat Frankreich Hilfe angeboten.
„Deutschland
braucht unser Gas, und wir brauchen den Strom, der im übrigen Europa
und insbesondere in Deutschland produziert wird“, sagte der französische
Präsident Emmanuel Macron nach einer Videokonferenz mit Bundeskanzler
Olaf Scholz (SPD) am 5. September. 2022. Beide Länder kämpfen zwar mit
Energieknappheit. Aber Frankreich braucht vor allem Strom, auch weil
viele Haushalte damit heizen. In Deutschland hingegen wird vor allem Gas
zum Heizen eingesetzt. Deutschland hat im Jahr 2021 insgesamt gut 90
Milliarden Kubikmeter Erdgas verbraucht, Frankreich hingegen nur 43.
Während
Deutschland bis zum russischen Angriff auf die gesamte Ukraine etwa die
Hälfte des genutzten Erdgases über Importe aus Russland abgedeckt hat,
hat Frankreich nur etwa ein Viertel aus Russland bezogen. Im Gegensatz
zu Frankreich hat Deutschland auch weiterhin kein LNG-Terminal, über das
Erdgas per Schiff angeliefert werden könnte. Frankreich hat vier
solcher Terminals und kann über diese 33 Milliarden Kubikmeter Erdgas
importieren. Über Pipelines bekommt Frankreich zudem Gas aus Spanien.
Der
Chef der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, geht davon aus, dass bereits
im Oktober Erdgas über Frankreich nach Deutschland fließen wird. Zum
Umfang der Lieferungen äußerte er sich aber im Gespräch mit dem
Redaktionsnetzwerk Deutschland am 29. August 2022 nicht.
Wie kommt der Strom nach Frankreich und das Gas nach Deutschland?
,
sagte Macron am 5. September nach der Pressekonferenz mit Scholz. Frankreich werde in den nächsten Wochen die notwendigen Gasverbindungen fertigstellen, um Deutschland Gas zu liefern, wenn es benötigt werde. Frankreich nimmt dazu im Grenzgebiet zu Rheinland-Pfalz eine
stillgelegte Gas-Pipeline wieder in Betrieb. Die eigentlich für
Lieferungen nach Frankreich gebaute Leitung soll zum Winter nun Gas nach
Deutschland bringen.
„Diese
deutsch-französische Solidarität ist die Verpflichtung, die wir mit
Bundeskanzler Scholz eingegangen sind“, sagte Macron. Genauere Angaben
machte er zunächst nicht. Auch Deutschland habe sich in Bezug auf
Stromlieferungen verpflichtet. Größere Stromlieferungen über
Ländergrenzen hinweg sind in Europa keine Besonderheit und finden
alltäglich statt.
Streit um Pipeline von Spanien bis Deutschland
Deutschland
dringt auch auf die Wiederbelebung eines Pipeline-Projektes in Spanien.
Der französische Präsident Macron hat dem Projekt aber auch nach der
Videokonferenz Anfang September mit Scholz erneut eine Absage erteilt.
Die Pipeline Midcat soll von Barcelona über die Pyrenäen bis zur
Anbindung an das französische Netz im südfranzösischen Barbairan führen.
In Spanien ist die Röhre bis Hostalric 106 Kilometer südlich der Grenze
fertig, in Frankreich fehlen etwa 120 Kilometer.
Spanien
sieht darin ein Projekt von europäischer Bedeutung, das deshalb auch
von der EU finanziert werden müsse. Das Erdgas, das durch die Röhre
Richtung Norden fließen soll, könnten Spanien und Portugal aus
verschiedenen Quellen beziehen, da beide Länder zusammen über insgesamt
sieben Flüssiggasterminals verfügen. Zudem gibt es zwei Pipelines zum
Gaslieferanten Algerien in Nordafrika. Später könnte im Zuge der
Energiewende auch sogenannter grüner Wasserstoff durchgeleitet werden,
der mit Hilfe von Wind oder Sonne erzeugt wird. Bisher gibt es nur zwei
kleinere Gaspipelines von Spanien über die Pyrenäen Richtung Norden mit
beschränkter Kapazität.
Quellen:
Julia Borutta, Statistisches Bundesamt, Smard Strommarktdaten, BP
Statistical Review of World Energy 2022, GIE LNG Database, Statista,
dpa, Reuters, AFP, pto
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