Süddeutsche Zeitung hier 16. November 2023,Von Michael Bauchmüller
Linus Steinmetz zog schon mit 17 Jahren vor das Bundesverfassungsgericht. Er erstritt ein berühmt gewordenes Urteil. Jetzt klagt er erneut.
Wie es sich anfühlt, in Karlsruhe zu triumphieren, das weiß Linus Steinmetz ziemlich gut. Er saß beim Zahnarzt, als das Telefon klingelte, knapp zweieinhalb Jahre ist es her. Steinmetz, damals 17 Jahre alt, musste erst mal die Praxis verlassen und sich draußen auf eine Bank setzen. Ein "total absurder Moment" sei das gewesen, sagt er. Aber auch ein wahnsinnig schöner, der zeige, was Einzelne bewirken könnten. Und deshalb versucht Steinmetz, mittlerweile 20, es gleich noch einmal.
Die Klage, die er und andere junge Leute eingereicht hatten, krempelte 2021 die Republik um. Das deutsche Klimaschutzgesetz, so befanden damals die Verfassungsrichter, beschränke die Freiheitsrechte künftiger Generationen. Weil sich Eltern und Großeltern zu viele Emissionen genehmigten, bleibe für die Zukunft ihrer Kinder und Enkel zu wenig Spielraum.
Was folgte, war eine Klimaschutz-Offensive, wie sie das Land bislang nicht gesehen hatte. Binnen Wochen schraubte die damalige Bundesregierung alle Ziele hoch, alles sollte nun noch schneller gehen. Mehr kann ein junger Mensch kaum erreichen. Oder etwa doch?Diese Woche hat Linus Steinmetz die nächste Klage öffentlich gemacht. Diesmal hat er sie zusammen mit einer Zwölftklässlerin eingereicht, unterstützt von der Deutschen Umwelthilfe und deren Anwalt Remo Klinger. Nach der Großen Koalition 2021 soll sich nun auch die Ampelkoalition in Karlsruhe verantworten, für ihr "Klimaschutzprogramm 2030".
Im Oktober hatte die Bundesregierung dieses Programm beschlossen, ein Konvolut von Vorhaben. Klimaminister Robert Habeck (Grüne) rühmte sich anschließend, damit ließen sich 80 Prozent der nötigen Emissionsminderungen erledigen. Aber 80 Prozent sind nicht 100, und nach Auffassung von Experten könnte die Lücke bis 2030 noch viel größer sein. "Ohne effektives Klimaschutzprogramm kein wirksamer intertemporaler Freiheitsschutz", heißt es nun in der Beschwerdeschrift. Der erste Triumph soll den Weg zum zweiten ebnen.
Eigentlich sei er ja nicht der Typ, der gleich zum Gericht renne, sagt Steinmetz. Konflikte löse er lieber im Gespräch. Gegen eine Regierung bleibe ihm aber keine Wahl, schon gar nicht im Rennen gegen die Zeit. Dass der Rechtsstaat Deutschland dies zulasse, sei ein "riesiges Privileg", sagt Steinmetz, der mittlerweile den Grünen beigetreten ist. Aufgewachsen ist er in Göttingen, in einem bildungsbürgerlichen Haushalt, sein Abi hat eine Eins vor dem Komma und eine dahinter. Als die "Fridays for Future"-Schüler zu Tausenden auf die Straßen zogen, war er 15 - und ging mit.
Angela Merkels Klimapaket war der Auslöser für sein Engagement
Deshalb weiß er auch noch ganz genau, wann die Sache mit den Klagen begann: am Freitag, 20. September 2019. Die Schüler-Bewegung hatte zum globalen Klimastreik aufgerufen, allein in Deutschland gab es etwa 500 Demos mit 1,4 Millionen Menschen. Mit dem Zug fuhr der Schüler Steinmetz von Göttingen nach Berlin, seine Eltern ließen es zu. In Berlin tagte gleichzeitig ein Koalitionsausschuss, er verabschiedete nach einer langen Nacht ein Klimapaket, das die damalige Kanzlerin Angela Merkel mit den vielsagenden Worten "Politik ist das, was möglich ist" einordnete. "Das war der Startschuss", sagt Steinmetz. "Man denkt, mit 1,4 Millionen Menschen kann man eine Revolution anzetteln, und dann kommt so ein Minipaket." Als anschließend junge Kläger gesucht wurden, meldete er sich.
Inzwischen studiert Steinmetz Volkswirtschaftslehre und Politikwissenschaften in Berlin, er wirkt ziemlich abgeklärt. Bei einer Pressekonferenz zu seiner neuen Klage sagt er: "Wenn die Ampel eindeutig nicht genug tut, um die Rechte meiner Generation zu schützen, dann müssen wir uns dagegen wehren. Und das tun wir hier."
Dabei kämpft er seit einiger Zeit nicht mehr nur für die Rechte seiner eigenen Generation, sondern auch für die der nächsten: Mittlerweile ist er Vater.
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