Leere Dächer, teurer Strom

Die Sonne knallt auf das Flachdach. Zwischen Lüftungsschächten, Abluftrohren und Satellitenschüsseln hat die Berliner Bau- und Wohnungsgenossenschaft von 1892 im Bezirk Wedding Solarmodule installiert. Die Anlagen auf dem Ensemble aus den Siebzigerjahren und einem Neubau haben eine Leistung von 90 Kilowatt in der Spitze. An diesem Tag Ende August lohnt sich das richtig. Binnen zwei Stunden produzieren die schwarzen Siliziumplatten 95 Kilowattstunden Strom – genug, um 136 effiziente Waschmaschinen bei 60 Grad durchlaufen zu lassen, sich 95 Stunden lang die Haare zu föhnen oder 6.650 Tassen Kaffee zu kochen.

Doch der Strom kommt nur bei einem Teil der Hausbewohnerinnen und Hausbewohner an. Von den 129 Wohnungen in den älteren Bauten haben nur 41 Mietparteien Zugang zu dem selbst gemachten Strom. Grund sind die komplizierten Vorschriften aus dem Erneuerbare-Energien-Gesetz. "Wir bräuchten in jedem Haus ein separates Zählsystem, das rechnet sich aber nicht", sagt das Vorstandsmitglied der Genossenschaft, Dirk Lönnecker. "Die Leute wollen den Strom, bekommen ihn aber nicht. Das kann man niemandem erklären."

Lönnecker führt nach unten. Im Erdgeschoss zeigt ein Bildschirm den jeweiligen Stromertrag und -verbrauch an. Im Keller hängt umfangreiche Messtechnik an der Wand: Boxen mit Zählern, Kupferleitungen und Schaltkreisen. Allein dafür kommt leicht ein fünfstelliger Betrag zusammen. Ohnehin wird die Genossenschaft mit dem Mieterstrom nicht reich. "Wir tun das für die Umwelt und für unsere Bewohnerinnen und Bewohner", sagt Lönnecker.

Nur acht Prozent des Stroms kommt von Solardächern

Die Situation hier am Nettelbeckplatz ist symptomatisch. Die Energiewende in den Städten kommt nur schleppend voran. Bundesweit werden derzeit große Solarparks auf Freiflächen geplant und sogar Ackerböden umgewidmet. Dort aber, wo es niemanden stören würde – nämlich auf den Dächern in den Städten –, sammeln hingegen nur vereinzelt Fotovoltaikanlagen den Strom ein.
In Berlin werde nur ein gutes Prozent der geeigneten Dachflächen für Fotovoltaik genutzt, sagt Volker Quaschning, Professor für Regenerative Energiesysteme an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin. Bundesweit kommen nach einer Schätzung des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme rund acht Prozent der Nettostromerzeugung von Solardächern. Das sind vor allem Einfamilienhäuser, Gewerbebauten, Schulen, Ställe. Mietshäuser: eher wenig bis gar nicht. "Da ist noch viel Luft nach oben", sagt Quaschning. Den genauen Anteil kann aber niemand benennen.

Dabei ist mit dem Mieterstromzuschlag 2017 extra ein Instrumentarium geschaffen worden, um Benachteiligung auszugleichen. Denn im Gegensatz zu Eigenheimen war Solarstrom für Mietshäuser lange zu teuer, insbesondere wegen des hohen Aufwandes für Abrechnung und Messung. Was gut gemeint war, wirkte aber wie eine Bremse. Statt den Mieterstrom zu befördern, kam der Zuschlag mit einer Fülle von Vorschriften daher: Keine Anlage über 100 Kilowatt, keine Leitung von der Garage zu den Mieterinnen und Mietern, ein Strompreis, der zehn Prozent unter dem Grundversorgungstarif der Region liegen muss.

Die Regeln sind trotz mehrfacher Änderungen immer noch so kompliziert, dass selbst Expertinnen und Experten oft nicht wissen, was der aktuelle Stand ist. Anfangs hätten die Wohnungsunternehmen teilweise sogar zu Energieversorgern mit allen Pflichten werden müssen. Eine Konsequenz, vor der die meisten zurückschreckten. "Energiewirtschaftsrecht ist nur etwas für Profis", sagt die Energieexpertin beim GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen, Ingrid Vogler.

Ein großes Ärgernis ist insbesondere, dass die Wohnungsgesellschaften oder ihre Anlagenbetreiber den Strom nicht zumindest ein paar Hundert Meter durch das öffentliche Netz leiten dürfen, um Nachbargebäude anzuschließen, was die Anlagen oftmals unwirtschaftlich macht. "Das wäre nur ein Pinselstrich", sagt Lönnecker. In der Branche wird gemutmaßt, dass sich die Netzbetreiber auch gegen unliebsame Konkurrenten schützen wollen. Hinzu kommen weitere Hürden. Bei einem Neubau wartet die Genossenschaft seit einem Jahr auf die Solardachgenehmigung. Auch der Denkmalschutz verhindert Solaranlagen.

"Da lassen wir lieber die Finger davon"

Unterm Strich sind die Regeln so unattraktiv, dass die maximale Förderung von 500 Megawatt neuer Anlagen pro Jahr nie ausgeschöpft worden ist. Bisher sind überhaupt nur Mieterstromanlagen von zusammen 80 Megawatt ans Netz gegangen, berichtet das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz. Immerhin mit steigender Tendenz.

Die Genossenschaft 1892 vermarktet den Strom mithilfe des Dienstleisters Solarimo. "Für die Abrechnung haben wir nicht das nötige Know-how, da lassen wir lieber die Finger davon", sagt Lönnecker. Die Vorschriften wurden Anfang 2021 so gelockert, dass der Anlagenbetreiber den Strom nicht mehr selbst vermarkten muss. Dennoch ist es ein kompliziertes Geschäft, da die Mieterinnen und Mieter den Stromversorger frei wählen dürfen. Am Nettelbeckplatz haben sich immerhin fast die Hälfte, im Neubau sogar 60 Prozent der Bewohnerinnen und Bewohner für Mieterstrom entschieden.

Oftmals würden in Berlin aber nur 20 bis 30 Prozent der Mieter mitmachen, sagt der technische Leiter der Berliner Stadtwerke, Alexander Schitkowsky. Dann kommt die ohnehin knappe Kalkulation ins Wanken. Der nicht im Haus verkaufte Strom kann nur für einen Bruchteil des Preises ins öffentliche Netz eingespeist werden. Scheint aber zu wenig Sonne, muss für teures Geld Strom zugekauft werden. Für die Berliner Stadtwerke, den größten Anbieter von Mieterstrom in Berlin, ist das Geschäftsmodell inzwischen extrem schwierig geworden. "Wir suchen den Schlüssel", sagt Geschäftsführerin Kerstin Busch.

Die Bundesregierung will den Ausbau erneuerbarer Energien beschleunigen und hat unter anderem Erleichterungen für große Gewerbedachanlagen beschlossen. Mieterstromanlagen dürfen ab Januar 2023 mehr Leistung haben als 100 Kilowatt, Bürgerenergiegesellschaften sollen stärker gefördert werden. Bei Neubauten sollen Solardächer bundesweit Pflicht werden – in Baden-Württemberg gilt das schon heute, in Hamburg und Berlin ab 2023.

30.000 Dächer bis 2050

Etwas scheint also in Bewegung zu geraten. Unter Eigenheimbesitzern ist das eigene Kraftwerk auf dem Dach ohnehin hoch im Kurs, zumal unter dem Eindruck des russischen Angriffskriegs in der Ukraine. Handwerksbetriebe und Material sind schwer zu bekommen. Der größte deutsche Wohnungskonzern Vonovia will die Ausbaugeschwindigkeit auf 30 Megawatt pro Jahr steigern – immerhin ein Hundertstel der Leistung von großen Braunkohlekraftwerken wie in Jänschwalde. Bis 2050 soll jedes geeignete Dach mit Solaranlagen bestückt sein: insgesamt 30.000 Dächer. "Wir haben uns das Ziel gesetzt, einen klimaneutralen Gebäudebestand zu erreichen", sagt eine Sprecherin.

Die Charlottenburger Baugenossenschaft in Berlin überlässt einem Dienstleister für einen geringen Pachtzins ihre Dächer und hat 30 Anlagen mit gut einem Megawatt Leistung. Mittlerweile wäre auch ein Eigenbetrieb in gewissem Umfang möglich, sagt Sprecher Michael Krebs. Auch die Berliner Bau- und Wohnungsgenossenschaft von 1892 plant für das kommende Jahr Fotovoltaik auf einem Block mit 180 Wohnungen, bei dem das Dach ohnehin saniert werden muss.

Ob die Gesetzesnovellen den großen Durchbruch bringen, ist für den Experten Quaschning nicht sicher. "Uns läuft die Zeit davon", sagt er. Er habe inzwischen seine Meinung geändert und halte auch große Solarparks auf Freiflächen für notwendig. Dort könne man schnell Kapazitäten aufbauen. Auf Dachflächen sei dagegen der Nutzen klein und der Aufwand groß. "Wenn wir noch hundert Jahre warten, ruinieren wir das Klima."