Große Ölkonzerne erstmals wegen Hitzetod in den USA verklagt
Eine Klägerin in den USA wirft Shell, BP und anderen Ölkonzernen vor, mitschuldig am Tod ihrer Mutter durch extreme Hitze zu sein. Kann die weltweit erste Klage wegen Tod durch die Klimakatastrophe Erfolg haben?
Misti Leon (links im Bild) klagt jetzt gegen mehrere Öl-und Gasfirmen wegen widerrechtlicher Tötung ihrer Mutter Juliana (rechts) während einer extremen Hitzewelle
Am 28. Juni 2021 stieg die Temperatur in Seattle während einer Hitzewelle auf über 42 Grad Celsius. Es war die heißeste Temperatur, die je in der Stadt an der Westküste der Vereinigten Staaten gemessen wurde. An diesem Tag wurde die 65-jährige Juliana Leon bewusstlos in ihrem Auto aufgefunden und starb kurz darauf an Hyperthermie - der Überhitzung des Körpers.
Jetzt verklagt ihre Tochter Misti Leonvor einem Gericht im Bundesstaat Washington sieben Öl- und Gasunternehmen wegen schuldhafter Tötung. Sie argumentiert, dass die Konzerne durch die Herstellung und Vermarktung fossiler Brennstoffe die extreme Hitze, die zum Tod ihrer Mutter führte, schlimmer gemacht haben.
In der Klageschrift heißt es, die Unternehmen - darunter Exxon Mobil, Chevron, ConocoPhillips, Shell und BP - hätten seit Jahrzehnten gewusst, "dass ihre Produkte aus fossilen Brennstoffen die Erdatmosphäre bereits verändern".
Die Angeklagten hätten vorsätzlich eine "von fossilen Brennstoffen abhängige Wirtschaft" geschaffen, die zu "häufigeren und zerstörerischen Wetterkatastrophen und vorhersehbaren Verlusten an Menschenleben" führen würde, heißt es in der Klage.
Eine bahnbrechende Klage für künftige Klimaprozesse
Ein Sieg Leons in der ersten Klage wegen widerrechtlicher Tötung dieser Art wäre "ein Meilenstein in der Klimaprozessführung", so Maria Antonia Tigre, Leiterin der Abteilung Global Climate Litigation am Sabin Center for Climate Change Law in New York.
Bisher wurde Schadenersatz nur in sehr wenigen Klimaprozessen zugesprochen. Ein Erfolg in Seattle könnte dazu führen, dass künftig Einzelpersonen von Unternehmen, die fossile Brennstoffe einsetzen, Schadensersatz und sogar Strafschadensersatz für ihre Rolle beim Klimawandel fordern, erklärte Tigre.
Neben der Forderung nach Schadenersatz fordert die Klage auch, dass die Konzerne eine Kampagne zur Aufklärung der Öffentlichkeit finanzieren, um "jahrzehntelange Fehlinformationen" zu korrigieren.
Laut Leon hätten sie die "Verwirrung der Verbraucher" über den Zusammenhang zwischen der Verbrennung fossiler Brennstoffe und der Erwärmung des Planeten geschürt.
Chevron, BP, Shell und ConocoPhillips reagierten nicht auf eine DW-Anfrage nach einer Stellungnahme zu diesem Fall.
Big Oil weist Behauptungen in der Klage zurück
Die Chevron Corporation, einer der größten Öl- und Gasproduzenten der Welt, hat die in der Klage erhobenen Behauptungen öffentlich zurückgewiesen.
"Eine persönliche Tragödie auszunutzen, um politisierte Klima-Schadensersatzklagen voranzutreiben, widerspricht dem Gesetz, der Wissenschaft und dem gesunden Menschenverstand", sagte Chevron-Sprecher Theodore Boutrous Jr. in einer Erklärung gegenüber dem öffentlich-rechtlichen US-Sender NPR.
"Das Gericht sollte diese weit hergeholte Behauptung in die wachsende Liste der unbegründeten Klimaklagen aufnehmen, die bereits von einzelstaatlichen und bundesstaatlichen Gerichten abgewiesen wurden", fügte er hinzu.
Laut Tigre könnte der Fall jedoch "eine neuartige, aber plausible Grundlage für eine Haftung schaffen". Die Klage stützt sich auf das Deliktsrecht und nicht auf nationale Gesetze wie Emissionsvorschriften, die den meisten bisherigen Klimaprozessen zugrunde liegen.
Einblicke in massives Lobbying der Ölindustrie
"Schadensersatzklagen haben das Ziel, Personen, die vom Klimawandel betroffen sind, zu entschädigen," so Rebekkah Markey-Towler, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Melbourne Climate Futures Think Tank in Australien.
In der Vergangenheit waren solche Zivilklagen "ein wichtiges Mittel für Einzelpersonen, um gegen große Tabak- oder Asbestunternehmen vorzugehen", erklärte die Forscherin. Ein Mann aus Pennsylvania erhielt 2024 von seinem Arbeitgeber 3,8 Millionen Dollar (3,5 Millionen Euro) zugesprochen, weil er aufgrund von Asbestexposition an Mesotheliom erkrankt war. Klimafälle seien "nicht anders", fügte sie hinzu.
"Große Ölkonzerne sehen sich bereits mit Klimabetrugs- und Schadenersatzklagen von Dutzenden staatlicher und lokaler Regierungen konfrontiert", bemerkte Alyssa Johl, Vizepräsidentin der Rechtsabteilung des Center for Climate Integrity, einer in den USA ansässigen Denkfabrik für Klimafragen.
Da dieser jüngste Fall "der erste ist, der im Namen eines einzelnen Klimaopfers eingereicht wurde", stelle er "einen weiteren Schritt in Richtung Verantwortlichkeit" dar, erkläre Markey-Towler.
Frühere Klimafälle in anderen Ländern
Markey-Towler sagte, dass frühere deliktsrechtliche Klimafälle - auch solche in anderen Ländern - für diese Klage "tangential relevant" sein könnten.
Im Jahr 2015 wurde in einem bahnbrechenden niederländischen Prozess zum Klimawandel, der als Urgenda-Fall bekannt wurde, das Deliktsrechtsprinzip der "gefährlichen Fahrlässigkeit" angewandt, um zu argumentieren, dass die Untätigkeit der Regierung in Bezug auf den Klimawandel einen Verstoß gegen ihre Sorgfaltspflicht gegenüber ihren Bürgern darstellt. Das Urteil zwang die niederländische Regierung, die Emissionsreduktionsziele zu erhöhen.
Ein neuerer Fall in Deutschland, bei dem ein peruanischer Bauer den Energieriesen RWE wegen des Beitrags der Firma zur Gletscherschmelze und Überschwemmungsgefahr für sein Haus verklagte, war ein weiterer Versuch einer Einzelperson, Klimaschäden geltend zu machen.
"Der Fall war zwar in der Hauptsache nicht erfolgreich, aber das Gericht erkannte an, dass ein privater Emittent grundsätzlich für einen Teil der Schäden haftbar gemacht werden kann", so Markey-Towler über das endgültige Urteil im Mai.
Klarer Zusammenhang der Hitzewelle mit der Klimaerwärmung
Die Wissenschaft der Wetterattribution werde für den Fall "von zentraler Bedeutung sein", sagte Tigre. Dabei bewerten Forscher die Wahrscheinlichkeit, inwieweit der Klimawandel extreme Wetterereignisse wie Waldbrände, Überschwemmungen oder Hitzewellen wahrscheinlicher macht.
Die Hitzewelle an der Westküste der USA im Jahr 2021 - der so genannten Hitzekuppel im pazifischen Nordwesten - wäre ohne den vom Menschen verursachten Klimawandel "praktisch unmöglich"gewesen, so die damalige Schnellanalyse.
Die Rekordtemperaturen, die drei Tage lang anhielten, wären ohne den Klimawandel "mindestens 150 Mal seltener" aufgetreten, heißt es in der Studie.
Eine solche extreme Hitze wäre vor der Klimaerwärmung nur etwa einmal in 1.000 Jahren aufgetreten. Doch sie könnten etwa alle fünf bis 10 Jahre auftreten, wenn die globalen Temperaturen um 2 Grad steigen. Klimawissenschaftler gehen davon aus, das das bis Anfang der 2040er der Fall sein könnte. Derzeit sind die globalen Temperaturen bereits um etwa 1,5 Grad höher als vor der Industrialisierung.
Hitze wird als "stiller Killer" bezeichnet und verursachte zwischen 2000 und 2019 jährlich den Tod von mehr als 489.000 Menschen, so ein UN-Bericht 2024.
Die Hitzewelle, bei der die Mutter der Klägerin 2021 starb, führte in den USA und Kanada insgesamt zu rund 850 Todesfällen.Das Problem für Misti Leons Klage gegen die Ölgesellschaften bestehe allerdings darin, das Gericht von den "spezifischen" Beiträgen der Firmen zu den globalen Emissionen zu überzeugen, so Tigre.
"Selbst wenn wir in der Lage sind zu sagen, dass der Klimawandel ein Ereignis verursacht hat - wie viel hat ein Unternehmen dazu beigetragen?", fragte Markey-Towler. "Das ist schwierig."
Eine potenzielle neue Welle von Rechtsstreitigkeiten
Laut der Climate Change Litigation Database des Sabin Center for Climate Change Law werden in den USA und weltweit inzwischen fast 3.000 Klimaklagen mit gesundheitlichen Argumenten geführt.
Sollte der Fall im Bundesstaat Washington erfolgreich sein, würde er einen "bahnbrechenden Präzedenzfall schaffen, der die Handlungen der Unternehmen für fossile Brennstoffe direkt mit dem Schaden verbindet, den Einzelpersonen erleiden", so Markey-Towler.
Der Prozess könnte laut Tigre dazu beitragen, neue Rechtstheorien wie "Klimamord" oder "Tötung durch ein Unternehmen" zu fördern, bei denen eine strafrechtliche statt einer zivilrechtlichen Verurteilung angestrebt wird.
"Ein solcher Präzedenzfall würde wahrscheinlich eine neue Welle von Rechtsstreitigkeiten auslösen", fügte sie hinzu.
Der Artikel wurde aus dem Englischen adaptiert von Anke Rasper.
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