Dienstag, 3. Juni 2025

Milliarden sollen in neue Gaskraftwerke fließen - Zukunft fühlt sich anders an

 

Lasse Groth  hier auf LinkedIn

Das ist mein Heimspeicher. Und er darf nicht helfen

Während Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche den Bau von bis zu 20 GW neuer Gaskraftwerke ankündigt, steht in meinem Keller ein voll funktionsfähiger Stromspeicher – bereit, Strom ins Netz zu geben, wenn er gebraucht wird.

Aber er darf nicht.

Nicht gesetzlich. Nicht wirtschaftlich. Nicht technisch eingebunden.

Absurd, oder?


Denn dieser Speicher – und über 2 Millionen weitere in Deutschland – könnten genau das leisten, wofür wir jetzt fossile Infrastruktur errichten wollen:

 • Strom einspeisen, wenn das Netz es braucht

 • Lastspitzen abfangen

 • Versorgung sichern

 • CO₂-Ausstoß senken


Aber:

 • Rückspeisung ist unattraktiv oder verboten

 • Netzdienliches Verhalten wird nicht vergütet

 • Die digitale Einbindung fehlt

Und deshalb fließen Milliarden in neue Gaskraftwerke.


Das fühlt sich falsch an.

Denn wir haben das Backup längst – dezentral, sauber, bezahlt. Wir müssen es nur nutzen.


Meine Vision:

Ein intelligentes Netz, das Speicher wie meinen automatisch einbindet.

Ein Markt, der Flexibilität belohnt.

Eine Energiewende, die Bürger*innen aktiviert – statt sie ausbremst.


Und das ist erst der Anfang.

Wenn wir es ernst meinen, dann binden wir auch die nächsten Millionen Speicher ein:

E-Autos mit bidirektionalem Laden.

Ein rollender Speicherpark – direkt vor unserer Tür.

Frau Bundeswirtschaftsministerin Reiche, warum setzen Sie nicht auf das, was schon da ist: Millionen dezentrale Speicher, die Netzstabilität sichern können – sauber, bezahlbar und sofort verfügbar.


Kommentar dazu von Thomas Walter

Und es käme noch besser: Jegliche flexible Last wie Wärmepumpen, zeitverschobenes Laden von E-Autos oder Betrieb von Hausgeräten wirkt wie eine kostenlose "virtuelle" Batterie. Das haben wir auch schon "live" gezeigt. Warum wollen manche gleichwohl lieber etwas, das nicht nur teurer, sondern auch klimaschädlich ist? Klingt nicht ganz rational...


Kommentar dazu von Thorsten Schleicher

Es gibt einen Weg:  hier  21. Mai 2025

Virtuelle Kraftwerke – Unsichtbare Riesen, die unser Stromnetz atmen lassen

Kraftwerke ohne Kirchturm – eine stille Revolution

Stell dir vor, du gehst mit dem Hund um den Block, riechst frisch gemähten Rasen und hörst irgendwo eine Wärmepumpe schnurren. 

Was du nicht hörst: das kollektive Brummen von Tausenden Solarmodulen, Biogasanlagen und Batteriespeichern, die sich im gleichen Moment zu einem digitalen Kraftpaket vernetzen. 

Kein Schlot, kein Flutlicht, nur unscheinbare Dachziegel – und doch wuchtet dieser Verbund die Leistung mehrerer Kohleblöcke ins Netz. Genau das nennt sich Virtuelles Kraftwerk (VPP). Es ersetzt nicht die Romantik der alten Dampfmühle, aber sehr wohl deren Rauchfahne.

Was ist überhaupt ein Virtuelles Kraftwerk?

Die offizielle Definition liest sich nüchtern: „eine Zusammenschaltung dezentraler Erzeuger, Speicher und steuerbarer Verbraucher zu einem Marktteilnehmer“. Praktisch heißt das: Viele kleine Akteure tun so, als wären sie ein großer. Die Steuerzentrale – gern irgendwo auf einer unscheinbaren Etage im Industriegebiet – kennt den Zustand jeder Anlage, lotet Preise aus, ruft Strom ab oder parkt ihn in Batterien. Think Spotify-Playlist, nur statt Songs streamst du Kilowattstunden.

Bausteine & Betriebsgeheimnisse

Hardware: Sonne, Wind & Co.

  • Photovoltaik: von Balkon-Panel bis Fabrikdach.
  • Windenergie: klassisches Onshore-Rad, Offshore-Gigant mit 14 MW am Haken.
  • Biogas & BHKW: die flexiblen Allwetter-Player fürs Tal der Ahnungslosen, wenn Wind und Sonne gleichzeitig Urlaub machen.
  • Batterie-Parks & Heimspeicher: Sekundenreaktionszeit, perfekt für die ganz schnelle Feuerwehr.

Alles, was einen Zähler hat und fernsteuerbar ist, kann mitspielen – dank Standards wie VHPready 4.0, die regeln, wie Wechselrichter und Leitwarte miteinander flüstern. 

Software: Algorithmen, die Wolken lesen

Ein VPP funktioniert nur, wenn Bits schneller rennen als Wolken ziehen. Satellitenbilder, Temperatur-Profile, Marktpreise: all das landet in einem neuronalen Hexenkessel, der sekundengenau entscheidet, ob die Anlage im Emsland hochfährt oder der Speicher in Köln lieber schlummert. „Daten sind unser Brennstoff, Wettervorhersagen unser Hochofen“, sagt das Trading-Team sinngemäß.

Vom Wetter zum Bit: Handel & Märkte

Day-Ahead vs. Intraday

  • Day-Ahead: Heute bieten, morgen liefern. Planbar, aber grob.
  • Intraday: bis fünf Minuten vor Zielzeit handelbar. Hier steppt der Algorithmus.

Langfristige Lieferungen, klassisch Over-the-Counter, mag der Grünstrom nur bedingt – zu viele unbekannte Saharastaub-Events, zu viel „Schnee auf den Paneelen“. Kurzfristig glänzt er: Preise steigen, wenn Dunkelflaute droht; wer Speicher oder Biogas im Köcher hat, verkauft Spitzenenergie zum Luxuspreis.

Direktvermarktung – das Kleingedruckte

Seit die Einspeisevergütung auf Diät ist (Stichwort: 8 Cent pro kWh für Neuanlagen in DE), lohnt sich das Bündeln im VPP doppelt: bessere Börsenpreise, weniger Abregelung, mehr Netzdienlichkeit. Dafür verlangt der Markt disziplinierte Prognosen – wer zu viel verspricht, zahlt Ausgleichsenergie.

Regelenergie: das Rückgrat der Frequenz

50 Hz sind das Taktmaß unseres Lebens. Weicht die Frequenz ab, streikt der ICE-Trafo oder die Server-Farm. Damit’s gar nicht erst soweit kommt, gibt’s – in der Reihenfolge der Schweißperlengröße –

Primärreserve (Sekundenware): Batterie atmet ein, Dampfturbine atmet aus.

Sekundärreserve (5 Minuten): BHKW sattelt um von Dünger auf Drehmoment.

Minutenreserve (15 Minuten+): stillgelegtes Gasturbinen-Kraftwerk legt die Zeitung beiseite.

Virtuelle Kraftwerke spielen in jeder Liga mit, weil sie den Ball (Strom) sowohl aufpumpen (Einspeisen) als auch ablassen (Verbrauch hochfahren) können. Und ja, fürs Bereitstehen gibt’s Geld – wie bei einem Feuerwehrzug, der am Ende des Tages hoffentlich wenig löschen musste.

Fallstudien – wenn Bits Kraftwerke bauen

Beginnen wir in Köln, blicken aber gleich über nationale Grenzsteine hinweg: Der „Next Pool“ vernetzt Tausende Windräder, PV-Parks, Biogasanlagen und Batteriespeicher quer durch Deutschland, die Niederlande, Frankreich und Polen. Zusammen stemmen sie bereits rund 12,7 Gigawatt – das ist die gebündelte Wucht von mehr als einem Dutzend Kohleblöcken. Gut 14 000 einzelne Einheiten fließen in diese digitale Herde ein, die 2024 rund 15 Terawattstunden an der Börse gehandelt hat.

Springen wir ans andere Ende der Welt nach South Australia. Dort wächst ein virtuelles Kraftwerk, das Tesla-Powerwalls in Sozialwohnungen zu einem Schwarm verschaltet. Im Endausbau sollen bis zu 250 Megawatt abrufbar sein – genug, um im Notfall einen Schwarzstart zu fahren, wenn das reguläre Netz ausgeknipst wird.

Ein paar Zeitzonen weiter östlich, in Japan, setzt man auf Heimspeicher als Sturmversicherung. Staatlich gefördert, werden Batterien in Privathäusern vernetzt, um Taifun-bedingte Blackouts abzufedern. In Summe kommt das japanische VPP bereits auf über ein Gigawatt verteilte Leistung – ein leiser Riese gegen die Launen des Archipels.

Zurück über den Pazifik in den verschneiten US-Bundesstaat Vermont: Green Mountain Power koppelt Kundenbatterien zu einem Netzpuffer von derzeit rund 50 Megawatt Spitzenleistung. Wenn Eiskrusten Leitungen niederzwingen, springt der Speicher-Schwarm ein – der Strom bleibt an, auch wenn draußen die Äste knacken.

Vier Projekte, ein Prinzip: Viele kleine Quellen verschmelzen zu einem unsichtbaren Kraftwerk, das dort einspringt, wo klassische Giganten zu träge oder zu teuer wären. Virtuelle Kraftwerke sind damit nicht bloß Technik-Showcase, sondern eine Versicherungspolice fürs Stromnetz – global gültig, lokal spürbar.

(Nicht alle Zahlen öffentlich verifiziert, Stand Mai 2025.)

Chancen für Unternehmen, Kommunen & Prosumer

Für Anlagenbetreiber

Monetarisierung jenseits der EEG-Krümel: Statt 8 Cent straight bekommst du Spot- oder Peak-Preise.

Keine Angst vorm Wetter: Der Verbund verschiebt Risiko auf viele Schultern.

Netzdienlichkeit als Geschäftsmodell: Mit Regelenergie-Option doppelt kassieren.

Für Netzbetreiber

Feuerlöscher statt Brandbeschleuniger: VPPs bügeln Lastspitzen aus, reduzieren Redispatch-Kilometer.

Planbarkeit ohne Betonklotz: Millionen € Netzausbau lassen sich aufschieben, wenn Flexibilität mitspielt.

Für Kommunen & Stadtwerke

Lokale Wertschöpfung: Stromgeld bleibt in der Region, nicht im Fernwärme-Fernsehen.

Resilienz: Bei Sturmtief Berta entscheidet Sekundenregulation, ob Krankenhaus-Netzersatz anspringt.

Schattenseiten & offene Baustellen

Marktmacht & Ownership

Next Kraftwerke ist seit 2021 Teil von Shell. Einige sehen Synergien, andere fürchten fossile Finger im Grünstrom-Honigtopf. Gleiches gilt für Tech-Giganten: Tesla etwa steuert seine Powerwalls in Australien exklusiv selbst und stellt Schnittstellen nur eingeschränkt frei. Offen bleibt, ob künftige Standards Interoperabilität erzwingen.

Daten- und Cybersicherheit

Wer Kraftwerke via VPN befiehlt, muss Cyber-Türsteher beschäftigen. IEC 60870-5-104 und Co. sind solide, aber kein Bollwerk gegen Zero-Day-Skalpell.

Netzausbau & Regulatorik

Europas Stromautobahn reicht vielerorts nur einspurig übers Land. Ohne neue Leitungen oder leistungsfähige Transformatoren fährt das schönste VPP im Stau. Gleichzeitig mahnen Bürgerinitiativen: Nicht über jede Wiese einen Netzausleger. Balance-Akt.

Warum das alles nicht reicht – Dunkelflaute & Backup

Selbst 12 GW Bündelung lösen keine Woche Nebel + Flaute + Frost in Mitteleuropa. Wir brauchen Backups:

Gasturbinen – heute noch fossiles Methan, morgen hoffentlich grüner Wasserstoff.

Langzeitspeicher – von Redox-Flow bis Wärmespeicher im Salzkavernen-Outfit.

Sektorenkopplung – Wärmepumpe wird Stromheizung, E-Auto wird Netzpuffer.

Virtuelle Kraftwerke sind der Dirigent; sie ersetzen nicht jedes Instrument, aber sie holen aus dem Orchester die Synfonie.

Ausblick: Der Strom erzählt Zukunft

Die Energiewende ist kein Solistenwettbewerb, sondern Jam-Session. Virtuelle Kraftwerke zeigen, wie aus vielen leisen Stimmen ein Chor werden kann, der das Fossilzeitalter übersingt. Sie sind Rechenzentren, die Watt statt Werbung verkaufen, Knotenpunkte zwischen Prosumer-Garage und Großhandel.

Was fehlt?

Klare Spielregeln für Echtzeit-Datenzugang, damit der kleine Heimspeicher nicht zum Geisel der Hersteller-App wird.

Bildungsoffensive: Wer sein Dach elektrifiziert, sollte nebenbei verstehen, was Intraday bedeutet.

Mut, Netze europäisch zu denken: Die Sonne Spaniens ist kein Exportproblem, sondern eine vernetzte Lösung.

Call to Action

Du verwaltest Immobilien? Mach deine Keller-BHKWs zu Regelenergie-Helden. Du leitest ein Stadtwerk? Prüf, ob dein Tarifmodell Batterie-Prosumern überhaupt die Tür öffnet. Du sitzt im Bundestag? Sorge dafür, dass Schnittstellen offen bleiben wie eine Kneipentür am Karnevalsfreitag.

Denn wenn Bits und Kilowattstunden in Zukunft Hochzeit feiern, wollen wir alle eingeladen sein.

Nachwort

Ich habe zugesehen, wie ein Mann mit Tablet am Fenster steht, die Wolken scannt und gleichzeitig Kraftwerksblöcke verschiebt – ohne jemals eine Schraube anzufassen. Wer behauptet, Digitalisierung sei abstrakt, hat noch nie erlebt, wie drei Klicks ein ganzes Netz durchatmen lassen. Die Riesen von morgen tragen keine Stahlträger mehr – sie bestehen aus Software, Solarzellen und einem Stillen Post-Spiel, das Strom in Geschichten verwandelt.

Bleibt neugierig, bleibt flexibel – das Netz dankt es euch.

Quellenliste

Next Kraftwerke GmbH – „The Power of Many: Facts & Figures“ (Abruf: 21. Mai 2025). Liefert die Kennzahlen 14 324 Anlagen, 12 700 MW vernetzte Leistung und 15,1 TWh Stromhandel für Q1 2025.

Doktor Whatson - Warum redet niemand über dieses neue Kraftwerk?  hier 

Simon Alvarez: „Tesla launches phase four of South Australia Virtual Power Plant“, Teslarati, 24. Mai 2023. Enthält die Zielgröße von 250 MW Solar- und 650 MWh Batteriespeicherkapazität für die SA-VPP.

Government of South Australia, Department for Energy & Mining – „South Australia’s Virtual Power Plant“ (Informationsseite, laufend aktualisiert; Abruf: 21. Mai 2025). Hintergrund zu Struktur und Netzdiensten des Projekts.

Enel X Japan: Pressemitteilung „Tight supply and Demand Drives New Demand Response Record in the Capacity Market“, 10. Dezember 2024. Meldet den Abruf von rund 1 GW VPP-Ressourcen im japanischen Kapazitätsmarkt.

Green Mountain Power: News Release „GMP’s Request to Expand Customer Access to Cost-Effective Home Energy Storage … is Approved“, 18. August 2023. Beschreibt das Vermonter Batterie-Netz als VPP mit etwa 50 MW gespeicherter Leistung.

Wikipedia – „Virtual power plant“ (en) und „Virtuelles Kraftwerk“ (de), letzte Aktualisierung jeweils April / März 2025; grundlegende Definition und Terminologie. (en.wikipedia.org, de.wikipedia.org)

Wikipedia – „VHPready“, Beitrag zur Kommunikationsspezifikation für VPP-Teilnehmer, Version 4.0 (Abruf: 21. Mai 2025). (en.wikipedia.org)

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