Spiegel hier Eine Kolumne von Christian Stöcker 26.11.2023,
»Grün« hat nichts mit Strickpullis und Jutetaschen zu tun – sondern mit unser aller Zukunft
Der Parteitag der Grünen geht zu Ende, aber »grüne Projekte« gelten als Problem – der Union und dem Arbeitgeberpräsidenten. Einst hatte die Farbe als Symbol durchaus Sinn. Mittlerweile scheint sie eher ein Hindernis.
Friedrich Merz hält bekanntlich wenig von den Grünen. Erst kürzlich erklärte der CDU-Chef, in der Bundestagsfraktion der Grünen gebe es lauter »20-jährige Studienabbrecher«, die dem Rest des Landes »von morgens bis abends die Welt erklären«. Bundeskanzler Olaf Scholz lasse diese Leute gewähren und wolle »alle Projekte finanzieren, die dem grünen Milieu zu wichtig sind«.
Schon die erste Hälfte ist insofern unfreiwillig komisch, als es in der grünen Bundestagsfraktion mit einem Anteil von insgesamt 92,4 Prozent mehr Abgeordnete mit einem Hochschulabschluss (und auch einen höheren Anteil von Promovierten) gibt als in der Unionsfraktion (90,4 Prozent).
Noch realitätsferner ist jedoch der zweite Teil der Tirade, der mit den »Projekten, die dem grünen Milieu zu wichtig sind«. Ins gleiche Horn stieß dieses Wochenende dann Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger: »Grüne Projekte der Ampel« müssten jetzt »zurückgestellt werden«. Sie passten »nicht mehr in die Zeit« und schwächten »den Wirtschaftsstandort«. »Ältere Unternehmer« dächten deshalb darüber nach »ganz aufzuhören«. Da fragt man sich doch, wer es ist, der »nicht mehr in die Zeit passt«.
Zu diesem »grünen Milieu«, zu diesen »grünen Projekten« gehören demnach zum Beispiel die Arbeitsplätze von 20.000 Stahlarbeitern im Saarland, in Bremen und Eisenhüttenstadt. Oder die Bauwirtschaft . Oder Mikroelektronik-Unternehmen wie Infineon. Oder die neuen Halbleiterfabriken von TSMC und Intel, die in Dresden und Magdeburg entstehen sollen, mit jeweils Tausenden neuen Zukunftsarbeitsplätzen. Das sind nur einige der Projekte, die mit dem sogenannten Klima- und Transformationsfonds gefördert werden sollten, gegen den die Union erfolgreich geklagt hat.
Geld fehlt jetzt auch für die Förderung einer nationalen Wertschöpfungskette für Batterien. Stichwort »Abhängigkeit von China«. Für Ladeinfrastruktur und Bahn . Für die Wasserstoffindustrie, von der die Union doch sonst ständig schwärmt. Kurioserweise hat der Arbeitgeberverband, dessen Präsident jetzt »grüne Projekte« infrage stellt, noch vergangenes Jahr erklärt, »der Ausbau der Infrastruktur, gleichermaßen für die Erzeugung erneuerbarer Energien und Pipelines für Wasserstoff sowie für moderne Verkehrswege und digitale Autobahnen«, der »Abbau der Energiepolitischen Abhängigkeit« seien »essenziell«. Was denn nun?
»Subventionen« vs. »Technologie«?
Und Friedrich Merz hatte im August noch beklagt : »Wir liegen bei der wirtschaftlichen Entwicklung unseres Landes mittlerweile auf einem der letzten Plätze in Europa, uns droht eine lang anhaltende Wachstumsschwäche.« Wieder einmal vergaß Merz zu erwähnen, dass man die marode Infrastruktur noch vor ein paar Jahren, als die Union die Regierung führte, mit sehr billigem Geld oder sogar zu Negativzinsen hätte sanieren können – aber das Dogma der »schwarzen Null« war ja wichtiger als die Zukunft.
Vor diesem Hintergrund klingt es besonders realitätsfern, wenn Merz jetzt erklärt, die Transformation der deutschen Wirtschaft müsse jetzt eben mit »Technologie« statt mit »Subventionen« herbeigeführt werden. Denn genau darum geht es ja: Unternehmen bei der Entwicklung und dem Einsatz von Technologie zu unterstützen, damit es schneller geht. Wir haben es eilig, denn andere laufen uns gerade davon . Und sie nehmen dafür viel Steuergeld in die Hand.
Die Festung Europa ist eine gefährliche Illusion
»Der Klimaschutz ist das Letzte, das darunter leidet«, hat Wirtschaftsminister Robert Habeck über das Urteil aus Karlsruhe gesagt, »es sind die Menschen in den Betrieben.« Man hätte ihn lieber »Wirtschafts- und Industrie-Aufbau-Fonds nennen sollen«, sagte Habeck im »Deutschlandfunk« , »dann wäre die Union vielleicht vorsichtiger gewesen.«
Die Analyse ist richtig, sie kommt aber etwas spät. Auch die Grünen selbst leiden am grünen Image.
Wollpullis und Reformhauskost
Diese Sätze führen zum kommunikativen Kern des Problems. Merz und seine albernen Klischees von den grünen »Studienabbrechern« und den grünen »Milieus« stammen aus einer Zeit, in der grüne Abgeordnete im Parlament auffielen, weil sie Turnschuhe trugen oder strickten. Im Kopf des CDU-Parteivorsitzenden – und möglicherweise auch in den Köpfen mancher CDU-Wähler – lebt dieses Klischee offenbar munter weiter: Das Klischee von den »Ökos«, die in hässlichen Wollpullis und mit Reformhauskost in der Müslischale die Umwelt schützen wollen. Es wäre lustig, wenn es nicht so traurig wäre.
In dieser Merz’schen Parallelwelt ist die Transformation der Wirtschaft weg von fossilen Brennstoffen immer noch ein »grünes Projekt«. Das »Klima« ist ein Spezialthema, das eigentlich nur eine Partei und ihre Wählerinnen und Wähler interessiert.
Die Farbe Grün markiert in Deutschland mittlerweile vor allem eine Fiktion: Dass es für dieses Land eine Zukunft geben könnte, in der es ohne »grüne Transformation« ginge.
Tatsächlich ist die Transformation der Wirtschaft weg von fossilen Brennstoffen, hin zu einer sauberen, zukunftsfähigen Industrie eine zentrale Aufgabe aller künftigen Bundesregierungen, egal, wie sie zusammengesetzt sein sollten. Zwangsläufig. Weil die Klimakrise keine Atempausen macht, sondern sich derzeit eher zu beschleunigen droht .
Weil das auch alle verstanden haben und andere Länder, allen voran China und die USA , längst knallharte, gerichtete Industriepolitik machen. Diese Industriepolitik, mit gigantischen Subventionen, zielt auf genau die Transformation, die Merz und Co. weiterhin als eine Art grünes Luftschloss zu betrachten scheinen.
Verblüffte Reaktionen aus den USA
Der Ökonom Sebastian Dullien vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung hat diese Woche auf X einen Kurzbericht über einen Besuch in den USA veröffentlicht. Darin beschreibt er die verblüfften Reaktionen von Gesprächspartnern etwa in Washington auf die deutsche Debatte. Man habe ihn gefragt, wie Deutschland mit den Herausforderungen durch den Aufstieg Chinas umgehen wolle, mit der »aggressiven Industriepolitik in den USA und China«, mit der »russischen Aggression« und wie mit den militärischen und geopolitischen Implikationen eines möglichen neuerlichen Wahlsiegs von Donald Trump. Deutschlands Finanz-Klein-Klein kann dort niemand nachvollziehen.
Tatsächlich muss die innerdeutsche Debatte aus dem Ausland bizarr wirken: Die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt, die größte in Europa, die Nation mit dem mit weitem Abstand niedrigsten Schuldenstand aller G7-Staaten versinkt wegen 15 Milliarden Euro pro Jahr in existenzieller Verzweiflung.
Epochale Realitätsverzerrung
Weite Teile der politischen Landschaft hängen weiterhin der Illusion an, wenn die deutsche Wirtschaft nicht umgebaut würde, sei das vor allem ein Problem für die »grünen Milieus«. Begriffe wie »Klimaschutz« erzeugen bei manchen offenbar die Vorstellung, das mit dem Klima sei vergleichbar mit der Frage, ob der Dorfteich jetzt zum Biotop umgewidmet werden soll, weil die Ökos das so wollen. Das ist eine Realitätsverzerrung von epochalen Ausmaßen.
Deutschland muss sehr schnell eine CO₂-neutrale, zukunftsfähige Wirtschaft aufbauen, mit Hightech, emissionsfreier Stahlproduktion, Resilienz gegenüber den Unwägbarkeiten fossiler Energiemärkte und so weiter. Die durch die fortschreitende Klimakrise mitbedingten Schocks werden ab jetzt immer häufiger und heftiger werden.
Sich darauf vorzubereiten, die absolut unausweichliche Veränderung ebenso entschlossen voranzutreiben wie die USA und China, ist eben nicht »grün«. Es hat nichts mit Strickpullis und Jutetaschen zu tun, sondern mit unser aller Zukunft.
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