Erst kürzlich hatte Bundeskanzler Scholz neue Baugebiete auf der grünen Wiese gefordert
hier Scholz: Neue Stadtteile "wie in 70er Jahren", wobei man sich angesichts des geforderten Flächenfraßes verwundert die Augen reiben konnte.
Wo man natürlich vorbehaltslos zustimmen kann ist seine Aussage: "Es sind nicht die richtigen Wohnungen geplant worden", kritisierte Scholz und verwies darauf, dass viel zu viele hochpreisige Wohnungen gebaut worden seien.
Trotzdem: Die Lösungen der heutigen Krisen kann nicht in einem ignoranten "Weiter so" liegen. Bestehende Probleme werden nicht durch "noch einmal viel mehr von demselben" gelöst.
So werden bestehenden Krisen lediglich weiter zugespitzt ...
Eine wirkliche Lösung besteht in vielen mühsamen kleinen Schritten, die bestehenden Probleme müssen gelöst werden, siehe unten.
Standard hier Interview Jakob Pallinger 21. November 2023
Millionen Einfamilienhäuser in Deutschland und Österreich könnten besser genutzt werden, sagt der Architekt Andreas Hild. Das würde auch bei der Energiewende helfen
Viele Menschen fühlen sich mit ihrem Haus überfordert, sagt Hild. Durch eine Aufteilung und Vermietung des Wohnraums könnten Besitzerinnen und Besitzer künftig anstehende Sanierungen finanzieren.
Die Ideen klingen im ersten Moment für viele wohl nicht gerade verlockend: den Wohnraum im eigenen Haus aufteilen und an fremde Menschen vermieten? Oder auf dem eigenen Grundstück ausbauen, um neue Wohnungen zu schaffen? "Nachverdichtung" von Einfamilienhäusern nennt sich das Konzept, das der deutsche Architekt Andreas Hild verfolgt. Laut Hild könnte das nicht nur helfen, neuen Wohnraum zu schaffen, sondern würde den Eigenheimbesitzerinnen und -besitzern auch Geld für die Sanierung zur Verfügung stellen. Nur so kann das Einfamilienhaus in Zukunft zu einer nachhaltigen Wohnform werden, ist Hild überzeugt.
STANDARD: Herr Hild, das Einfamilienhaus gehört in Österreich und Deutschland nach wie vor zu den beliebtesten Wohnformen. Können Sie diese Liebe nachempfinden?
Hild: Die Liebe zum Einfamilienhaus ist historisch gewachsen. Dahinter steckt auch die Idee des Selbstversorgers: dass man ein großes Stück Land hat, das einen auch in schlimmen Zeiten ernähren könnte. Der zweite Grund geht zumindest in Deutschland auf den Nationalsozialismus zurück: Damals galt, dass verstreute Besiedelung dabei hilft, dass die Bomben der Angreifer keine schlimmen Schäden anrichten. Drittens verspricht das Einfamilienhaus einen höheren Status und eine privilegierte Wohnform, vor allem wenn man an die klassische Villa denkt, die frei auf dem Grundstück steht. Ich muss jedoch sagen, dass es nicht so wahnsinnig viel Literatur und Untersuchungen über Einfamilienhäuser gibt.
STANDARD: Woran liegt das?
Hild: Das liegt daran, dass Architekten und Fachleute das Einfamilienhaus tatsächlich schon seit sehr langer Zeit als nicht nachhaltige, flächenverschlingende, energetisch ungünstige Wohnform identifiziert haben. Schon vor 35 Jahren war es in meinem Studium Allgemeingut, dass das Einfamilienhaus eine problematische Wohnform ist. Und das führt wiederum dazu, dass sich die Forschung vielleicht eher anderen Dingen zuwendet als dem Einfamilienhaus.
STANDARD: Ist die Kritik am Einfamilienhaus berechtigt?
Hild: Es ist sehr schwierig, das Einfamilienhaus gesundzubeten. Es braucht wahnsinnig viel Infrastruktur wie Straßen und erzeugt dadurch sehr viel Verkehr, verbraucht viel Fläche und Material und ist energetisch aufgrund seiner Oberfläche ungünstig. Aus Nachhaltigkeitsgründen spricht nicht sehr viel für Einfamilienhäuser.
STANDARD: Sie sehen trotzdem viel Hoffnung in Einfamilienhäusern. Warum?
Hild: In Deutschland haben wir von insgesamt 18 Millionen Wohngebäuden rund 16 Millionen Einfamilienhäuser. Das ist ein riesiger Bestand an grauer Energie, Fläche, Material und an Wohnraum. Wir können die nicht abreißen und neu bauen, sondern wir werden sie in irgendeiner Art und Weise integrieren müssen. Jeder kennt die Fälle, wo eine alleinstehende ältere Dame oder älterer Herr auf 200 Quadratmeter wohnt, weil die Kinder aus dem Haus sind und sowieso nur noch das Erdgeschoß benutzt wird. Laut Untersuchungen fühlen sich zwanzig Prozent der Bewohnerinnen und Bewohner von Einfamilienhäusern mit ihrem Haus überfordert.
STANDARD: Sie schreiben in einem Positionspapier davon, dass man diese Flächen nachverdichten könnte. Was meinen Sie damit?
Hild: Wenn es uns gelingen würde, bei zehn Prozent der 16 Millionen Einfamilienhäuser in Deutschland aus einer Wohneinheit zwei Wohneinheiten zu machen, hätten wir auf einen Schlag 1,6 Millionen neue Wohnungen. Das wären bereits viermal mehr, als unsere Bauministerin pro Jahr fordert. Und da spreche ich erst von zehn Prozent. Es scheint mir völlig außer Frage, dass das möglich ist.
STANDARD: Wie soll so etwas konkret funktionieren?
Hild: Es gibt sehr viele verschiedene Modelle, wie man da herangehen könnte. Eigenheimbesitzer könnten das Dach oder ihre Garage ausbauen, im Garten ausbauen oder ihren bestehenden Wohnraum aufteilen. All das würde neuen Wohnraum für mögliche Mieterinnen und Mieter schaffen. Wichtig ist natürlich, dass es nach wie vor genug Privatsphäre gibt, beispielsweise indem es eigene Eingänge und Gartenanteile gibt oder indem das Erdgeschoß gut vom ersten Stock abgegrenzt ist, auf dem die Mieterinnen und Mieter wohnen. Um das zu ermöglichen, könnte man versuchen, von der offenen zur geschlossenen Bauweise kommen.
STANDARD: Was meinen Sie damit?
Hild: Derzeit gilt bei Einfamilienhäusern im Normalfall das Prinzip der offenen Bauweise. Das heißt, dass es immer einen Abstand zwischen den Häusern geben muss. Bei einer geschlossenen Bauweise gibt es parallel zur Straße eine durchgehende Bebauung. Wir müssen darüber sprechen, wie wir in Einfamilienhaussiedlungen den Abstand zwischen den Häusern reduzieren können, sodass man möglicherweise bis zur Grundstücksgrenze bauen darf. Dadurch könnte neuer Wohnraum entstehen.
Fazit
Eine kurzfristige Umsetzung aller, sich teilweise widersprechenden Ziele der Bundesregierung ist nur dann möglich, wenn man das enorme Potenzial der etwa 16 Mio. Einfamilienhäuser besser nutzt. Der ökologische, soziale und ökonomische Wert der bestehenden Häuser muss dringend – auch in die Zukunft blickend – für die Besitzer als auch für die Gesellschaft gesichert werden. Hausbesitzer und Kommunen müssen durch zielgerichtete Förderung und zielgerichtete Deregulierung in die Lage versetzt werden, dieses enorme Potenzial zu heben. Anstelle einer Drohung mit Sanierungszwang oder einem Verbot fossiler Energieträger sollte der Staat Anreize schaffen, die Eigentümer dazu motivieren, Wohneinheiten zu ergänzen und dabei im Idealfall den eigenen Wohnraum zu verkleinern. Die energetische Ertüchtigung wird dabei zum Nebenprodukt. Unterschiedlichste Anreizmodelle sind denkbar. Das Leben im Einfamilienhaus ist (noch?), verglichen mit dem verdichteten Geschosswohnungsbau, weit weniger nachhaltig. Diese Tatsache wird von Politiker:innen zurückhaltend formuliert; leben doch in 16 Mio. Einfamilienhäusern fast die Hälfte der Wähler. Gleichzeitig könnte das Potenzial des Bestands an Einfamilienhäusern tatsächlich viele Probleme lösen.
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