Süddeutsche Zeitung hier 26. November 2023 Von Michael Bauchmüller
Während im Bundeshaushalt die blanke Not herrscht, schwimmen zwei Ministerien buchstäblich im Geld: Sie werden an den Erlösen von Windkraft-Auktionen beteiligt. Das weckt Begehrlichkeiten.
Gekippte Milliarden, ratlose Gesichter und ein Haushalt in Notlage - es sieht schlecht aus für die Staatsfinanzen. In deutschen Ministerien werden schon die letzten Euros zusammengekratzt. Jedenfalls in den meisten. Zwei von ihnen stehen vor einem ganz anderen Problem: Sie müssen Geld ausgeben, mit dem sie nie gerechnet haben. Genauer: 1,3 Milliarden Euro.
In so viel Geld schwimmen demnächst die Ministerien für Umwelt und Landwirtschaft, und schwimmen ist genau das richtige Wort: Es sind Millionen vom Meer für das Meer, denn ihre Quelle ist der Boom der Windkraft zu See. Lange zahlten hier die Stromkunden per Umlage drauf, damit in Nord- und Ostsee überhaupt Windräder errichtet werden.
Was vor wenigen Jahren kaum einer erwartet hätte: Inzwischen zahlen die Firmen drauf, damit sie Windräder bauen dürfen. Und zwar richtig. Im Sommer ersteigerten Tochterfirmen der Ölmultis BP und Total Energies für 12,6 Milliarden Euro Claims. Eine weitere Runde brachte noch einmal knapp 800 Millionen Euro. Macht zusammen 13,4 Milliarden Euro. Davon, so steht es im Gesetz, fließen fünf Prozent an das Umweltministerium, fünf ans Agrarressort, das auch für die Fischerei zuständig ist. Also jeweils 670 Millionen Euro, zu zahlen bis zum nächsten Sommer.
"Damit hatte keiner gerechnet", sagt Claudia Müller, zuständige Staatssekretärin im Landwirtschaftsministerium. Einen Plan hat das Ministerium mittlerweile trotzdem: Die Fangflotten der deutschen Fischer sollen modernisiert werden, damit sie noch nachhaltiger fischen. Antriebe könnten auf klimaneutral umgestellt werden, weg vom Diesel. Neue, selektivere Fangmethoden könnten helfen, Schweinswale und Vögel zu schonen.
Eine Riesenchance sei dieses Geld, sagt der Meeresbeauftragte der Bundesregierung
An den Schweinswal denkt auch das Umweltministerium, unter anderem. Austern, Haiarten und Rochen ließen sich wieder ansiedeln, artenreiche Steinriffe in der Nordsee wiederherstellen. Mit 670 Millionen Euro lässt sich eine Menge anstellen, zumal das Geld auch über mehrere Jahre gestreckt werden kann. "Unsere Meeresnatur ist in keinem guten Zustand", sagt Sebastian Unger, der Meeresbeauftragte der Bundesregierung. An Ideen herrsche kein Mangel. "Diese Mittel sind eine Riesenchance." Bisher hatte das Umweltministerium dafür nicht einmal zehn Millionen Euro im Jahr.
So ein Geldsegen weckt Begehrlichkeiten. Schon wollten Haushälter wissen, ob sich nicht Etats der Ministerien an anderer Stelle kürzen ließen. Doch das Gesetz ist klar: Fischerei und Naturschutz, für nichts anderes sollen die zehn Prozent verwendet werden. "Die Meere brauchen dieses Geld", sagt Kim Detloff, der sich beim Naturschutzbund Nabu um Nord- und Ostsee kümmert. Schließlich würden sie auch immer mehr strapaziert. Strapaziert freilich wird derzeit auch der Bundeshaushalt.
Vorsorglich schalteten sich kürzlich schon die Spitzen deutscher Umweltverbände ein, mit einem Brief an Vizekanzler Robert Habeck und Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne). "Mit Sorge" verfolgten sie Debatten über eine mögliche Zweckentfremdung. Um Begehrlichkeiten abzuwehren, brauche es einen sicheren Hafen für das schöne Geld: eine Stiftung oder einen staatlichen Fonds. Wenn es da bloß sicher aufgehoben ist.
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