Spiegel hier 19.11.2023, Eine Kolumne von Christian Stöcker
Die besten Nachrichten dieser Woche sind wieder einmal fast übersehen worden: Chinas CO₂-Emissionen werden voraussichtlich schon 2024 sinken. Und das ist nicht alles, wie Xi Jinpings Besuch in den USA zeigte.
Für das chinesisch-amerikanische Spitzentreffen zwischen Joe Biden und Chinas Staatschef Xi Jinping, das diese Woche in den USA stattfand, gab es eher durchwachsene Kritiken. Xi Jinping erklärte, die Erde sei »groß genug, um beide Länder unterzubringen«, was, zumindest in der Übersetzung, so offensichtlich wie trivial ist. Informierten Beobachtern zufolge signalisierte Xi damit, dass er China als Supermacht mit globalem Einfluss sieht.
Die wichtigste Erklärung jedoch wurde schon vor Beginn des Besuchs verkündet: Am Dienstag, noch bevor Xi in den USA eintraf, veröffentlichten beide Staaten konzertiert eine Erklärung über ihre künftige Zusammenarbeit beim Klimaschutz. China versprach zwar nicht, seinen Ausbau von Kohlestromerzeugung zu beenden, oder gar aus der Kohle auszusteigen. Beide Länder erklärten aber, sie würden »Anstrengungen unternehmen, die globale Kapazität für erneuerbare Energien global bis 2030 zu verdreifachen«. Außerdem bekannten sich beide Länder zu »bedeutsamen absoluten Emissionsminderungen im Bereich Stromerzeugung«.
Das ist ein Novum, denn bislang hat sich China noch nie auf konkrete, sektorspezifische Reduktionsziele festgelegt.
Dass Xi Jinping bereit war, mit den USA gemeinsam eine solche Absichtserklärung zu veröffentlichen, ist aus drei Gründen eine gute Nachricht:
Erstens zeigt es, dass die beiden einzigen Supermächte des Planeten die Klimakrise so ernst nehmen, dass sie trotz aller Konflikte bereit sind, bei diesem Thema zu kooperieren. Ohne diese Kooperation wird es nicht gehen. Die Erklärung ist damit vermutlich ein besseres Ergebnis, als es von der unter sehr schlechten Vorzeichen stehenden COP28 in Dubai in zwei Wochen zu erwarten ist.
Zweitens zeigt diese Erklärung, dass der Zug für die Abwiegler, Leugner und Verzögerer, die es auch in den USA derzeit noch in großer Zahl gibt, endgültig abgefahren scheint. Die Regierung Biden hat längst erkannt, dass China dem Rest der Welt in Sachen Energiewende in hohem Tempo enteilt. Sollte Donald Trump tatsächlich noch einmal US-Präsident werden, wird er versuchen, all das zurückzudrehen – aber er wird vermutlich sogar am Widerstand der eigenen Wirtschaft scheitern. Bidens »Inflation Reduction Act« wird Tatsachen schaffen, an denen auch republikanische Politiker nicht mehr vorbeikommen.
Drittens reflektiert die Erklärung das wachsende Selbstbewusstsein Chinas in der Arena Klima und Energie. Und dieses wachsende Selbstbewusstsein hat seine Gründe. Das führt uns zu der zweiten guten Nachricht in dieser Woche.
Der unabhängige, keineswegs im Dienste Chinas stehende Fachdienst »Carbon Brief« veröffentlichte nämlich am Tag vor der gemeinsamen Erklärung der USA und Chinas eine Analyse, die das chinesische Selbstbewusstsein erklärt: Basierend auf Daten aus diversen Quellen folgert »Carbon Brief«, dass »so gut wie garantiert« sei, dass Chinas CO₂-Emissionen im Jahr 2024 erstmals tatsächlich wieder sinken werden. China ist seit 2007 der größte Emittent des Planeten. Wenn man die historischen Gesamtemissionen betrachtet, liegen die USA allerdings weiterhin einsam an der Spitze der Klimasünder.
Wenn China den Kipppunkt hin zu sinkenden Emissionen jetzt schon erreicht hat, ist das eine Sensation: Angekündigt und geplant war das nämlich erst für das Jahr 2030. Und jedes Jahr zählt.
Zwar seien Chinas Emissionen im Jahr 2023 weiter gestiegen, so »Carbon Brief«. Gleichzeitig aber habe es ein »historisches Wachstum« bei erneuerbaren Energieerzeugungskapazitäten gegeben. Besonders ausgeprägt war das im Bereich Solarstrom: Hier fügte China demnach allein im Jahr 2023 210 Gigawatt Kapazität hinzu, »mehr als das Doppelte der in den USA insgesamt installierten Kapazität und mehr als viermal so viel wie China im Jahr 2020 zubaute«.
Rechnet man Chinas Zubau von Wind-, Sonnen-, Wasser- und Kernkraft für das Jahr 2023 zusammen, kommt man auf 423 zusätzliche Terawattstunden Strom pro Jahr, »das entspricht dem gesamten Stromverbrauch Frankreichs«.
Zudem habe es einen Investitionsboom bei der industriellen Kapazität zur Herstellung von emissionsmindernder Technik gegeben, etwa im Bereich Solarzellen, Elektroautos und Batterien.
Good News für Afrika
»Carbon Brief« zufolge konkurrieren in China derzeit Unternehmen, die für die alte, schmutzige Energieversorgung stehen mit den neuen – und es sieht so aus, als ob die Mächte des Fossilen in China gerade den Kürzeren ziehen.
Das sind gute Nachrichten für den Rest des Planeten – wenn auch nicht unbedingt für europäische und US-amerikanische Konkurrenten. Die gewaltigen Produktionskapazitäten etwa für Fotovoltaikmodule, die China aufgebaut hat und weiter ausbaut, werden nicht einfach stillgelegt werden, wenn Chinas Bedarf nicht mehr so schnell wächst. Der Westen muss sich sehr anstrengen, um nicht den Anschluss zu verlieren, und zwar in mehreren Bereichen. Beispielsweise kauft China derzeit sehr schnell und in großem Stil afrikanische Lithiumreserven auf , wie der »Economist« gerade berichtete.
All das bedeutet aber auch, dass beispielsweise spottbillige Fotovoltaikmodule, Batterien und Elektroautos weiterhin und künftig noch verstärkt von China aus in den Rest der Welt exportiert werden. Zum Beispiel nach Afrika, das auf diese Weise das Kohlezeitalter weitgehend überspringen könnte. In weiten Teilen des Kontinents – Südafrika ausgenommen – gibt es kein einziges Kohlekraftwerk. Das muss so bleiben, und das wird mit konkurrenzlos billigem Sonnenstrom sehr viel wahrscheinlicher.
Zusammengenommen enthalten diese guten Nachrichten auch eine mahnende Erinnerung an die deutsche Bundesregierung: Die Tatsache, dass das Bundesverfassungsgericht die Umwidmung von Geldern aus Corona-Hilfsfonds für Klimaschutzmaßnahmen für verfassungswidrig erklärt hat, darf kein Anlass sein, jetzt erst einmal Pause zu machen mit dem Umbau des Energiesystems. Die wichtigsten Industrienationen der Welt werden sich in raschem Tempo dekarbonisieren, einfach deshalb, weil erneuerbar generierter Strom und die Elektrifizierung von Fahren, Wohnen und Produzieren eine Vielzahl von Vorteilen haben. Auch neben der Tatsache, dass die Klimakrise eine existenzielle Bedrohung darstellt.
Wenn deutsche Regierungen weiterhin auf die Einflüsterer aus den Fossilbranchen hören, wenn sie mit dem Umstieg ins postfossile Zeitalter weiter herumtrödeln, dann wird das für den Wirtschaftsstandort Deutschland fatale Folgen haben. Klima- und Energieinvestitionen sind die wichtigsten Zukunftsinvestitionen. Die Welt verändert sich gerade sehr schnell. Entweder wir sind dabei, oder wir fallen zurück.
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