Montag, 26. September 2022

Flutkatastrophe in Pakistan: Und daheim nicht mal ein Tempolimit

Die Zeit  in fünf vor acht 22. September 2022  hier  Eine Kolumne von Andrea Böhm

Vor den UN beschwor Olaf Scholz eine globale Solidarität, für die der Westen selbst nur wenig tut. Das belegt ein Blick auf die Flutkatastrophe in Pakistan.

Man hielt es schon nicht mehr für möglich: Nach knapp zwei Wochen ist die Doku-Soap über den Tod der Queen (sie möge in Frieden ruhen!), über die Thronfähigkeit ihres Sohnes und über die Armfreiheit von Meghan, Duchess of Sussex, (sie hat das Beerdigungskleid schon bei anderer Gelegenheit getragen!) zu Ende. Vielleicht wird diese Dauerberieselung auf allen Kanälen irgendwann, wenn alle wieder vom Alltag und der Vernunft eingeholt worden sind, als größte Publikumsvernebelung in die Geschichte der Medien eingehen.

Bevor wir darauf noch einmal zu sprechen kommen, möchte ich Ihre Aufmerksamkeit auf ein Ereignis lenken, das weniger Quoten- und Klickzahlenrenner ist, aber für den Zustand dieses Planeten deutlich relevanter: In New York hat diese Woche die Generalversammlung der Vereinten Nationen begonnen. Die Herren Xi und Putin schicken nur ihre Außenminister, aber die allermeisten anderen Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsländer reisen nach zwei Jahren Corona-Pause erstmals wieder persönlich an.

Die Veranstaltung ist nicht deshalb bemerkenswert, weil sie Hoffnungen weckt. Sondern weil sie den Kontrast zwischen dem, was geschehen müsste, und dem, was geschieht, so deutlich macht. Mit etwas mehr Pathos formuliert: Noch nie in der Geschichte der Menschheit gab es so viele Krisenkaskaden, die ein global vernetztes Handeln erfordern. Und noch nie seit Gründung der UN war die Bereitschaft dazu so klein wie heute.

Für alle, die jetzt schon die Hand zum Einspruch heben: Ich weiß, dass die UN bei ihrer Gründung vor allem ein westliches Großmachtprojekt waren, zwischen dessen Praxis und dem Anspruch der UN-Charta immer wieder gewaltige Lücken klafften und klaffen. Mir ist auch klar, dass diese Organisation selbst einige Verantwortung dafür trägt, wenn viele schon beim Hören ihres Namens frustriert abwinken. Aber die UN sind, salopp gesagt, immer noch der größte Laden, den die Staaten dieser Welt und die darin versammelten Bürger*innen haben, um globale Probleme anzugehen.

Bundeskanzler Olaf Scholz, bislang nicht als feuriger Internationalist in Erscheinung getreten, hat die Bühne der UN diese Woche deshalb genutzt, um in seiner Rede vor der Generalversammlung den arg lädierten Ideen von multilateraler Kooperation und Universalismus wieder etwas mehr Charme zu verleihen.

Genauer gesagt: um Schadensbegrenzung zu betreiben. Denn das Gerüst einer auf Werte basierten Weltordnung zum Wohle aller, in unseren Breitengraden auch lange als "westliche Weltordnung" bezeichnet, kam schon mit Donald Trump im Weißen Haus ins Wackeln. Jetzt hat der russische Angriffskrieg auf die Ukraine zentrale Stützpfeiler weggekegelt. Zum Beispiel die Grundannahme, dass sich auch die bittersten geopolitischen Feinde bei globalen Existenzkrisen wie der Erderwärmung auf einen Minimalkonsens einigen können. Klima-Diplomatie mit Moskau? Dringend nötig, aber bis auf Weiteres nicht vorstellbar.

Oder der feste Glaube in Washington, Berlin oder Paris, dass die Länder des Globalen Südens schon mitziehen würden, wenn die USA und die EU eine erstaunlich geschlossene Front bildeten und die Verteidigung der Ukraine zur Verteidigung von Freiheit und Demokratie erklärten. Weltweite Sanktionen gegen Putin? Die große Mehrheit der afrikanischen und asiatischen Länder ist mit Russland im Geschäft geblieben. Und so manche ihrer Regierungen sehen in Putin einen Underdog, der sich vom Westen bedrängt fühlt.

Also beschwor Olaf Scholz in New York die globale Solidarität, beschrieb den Beistand für die Ukraine als Kampf gegen den russischen Imperialismus, hob Deutschlands Großzügigkeit bei der Aufnahme von Flüchtlingen hervor, versprach Ländern des Globalen Südens mehr Hilfe gegen die Folgen des Klimawandels und "größere politische Mitsprache auf der Weltbühne".

Ich fürchte, der Beifall wird sich in Grenzen gehalten haben. Nicht weil Scholz etwas Falsches gesagt hätte: Der russische Angriffskrieg ist Imperialismus in Reinform, die apologetischen oder wachsweichen Stellungnahmen, die man aus Südafrika, Uganda oder Indien zur Invasion hören konnte, sind peinlich bis verstörend. Deutschland hat Hunderttausende von Flüchtlingen nicht nur aus der Ukraine, sondern auch aus Syrien aufgenommen. Es hat eine Initiative zur Bekämpfung der globalen Hungerkrise mitangestoßen. Und auf Vorschlag des Kanzlers wurden zum jüngsten G7-Gipfel in Elmau unter anderem die Staats- und Regierungschefs aus Südafrika und Indien sowie der amtierende Vorsitzende der Afrikanischen Union eingeladen.

Bloß täuscht eine solche Werbeoffensive nicht darüber hinweg, dass ein Multilateralismus auf "Augenhöhe" Europa und den USA nur dann in den Kram passt, wenn es den eigenen Interessen dient: Jetzt nämlich, da man die politische Unterstützung der Entwicklungs- und Schwellenländer gegen Moskau (und Peking) sowie deren Erdgas und Erdöl braucht, um die Lieferausfälle aus Russland auszugleichen.  ......

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