Es ist unfassbar was die Ampel hier durchsetzen will. Gibt es noch eine Chance diesen Rückschritt im Klimaschutz zu verhindern, der nur Verkehrsminister Wissing helfen soll bei der Vernebelung seiner Bilanzen?
Focus hier FOCUS-online-Redakteur Florian Reiter Donnerstag, 09.11.2023
„Kann teuer werden“
links hier: Deutschland will bis zum Jahr 2050 weitgehend treibhausgasneutral werden. Dieses Leitbild hat die Bundesregierung im Klimaschutzplan 2050 festgeschrieben. Der Plan sieht erstmals Klimaziele für einzelne Sektoren vor: Er enthält klare Vorgaben, wie viele Emissionen Energie- und Landwirtschaft, Industrie, Gebäude und Verkehr bis 2030 einsparen müssen. Diese Sektorziele sollen im für 2019 angekündigten Bundesklimaschutzgesetz verankert werden.
Seltene Einigkeit: Expertinnen und Experten aller Parteien zerlegten in einer Bundestags-Anhörung die geplante Abschwächung des Klimaschutzgesetzes. Diese sei nicht nur aus Klimagründen fatal, argumentierten die Sachverständigen. Die Ampel-Regierung mache damit auch Strafzahlungen in Milliardenhöhe so gut wie unausweichlich.
Die sogenannte „Sachverständigen-Anhörungen“ sind im politischen Betrieb nichts ungewöhnliches, bei der Anhörung zur geplanten Reform des Klimaschutzgesetzes am Mittwoch in Berlin lief es aber nicht so ab wie sonst. Nur selten gibt es Einigkeit unter den geladenen Expertinnen und Experten, doch der Gesetzesvorschlag der Ampel-Regierung hat es geschafft. Die Koalition will nämlich die sogenannten „Sektorziele“ beim Klimaschutz abschaffen - und die Fachwelt ist entsetzt.
Wenn die Landwirtschaft den Verkehr ausbügelt
Worum geht's? Bislang gab es für jeden sogenannten Sektor (etwa Energie oder Landwirtschaft) jährliche Obergrenzen zum CO2-Ausstoß, für deren Einhaltung das zuständige Ministerium verantwortlich war. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) war etwa für die Einhaltung der Klimaziele in der Industrie verantwortlich, Bauministerin Klara Geywitz (SPD) für den CO2-Ausstoß im Gebäudebau. Wenn einer der Sektoren seine Grenze gerissen hat, musste das Ministerium ein Sofortprogramm festlegen, das dann noch von einem Expertenrat abgesegnet werden musste.
Die geplante Reform des Klimaschutzgesetzes will das ändern. Demnach werden nicht mehr die Ziele (und Resultate) der einzelnen Sektoren ausgewiesen, sondern es wird eine Gesamtrechnung aufgestellt, die erfüllt werden muss. Von einzelnen Ampel-Vertretern ist zu hören, das sei die sinnvollere Herangehensweise, schließlich hätten es einzelne Sektoren schwere als andere, ihre Klimaziele zu erfüllen. Der Gebäudebereich und vor allem der Verkehr sind schon seit Jahren Deutschlands Klima-Sorgenkinder - in Zukunft könnten dann gute Zahlen in Industrie oder Landwirtschaft die schlechten Zahlen im Verkehr ausbügeln.
„Zwingend erforderlich, dieses Gesetz nicht anzunehmen“
Kritiker argumentieren wiederum, die zuständigen Vertreter wie etwa Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) könnten ihre unzureichende Bilanz auf diese Weise „verstecken“, die Verantwortung für die Klimaziele sei in Zukunft unklar. Tatsächlich hatte sich vor allem die FDP für die Reform eingesetzt. „Die Sektorziele zugunsten einer Gesamtbetrachtung abzuschwächen, birgt erhebliche Risiken für den Klimaschutz“, sagte Kerstin Andrae, Geschäftsführerin des Bundesverbandes für Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW). Es müsse „klare Verantwortlichkeiten“ geben, forderte Andrae, „Verrechnungen mit anderen Sektoren dürfen nicht zu Blankoschecks für die Sektoren werden, die nicht liefern.“
Besonders heftige fiel die Kritik der Rechtsexperten aus. Der Gesetzentwurf sei „verfassungsrechtlich ausgesprochen problematisch“, sagte Roda Verheyen, Vorstand von Green Legal Impact und Mitglied des Hamburgischen Verfassungsgerichts. Das Bundesverfassungsgericht habe in seinem Klima-Urteil aus dem Jahr 2021 festgehalten, dass es „keine Verschiebung von Reduktionslasten in die Zukunft und damit auf die nachfolgenden Generationen“ geben dürfe, so die von der SPD geladene Expertin. Doch mit der Novelle passiere genau das, sagte Verheyen, und appellierte an die Abgeordneten: „Es ist zwingend erforderlich, dieses Gesetz so nicht anzunehmen.“ Zum gleichen Ergebnis kam Thorsten Müller, Wissenschaftlicher Leiter der Stiftung Umweltenergierecht, der ebenfalls auf Vorschlag der SPD eingeladen war.
Das fehlende Konzept
Der Expertenrat für Klimafragen hatte bereits im August eine große Lücke bei den Klimazielen ausgemacht, der Verkehr könnte seine Ziele bis 2030 etwa um 192 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente verfehlen. Es fehle ein “Gesamtkonzept", urteilte der Rat damals, auf die Sektoren müsse „besondere Aufmerksamkeit“ gerichtet werden - diese würden aber im neuen Klimaschutzgesetz „keine gesonderte Betrachtung finden“.
Anders formuliert: Der Expertenrat sieht die deutschen Klimaziele ernsthaft in Gefahr - und die Gesetzesreform werde die Lücke eher vergrößern als verkleinern. Das könnte wiederum richtig teuer werden, mahnten die am Mittwoch geladenen Sachverständigen. Denn: Deutschland mag seine Sektorenziele zwar de facto abschaffen - auf EU-Ebene bleiben sie aber weiterhin bestehen. Wenn ein Land seine Klimaziele in einem Sektor reißt, muss es sogenannte Emissionszertifikate von anderen Ländern kaufen, die ihre Ziele erfüllt haben.
„Eine so breite Ablehnung ist schon ungewöhnlich“
Das könnte die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler teuer zu stehen kommen, sagte Christoph Bals von Germanwatch, der auf Einladung der Unionsfraktion sprach. Abschätzungen gingen von bis zu zweistelligen Milliardenbeträgen aus. Eventuelle Strafzahlungen, weil Deutschland mit seinem neuen Gesetz auch EU-Recht brechen könne, seien da noch gar nicht mit einberechnet. Eine fehlende Strategie im Verkehrs- und Gebäudebereich wäre daher “grob fahrlässig", warnte Bals. Eine Abkehrung von den Sektorzielen „kann teuer werden“, sagte auch Andrae.
Auch die Opposition hat große Bedenken bei den geplanten Änderungen. „Die Regierung nennt sich 'Klimakoalition' und verschiebt ab jetzt alle Maßnahmen in die nächste Legislatur“, sagte der CDU-Bundestagsabgeordnete Thomas Heilmann. Der Politiker war bundesweit bekannt geworden, als er wegen des sogenannten Heizgesetzes vor das Bundesverfassungsgericht gezogen war - mit Erfolg. Auch Heilmann warnte vor Strafzahlungen und verfassungsrechtlichen Problemen. „Eine so breite Ablehnung ist schon ungewöhnlich“, sagte Heilmann dem Portal Table.Media zur Anhörung. "Ich hoffe, dass die Abgeordneten der Koalition noch zur Vernunft kommen.“
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