Wer denkt noch an Tschernobyl und wer hat mitgekriegt , wie viele Angriffe bereits von Rußland auf die ukrainischen AKW`s stattgefunden haben im Rahmen der Kriegsführung. Und das wollen wir wieder wagen indem wir neue AKW`s bauen?
Warum es so schwierig ist, die Schutzhülle von Tschernobyl zu reparieren
Am Nachmittag des 14. Februar, kurz nach dem russischen Angriff, haben ukrainische Behörden eine Gruppe internationaler Journalisten ins stillgelegte Atomkraftwerk Tschernobyl eingeladen.
Es ist grau und trist. Im Licht kraftvoller Scheinwerfer berichten die Gastgeber, was sich hier Stunden zuvor zugetragen hat. Die Journalisten, zu denen auch ein SPIEGEL-Mitarbeiter gehört, bekommen am beschädigten NSC nicht nur den Schaden im Dach zu sehen. Ihnen werden im Schnee neben dem Gebäude auch die Trümmer der Drohne präsentiert. Teilweise tragen sie russische Aufschriften.
Es geht den Ukrainern augenscheinlich darum, die Schuldfrage zu klären. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj nennt den Angriff auf das NSC eine »terroristische Bedrohung für die ganze Welt«. Russland behauptet dagegen, mit dem Angriff nichts zu tun zu haben.
Klar ist schon da: Moskau wird für den Schaden nicht aufkommen. Da augenscheinlich nichts Schlimmeres passiert ist, keine zusätzliche Radioaktivität austritt, verschwindet der Vorfall kurz darauf wieder aus dem Fokus der Öffentlichkeit. Dabei beginnt der Brand zu diesem Zeitpunkt gerade erst, sich durch die riesige Dachkonstruktion zu fressen. Die Feuerwehr versucht ihn zu stoppen, lange Zeit mit wenig Erfolg.
Rafael Mariano Grossi, Chef der Internationalen Atomenergieagentur (IAEA), nennt den Schaden an der Schutzkonstruktion Ende April »erheblich«. In der Kerntechnik gibt es den Begriff des größten anzunehmenden Unfalls. Damit ist ein Problem gemeint, das am Limit der Auslegung des Kraftwerks liegt, aber noch beherrscht werden kann. So ähnlich ist es wohl mit dem Schaden am NSC. Wenn er überhaupt behoben werden kann, dann wohl nur mit allergrößtem Aufwand und maximaler Mühe, irgendwie. Der größte anzunehmende Umbau – und das an einem Gebäude, das so gewaltig ist, dass es die Frauenkirche in Dresden oder die Kathedrale Notre-Dame in Paris in sich aufnehmen könnte.
Die Hülle des NSC kann nicht vollständig verhindern, dass radioaktive Strahlung nach außen dringt. Dafür hätte man sie mit Blei verkleiden müssen, was aufgrund des hohen Gewichts des Schwermetalls nicht möglich war. Die Schutzkonstruktion soll vor allem radioaktiven Staub zurückhalten. Es geht zum Beispiel darum, dass bei den angedachten Arbeiten am alten Sarkophag kein gefährliches Plutonium freigesetzt wird.
»Das NSC ist ein technisch komplexes System, das mit einem ausgeklügelten Regime aus Über- und Unterdruck arbeitet«, erklärt Lutz Küchler von der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) in Berlin. Der Ingenieur für Kernkraftwerkstechnik war schon mehrfach in Tschernobyl und kennt die Bedingungen vor Ort.
Eigentlich herrscht im Inneren der Konstruktion dauerhafter Unterdruck. Das verhindert, dass Partikel nach draußen gelangen, weil Luft ins Innere des Baus strömt und nicht umgekehrt. Zwischen den beiden Lagen der Dachkonstruktion sollte es wiederum einen Überdruck geben. Auch dieser würde verhindern, dass Luft aus dem NSC in die Umwelt gelangt, wie der Deckel auf einem Kochtopf, wenn das Dach kein Loch hätte. Und wenn die Sicherheitsmembran noch komplett wäre.
»Durch die aktuellen Schäden ist dieses Druckregime gestört«, sagt Küchler. »Das System wieder auf dem ursprünglichen Niveau abzudichten, ist technisch sehr anspruchsvoll.« Küchler sagt, aus seiner Sicht sei es technisch grundsätzlich möglich, das NSC zu reparieren, »aber mit vielen offenen und zum Teil komplexen fachlichen Fragen, die jetzt Schritt für Schritt geklärt werden müssen«.
Unklar ist etwa, ob die Hülle vor Ort repariert werden kann, oder ob die Strahlenbelastung für die Arbeiter in diesem Fall zu groß wäre. Dann müsste die Konstruktion von der Größe eines Kreuzfahrtschiffs auf Schienen auf den Montageplatz vor dem Sarkophag geschoben werden. Der Sarkophag läge wieder frei. »Wenn man das NSC bewegt, wirkt das auch mechanisch auf die alte Baustruktur ein«, so Küchler. Am ursprünglichen Sarkophag gebe es instabile Bereiche, »das müsste berücksichtigt werden«. Außerdem, sagt ein anderer Experte, wäre es »exzessiv teuer«, die Schutzhülle zu bewegen.
Frankreich stellt Geld in Aussicht
Insgesamt 45 westliche Geberländer, unter ihnen Deutschland, haben das nötige Geld für die Schutzhülle in Tschernobyl beigesteuert. Die internationalen Partner haben auch einen zusätzlichen Fördertopf eingerichtet, den International Chernobyl Cooperation Account (ICCA). Aus ihm sollen Kosten gedeckt werden, die nach dem Bau anfallen. Derzeit ist er mit rund 25 Millionen Euro gefüllt. Die ukrainische Umweltministerin Svitlana Hrynchuk hat nach dem Drohnenangriff erklärt, es sei »wahrscheinlich«, dass die Kosten der Reparatur die verfügbare Geldsumme überschreiten.
Die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) hat im März zunächst 400.000 Euro aus dem Fonds bereitgestellt. Damit werden Experten bezahlt, die in den kommenden Monaten die entstandenen Schäden abschätzen. Ein weiteres Treffen der Geldgeber ist für Juni geplant. »Konkrete Informationen zu Reparaturoptionen oder Kosten liegen bislang nicht vor«, heißt es aus dem Umweltministerium in Berlin auf SPIEGEL-Anfrage. Frankreich hat bereits 10 Millionen Euro beigetragen.
Ein internationaler Experte, der sich mit der Materie gut auskennt, vermutet: Die Reparaturen am NSC werden »über Jahre gehen« und »Hunderte Millionen Euro« teuer werden. Zum Vergleich: Die Drohne, die am 14. Februar ins NSC einschlug, kostete keine 200.000 Dollar.
Womöglich ist es mit der Reparatur nicht getan. Der Rückbau des Sarkophags aus Sowjetzeiten und später auch des havarierten Reaktors selbst galten bisher als Aufgabe, um die sich allein die Ukrainer zu kümmern haben. Inzwischen gehen Fachleute davon aus, dass sie in der Folge von Russlands Angriffskrieg für beide Aufgaben finanzielle Unterstützung benötigen werden.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen