ARD Tagesschau hier 30.10.2025 Von Lara Shehada, HR
Viele Häuser im Ortskern von Etteln sind mit Solaranlagen auf den Dächern ausgestattet.Player: audio (auf ARD Seite)
Dr. Christoph Kost, Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme, über Energy Sharing
Deutschland ist EU-Spitzenreiter beim Ausbau von Solaranlagen - auch im privaten Bereich. Was aber tun mit überschüssigem Strom?
Ein neues Gesetz sieht nun vor, ihn an Nachbarn verkaufen zu können.
8.000 Kilowattstunden Strom pro Jahr - Matthias Tholes Familie verbraucht deutlich mehr als die meisten Haushalte in Deutschland. Denn in seinem Haus im niedersächsischen Bakum leben drei Generationen. Zwei riesige Solaranlagen auf dem Dach decken ihren Strombedarf.
Die Anlagen produzieren 20.000 Kilowattstunden pro Jahr - damit könnte Matthias Thole zusätzlich zu seiner etwa drei Familien versorgen. "Viele meiner Nachbarn könnten den Strom gut gebrauchen. Und ich will ihn ihnen günstig verkaufen", sagt er.
Mehr als 70 Prozent des Strombedarfs über Energy Sharing
Matthias Thole meint damit Energy Sharing. Die Idee ist einfach: Jeder, der zu viel Strom produziert, soll den Strom einfach mit Nachbarn teilen können und den Preis dafür mitbestimmen.
Dafür gibt es unterschiedliche Modelle: von lokalen Stromgemeinschaften bis zum experimentellen bundesweiten Stromhandel. Laut einer Studie der Deutschen Energie-Agentur könnte Energy Sharing - je nach Modell - bis zu 73 Prozent der gesamten Stromnachfrage in Deutschland abdecken.
Energiewende: "Strom ist wie ein Apfelbaum"
Aktuell ist Energy Sharing unter Nachbarn jedoch nicht erlaubt. Stattdessen gilt in Deutschland: Wenn Solarbesitzer ihren Strom verkaufen, werden sie zu Stromlieferanten - mit Verträgen, Bilanzen und einer Liefergarantie.
Die Kommune Bakum ist allerdings schon einen Schritt weiter. Bürgermeister Tobias Averbeck (CDU) will seine Kommune komplett unabhängig machen. "Wir haben ja mit dem Ukraine-Krieg gesehen, wie schnell es gehen kann", sagt er.
Bakum hat Energy Sharing bereits im Rahmen eines Pilotprojekts getestet. Das Ergebnis: Durch Energy Sharing könnte der gesamte Strombedarf der Gemeinde günstig abgedeckt werden. Von diesem Strom sollten alle Bürger profitieren, sagt Averbeck: "Wenn ich zu viele Äpfel an meinem Apfelbaum habe, gebe ich die auch meinen Nachbarn. Genau so wäre es mit Strom möglich." Er kämpft daher für eine Gesetzesänderung.
Neuer Gesetzentwurf: Energy Sharing ab 2026 möglich
Auf EU-Ebene gibt es bereits eine Richtlinie,
die Energy Sharing vorsieht.
EU-Bürger sollen so besser gegen Stromkrisen abgesichert sein und aktiv an der Energiewende teilnehmen.
Das Gesetz soll ab Juli 2026
in der gesamten Europäischen Union umgesetzt werden.
Also muss nun auch Deutschland aktiv werden
Der Bundestag berät deshalb aktuell über einen neuen Entwurf für das Energiewirtschaftsgesetz (EnWG).Energieökonomin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) sieht besonders in Deutschland großes Potenzial für Energy Sharing.
Denn zuletzt produzierte Deutschland laut dem Statistischen Bundesamt 31 Prozent des gesamten Photovoltaik-Stroms der EU. Solarstrom machte dem Fraunhofer-Institut zufolge in der ersten Hälfte von 2025 außerdem etwa 19 Prozent der gesamten Stromproduktion Deutschlands aus.
"Energy Sharing ist ein notwendiger Schritt, wenn wir unseren Strom in Zukunft digital und effizient nutzen wollen", so Kemfert.
Italien und Österreich bieten Orientierung
Mit dem deutschen Gesetzentwurf soll es in Zukunft möglich sein, überschüssigen Strom mit der eigenen Gemeinde zu teilen. Italien und Österreich haben bereits Energy-Sharing-Konzepte, die funktionieren. Beide Länder sehen sogenannte Energiegemeinschaften vor, die vom Staat durch Subventionen gefördert werden.
Das im Bundestag diskutierte Gesetz sieht vor, dass vor allem Privatpersonen, kleine Firmen und Kommunen Energiegemeinschaften gründen dürfen. Voraussetzung an die Teilnehmer ist, dass sie nicht im Energiesektor arbeiten.
"Eine Win-Win-Situation"
Langfristig könnte der Strom durch den direkten, lokalen Handel billiger werden. Verkäufer und Käufer bestimmen gemeinsam den Strompreis - möglichst unabhängig von internationalen Krisen und Energiekonzernen. "Eine Win-Win-Situation für beide Seiten", meint Bürgermeister Tobias Averbeck.Die klassischen Stromversorger decken bei Energy Sharing den Reststrom ab - zum Beispiel an sonne- und windarmen Tagen. Für Verbraucher ist das ein weiterer Vorteil des Gesetzentwurfs: Sie müssen keine Angst haben, an solchen Tagen keinen Strom liefern zu können.
Bundesrat und Forschende kritisieren den Gesetzentwurf
Der deutsche Gesetzentwurf lässt aber offen, wie genau Energy Sharing funktionieren soll. Anders als in Italien und Österreich sind keine finanziellen Subventionen vorgesehen.
Somit lohnt sich Energy Sharing für die meisten Solarbesitzer noch nicht. "Ohne finanzielle Anreize bleibt es ein Liebhaberprojekt für ein paar Privatpersonen", sagt Louisa Wasmeier von der Forschungsstelle für Energiewirtschaft (FfE).
In einer Stellungnahme zum Gesetzentwurf fordert der Bundesrat, dass Teilnehmer einer Energiegemeinschaft finanziell belohnt werden. Man befürchte, das Gesetz sei sonst so unattraktiv und unklar, dass potenzielle Investoren davor zurückschreckten.
"Energy Sharing muss funktionieren"
Solarbesitzer Matthias Thole aus Bakum ist zuversichtlich. Er spart bereits jetzt 200 Euro im Monat, weil er seinen Strom verkauft. "Mit Energy Sharing kann ich für meinen Strom noch mehr Geld haben, und meinen Nachbarn tue ich auch was Gutes mit einem fairen Preis." Auch Bakums Bürgermeister setzt sich weiter für das Gesetz ein. Damit Energy Sharing funktioniert, brauche es nun von Bundesseite eine klare Vision und Zukunftssicherheit.
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