Der Artikel zeigt, was alles möglich wäre. Vorbild ist Dänemark:
Interview Nahwärme mit der Bürgermeisterin von Rutesheim Susanne Widmaier
Große Kommunen ab 20 000 Einwohner sind in Baden-Württemberg gesetzlich zu einer Wärmeplanung verpflichtet. Doch auch zahlreiche kleinere Kommunen im Land haben sich auf den Weg gemacht. Eine davon ist Rutesheim im Kreis Böblingen. Dazu sollen nun eigene Stadtwerke gegründet werden.
Staatsanzeiger: Der Bau von Nahwärmenetzen ist mit hohen Investitionen verbunden. Warum machen Stadtverwaltung und Gemeinderat hier jetzt so viel Druck?
Susanne Widmaier: Wir sind in der glücklichen Situation, dass wir mit dem Neubaugebiet auf dem ehemaligen Boschareal neben dem Schulkomplex mit Schwimm- und Sporthalle ein sehr lohnendes Gebiet mit 100 Prozent Abnehmern haben. Die Grundstücke auf dem 2,7 Hektar großen Gebiet gehören der Stadt oder der Bosch Wohnungsgesellschaft, die ebenfalls bereit ist, sich an ein Wärmenetz anzuschließen. Etwa 240 Wohneinheiten sollen hier entstehen, die ersten könnten Ende 2024 fertig sein. Die Leitungen dafür müssen somit dann liegen. Deshalb muss es nun schnell gehen. Daneben gibt es ältere Wohngebiete, die überwiegend mit Gas und Öl beheizt werden. Auch dort gibt es derzeit großes Interesse, sich an eine Nahwärmeversorgung anzuschließen.
Rutesheim hat bislang keine eigenen Stadtwerke. Warum hat sich die Kommune nun entschieden, Stadtwerke zu gründen und das Nahwärmenetz selbst zu bauen und zu betreiben?
Wir hatten mehrere Interessenten, die das Netz gerne betreiben würden. Doch wenn wir dies vergeben, sind wir als Kommune außen vor. Außerdem betrachten private Anbieter die Versorgung ausschließlich monetär, wie verschiedene Gespräche gezeigt haben. Das heißt, wir als Kommune hätten keinen Einfluss darauf, welche Energiequellen genutzt werden. Außerdem hätten wir auch keinen Einfluss auf den Preis für die Wärme für unsere Bürger oder darauf, wer an das Wärmenetz angeschlossen wird. Bereiche, die wirtschaftlich nicht so interessant sind, fallen dann raus.
Eigene Stadtwerke zu gründen ist für eine Kommune mit rund 10 800 Einwohnern aber kein einfacher Weg.
Dazu musste ich auch in meiner Verwaltung erstmal Überzeugungsarbeit leisten. Da gab es die Sorge, dass wir das nicht zusätzlich stemmen können. Klar ist, wir werden zusätzliches Personal brauchen, was am Markt derzeit nicht leicht zu finden ist. Auch mit dem Gemeinderat hatten wir zwei Sondersitzungen, bei denen die Energieagentur, die uns berät, das Thema vorgestellt hat. Der Gemeinderat hat sich auch klar dafür ausgesprochen. Ein Rechtsanwalt wird uns jetzt die unterschiedlichen Formen mit ihren Vor- und Nachteilen darstellen. Man kann ja beispielsweise einen Eigenbetrieb gründen, eine Genossenschaft oder eine GmbH. Wir wollen im Herbst noch in die Gründung der Stadtwerke gehen.
Woher soll die Wärme für das Wärmenetz kommen?
Wir wollen unterschiedliche Energiequellen nutzen. Dazu gehört zum Beispiel die Abwärme von Gewerbebetrieben, wozu auch der Bäcker zählt. Außerdem wollen wir das Potenzial der Kläranlage ebenso nutzen wie Biogas, Solarthermie und Photovoltaik, Holz in Form von Hackschnitzeln und Pellets, aber auch Wärmepumpen, etwa im Bereich der Heizzentrale.
Rutesheim liegt an der A8 und wollte auch den Autobahnwall für Solarthermie nutzen. Woran scheitert dies?
Wir haben auf unserer Gemarkung wenig Flächen für Solarthermie. Die Südseite der Autobahnwälle eignet sich perfekt. Zumal wir damit mit nichts und niemandem in Konkurrenz kommen würden, weder mit einem Wohn- oder Gewerbegebiet und auch mit keinem Landwirt oder Ausgleichsflächen. Wir haben deshalb bei der Bundesautobahngesellschaft angefragt und über ein Jahr auf eine Antwort gewartet. Abgelehnt wurde es unter anderem wegen der Verkehrssicherungspflicht. Das halte ich für vorgeschoben. Denn die würden wir selbstverständlich übernehmen. Wir hätten zudem auch Pacht bezahlt.
Wird der gesamte Ort an das Wärmenetz angeschlossen?
Nein. Wärmenetze machen vor allem bei dichter Bebauung mit vielen Anschlüssen Sinn. Wir erhoffen uns von der Wärmeplanung, die gerade gemacht wird, dass wir genau sehen, welche Gebiete mit welcher Priorität an ein Wärmenetz angeschlossen werden sollten und in welchen Gebieten sich andere Formen der Wärmeversorgung, wie etwa Wärmepumpen eher eignen.
Steigt Rutesheim mit eigenen Stadtwerken künftig auch in die Stromversorgung ein?
Sicher nicht im ersten Schritt. Aber für die Zukunft will ich das derzeit noch nicht ausschließen.
Zitat: adelphi „Wärmenetze 4.0:
Das Land deckt heute etwa 60% seines Wärmebedarfs über leitungsgebundene Wärme. Knapp die Hälfte dieser Wärme stammt aus erneuerbaren Energien, v.a. Holz, biogene Abfälle und Stroh (Danish Energy Agency 2015). Für die leitungsgebundene Wärmversorgung werden außerdem weitere innovative Ansätze getestet, wie etwa niedrige Vorlauftemperaturen oder Online-Netzberechnungstools, um nur so viel Temperatur und Pumpenleistung einzuspeisen wie nötig. Im Unterschied zum nachfrageorientierten Ansatz der deutschen Wärmepolitik, der sich auf die Reduzierung des Wärmebedarfs durch Gebäudesanierungen und Effizienzsteigerungen konzentriert, setzt Dänemark verstärkt angebotsseitig auf eine Versorgungsstruktur auf Basis erneuerbarer Energien. Dies wird durch ambitionierte Klimaschutzziele und eine hohe Besteuerung fossiler Brennstoffe unterstützt. Die kommunale Wärmeversorgung wird in Dänemark als Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge verstanden. Leitungsgebundene Wärmeversorgung genießt eine hohe gesellschaftliche Akzeptanz. Dies hängt auch mit den genossenschaftlichen oder kommunalen Eigentumsstrukturen in der Fernwärmeversorgung zusammen.
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