Standard hier Alicia Prager David Rennert 19. November 2023
Mit Optimismus in Sachen Klimapolitik ist Euan Nisbet vorsichtig geworden. Der britische Atmosphärenwissenschafter forscht seit Jahrzehnten zum Klimawandel, im Zentrum seiner Arbeit steht Methan. Während die Konzentration dieses starken Treibhausgases in der Atmosphäre seit Jahren rapide steigt und die Erderwärmung ankurbelt, wurde das Problem politisch lange vernachlässigt. Nun aber scheint Bewegung in den Umgang mit dem zweitwichtigsten Treibhausgas nach CO2 zu kommen. "Ich denke, wir sehen gerade eine sehr positive Entwicklung", sagt Nisbet.
Der Forscher spielt damit auf mehrere Signale an, die im Vorfeld der kommenden Weltklimakonferenz (COP 28) zu vernehmen sind, die Ende November in Dubai beginnt. Eine wichtige Nachricht kam am vergangenen Mittwoch aus Brüssel: Zwei Jahre lang hatten die EU-Kommission, die Mitgliedsstaaten und das EU-Parlament verhandel, nun wurde ein Kompromiss zu einer weitreichenden Methan-Verordnung geschnürt. Sie gibt neue Regeln für Methan-Emissionen im Energiesektor vor, auf die Fachleute schon lange pochen.
Neue Regeln auch für fossile Importe
Methan kommt bei allen fossilen Rohstoffen vor. Bei der Erdölförderung entweicht es als Begleitgas, beim Kohleabbau wird es freigesetzt, und Erdgas besteht überhaupt größtenteils aus Methan. Erdöl-, Erdgas- und Kohlekonzerne müssen künftig nach Lecks in ihrer Infrastruktur suchen und diese schnell reparieren. Das Ablassen von Erdgas, etwa bei Wartungsarbeiten, wird verboten. Und auch das Abfackeln – dabei wird zum Beispiel in der Erdölproduktion überschüssiges Gas abgebrannt – wird stark eingeschränkt. Für besonders viel Aufsehen sorgt das Gesetz allerdings aus einem anderen Grund: Es gilt nicht bloß für europäische Unternehmen, sondern soll schrittweise auch auf Importeure angewandt werden.
Das hat Gewicht: Die EU importiert über 90 Prozent ihres Erdöls – und ist der weltweit größte Käufer von Erdgas. Unternehmen weltweit, die in die EU liefern, müssen ab 2026 Strafen zahlen, wenn es an einer ihrer Anlagen zu sogenannten Super-Emitting-Events kommt, also wenn sie besonders viel Methan ausstoßen. Ab 2030 will die EU auch Strafen einheben, wenn eine bestimmte Schwelle bei Methan-Emissionen durch Unternehmen überschritten wird. Noch ist das Gesetz nicht final besiegelt: Es muss vom EU-Parlament und dem Rat noch angenommen werden. Doch das ist üblicherweise eine Formsache.
"Es könnte zum global weitreichendsten Klimagesetz im Green Deal werden", freute sich die Chefverhandlerin des EU-Parlaments, Jutta Paulus (Grüne), nach der Einigung. Die Energiekommissarin Kadri Simson nannte die Einigung "wegweisend", und der neue Klimakommissar Wopke Hoekstra ließ wissen: "Das sind großartige Nachrichten auf dem Weg zur COP 28. Die EU hat jetzt ein weiteres Gesetz, mit dem wir unseren internationalen Partnern zeigen, dass wir unsere Klimaziele ernst nehmen."
Tatsächlich ist höchste Eile geboten, wenn es um die Reduktion der Methan-Emissionen geht – nicht nur in der EU. Das Treibhausgas (CH4) ist über eine Zeitspanne von 20 Jahren rund 80-mal schädlicher als Kohlendioxid (CO2). Dass es als Faktor für die Erderwärmung auf dem zweiten Platz hinter CO2 steht und nicht auf dem ersten, liegt an seiner kurzen Lebensdauer: Methan wird in der Atmosphäre viel schneller wieder abgebaut. Während sich Kohlendioxid jahrhundertelang wie ein Schleier um die Erde legt, verschwindet Methan schon nach rund zehn Jahren.
Über kurze Zeiträume kann das Gas den Treibhauseffekt aber massiv ankurbeln – und genau das beobachten Forschende seit Jahren: Fast ein Drittel der Erderwärmung von 1,11 Grad Celsius seit Beginn des industriellen Zeitalters geht auf das Konto von Methan. Würde es gelingen, den Methanausstoß drastisch zu verringern, hätte das schnell eine Wirkung. Die Konzentration des Treibhausgases in der Atmosphäre würde rasch sinken, der erwärmende Effekt abnehmen. Allerdings ist das Gegenteil der Fall. Daten zeigen, dass die Methan-Konzentration nach einigen stabilen Jahren rund um die Jahrtausendwende immer schneller steigt.
Nahender Kipppunkt
Methan entsteht im Prinzip überall, wo Biomasse unter Luftabschluss verrottet. Für die Freisetzung sind sowohl natürliche Prozesse als auch menschliche Aktivitäten verantwortlich: CH4 entweicht aus Sümpfen, Feuchtgebieten und tauenden Permafrostböden. Noch stärker fallen aber die Landwirtschaft, die Nutzung fossiler Brennstoffe und Mülldeponien ins Gewicht, rund 60 Prozent der Emissionen gehen Schätzungen zufolge auf menschliche Aktivitäten zurück.
Woher das viele zusätzliche Methan kommt, das seit 2007 in die Luft gelangt, war zunächst rätselhaft. Zwar ist weiterhin ein Anstieg durch die fossile Industrie und Landwirtschaft zu beobachten, etwa durch die Rinderhaltung. Das allein schien den schnellen Emissionsanstieg aber nicht zu erklären. Inzwischen deutet vieles darauf hin, dass ein großer Teil des beschleunigten Methan-Ausstoßes aus natürlichen Quellen kommt: aus Feuchtgebieten, Mooren und Sümpfen.
Ein Zufall ist das freilich nicht. "Es ist zu befürchten, dass wir hier bereits Rückkopplungseffekte sehen, dass also die Erderwärmung selbst den natürlichen Methan-Ausstoß beschleunigt", sagt Nisbet. Gerade in den Tropen, die die größten Feuchtgebiete der Erde beherbergen, sei das eine Gefahr: "Durch den Klimawandel wird es dort noch wärmer und feuchter, Pflanzenwachstum und biologische Abbauprozesse werden beschleunigt, und die Methan-Bildung wird enorm angekurbelt."
Schlummernde Klimagefahr
Die Permafrostböden des Nordens spielen Klimadaten zufolge noch keine große Rolle, doch das könnte sich ändern. Im Permafrost schlummern gigantische Mengen an Kohlenstoff, bei steigenden Temperaturen könnten immer mehr Treibhausgase aus diesen Böden entweichen. "Wir sehen eine rasche Erwärmung in Kanada und Sibirien und auch vermehrten Methan-Ausstoß aus den dortigen borealen Nadelwäldern. In den großen Permafrostgebieten der Arktis ist es im Moment noch ruhig", sagt Nisbet. Der Forscher von der Royal Holloway University of London war in den 1980er-Jahren einer der Ersten, die vor der Klimagefahr in den Böden des Nordens warnten.
Doch wenn der Klimawandel den natürlichen Methan-Ausstoß bereits stark ankurbelt, ist es dann für Maßnahmen im industriellen Bereich nicht eigentlich schon zu spät? "Keineswegs", sagt Nisbet. "60 Prozent der Methan-Emissionen kommen immer noch von uns, die müssen wir schnell runterbringen. Da gibt es enormes Einsparungspotenzial, und jetzt ist entscheidend, dass auch die großen Emittenten, die bisher wenig getan haben – China, Indien und Russland –, rasch handeln."
Im Fall von China, dem weltweit größten Methan-Produzenten, könnte es im Rahmen der Weltklimakonferenz zu einer Weichenstellung kommen. Mehr als 100 Länder, darunter die USA und die EU, unterzeichneten schon 2021 den sogenannten Global Methane Pledge zur Senkung der Methan-Emissionen um mindestens 30 Prozent bis zum Jahr 2030. China lehnte das ab.
Vergangene Woche legte das Land erstmals eine eigene Strategie zu Methan-Emissionen vor – Experten begrüßen den Schritt, doch hat sie wenig Substanz, weil Zielwerte fehlen. Das könnte sich nun ändern: Eine gemeinsame Erklärung nach einem Treffen von US-Präsident Joe Biden und seinem chinesischen Amtskollegen Xi Jinping diese Woche weckt Hoffnungen, dass sich China auf verbindlichere Ziele festlegen könnte.
Bisher dreht sich die chinesische Klimapolitik allein um CO2, Methan blieb ausgeklammert. "Ich hoffe sehr, dass es zu einer verbindlichen Einigung kommt und China den Global Methane Pledge unterzeichnet. Es gibt in China enormes Einsparungspotenzial, bis 2030 könnte sich leicht eine Senkung um 30 Prozent ausgehen – sogar mit wirtschaftlichen Vorteilen für das Land."
Aber ist eine Reduktion der Methan-Emissionen um 30 Prozent überhaupt ausreichend? "Nein", seufzt Nisbet. "Aber es wäre ein sehr guter Anfang."
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