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Aktivisten mit Masken von Kabinettsmitgliedern vor einem Verhandlungstermin des Gerichts vergangene Woche.
© Sebastian Gollnow/dpa
Die Bundesregierung verliert vor Gericht. Denn eigentlich hätte sie im vorigen Jahr Sofortprogramme vorlegen müssen, um die Emissionen im Verkehr und bei Gebäuden zu senken. Das tat sie nicht. Nun muss sie nachbessern.
Zu mehr Klimaschutz verdonnert
Die Bundesregierung muss ihre nächste Schlappe vor Gericht einstecken, diesmal beim Klimaschutz. Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg gab am Donnerstag den Klagen zweier Umweltverbände statt, die auf einer Einhaltung des deutschen Klimaschutzgesetzes pochen. Die Bundesregierung sei verpflichtet, mit Sofortprogrammen die Einhaltung der gesetzlich vorgegebenen Klimaziele zu gewährleisten, urteilten die Richterinnen. Umweltschützer bejubelten das Urteil. Die Bundesregierung kann noch Revision dagegen einlegen.
Geklagt hatten die Deutsche Umwelthilfe und der Bund für Umwelt und Naturschutz BUND. Sie fordern vom Bund den Erlass sogenannter Sofortprogramme, wie sie auch das Klimaschutzgesetz vorsieht - dann nämlich, wenn in einem Sektor die Klimaziele gerissen werden. 2021 und 2022 war dies in den Bereichen Verkehr und Gebäude der Fall. Für das Jahr 2021 legten die zuständigen Ministerien, also Bau- und Verkehrsministerium, auch einen Entwurf für ein Sofortprogramm vor. Doch der Expertenrat für Klimafragen, der vom Bund mit der Prüfung der Programme beauftragt wurde, befand sie für unzureichend. Danach wurden sie niemals nachgebessert - sie wurden schlicht nicht beschlossen. Das Gericht hat dieses Vorgehen nun für unzulässig erklärt. "Die Bundesregierung muss jetzt nachsteuern", sagte BUND-Chefin Antje von Broock nach der Urteilsverkündung. "Klimaziele sind nicht verhandelbar, sie sind einzuhalten."
Die Sofortprogramme hält das Gericht für unzureichend
Für die Koalition, die auch mit Klimaschutz-Versprechen angetreten war, ist das Urteil peinlich. Sie hatte argumentiert, ein im Oktober erlassenes "Klimaschutzprogramm" erfülle den Zweck der Sofortprogramme. Dies wies der Berliner Senat zurück. "Sofortprogramme dienen der schnellen Nachsteuerung", urteilten die Richterinnen. Dagegen sei das Klimaschutzprogramm mittel- und langfristig angelegt.
Der Bund kann gegen das Urteil Revision beim Bundesverwaltungsgericht einlegen, in dem Falle geschähe erst einmal nichts. Man nehme die Entscheidung "zur Kenntnis", hieß es am Donnerstag aus dem federführenden Klimaschutzministerium. Sobald die Begründungen vorlägen, werde das weitere Vorgehen geprüft. Verzichtet der Bund auf eine Revision, müsste er rasch Sofortprogramme für Gebäude und Verkehr vorlegen. "Im Verkehrsbereich liegt es auf der Hand, ein Tempolimit einzuführen", sagte Umwelthilfe-Geschäftsführerin Barbara Metz. Dies koste wenig und senke schnell die Emission. Zudem ließen sich umweltschädliche Subventionen abbauen. Aus den Mehreinnahmen könne der Bund dann etwa ein Sanierungsprogramm zahlen. "Die Klimapolitik der Ampel muss korrigiert werden", verlangte Metz.
Die Koalition will die Sektorziele abschaffen
Stattdessen arbeitet die Ampel derzeit an einer Korrektur des Klimaschutzgesetzes: Dadurch sollen die Sektorziele wegfallen - und mit ihnen auch die Pflicht, Sofortprogramme vorzulegen. Stattdessen sollen Fortschritte im Klimaschutz über alle Bereiche hinweg betrachtet werden. Sollte der Bund in Revision gehen und vorher das Gesetz ändern, könnte das die Erfolgsaussichten für ihn erhöhen. Die Klimaziele jedoch würden nach Lage der Dinge dann immer noch verfehlt. Allerdings ist offen, wann die Novelle den Bundestag passiert. Schon die erste Lesung hatte große Differenzen innerhalb der Koalition offenbart. Die Grünen verlangen nach dem Urteil nun besondere Sorgfalt. "Wir dürfen kein Gesetz verabschieden, das Futter für Klagen liefert", sagte Klimapolitikerin Lisa Badum der Süddeutschen Zeitung. "Rechtssicherheit und Schließen der Klimalücke müssen für uns das oberste Gebot sein."
Die Ära der Klimaklagen könnte mit dem Urteil aber erst begonnen haben. Zwar sind Klagen gegen Autohersteller wie BMW, VW und Mercedes bisher durchweg abgewiesen worden; hier steht allerdings ein letztes Wort des Bundesgerichtshofs noch aus. Ungleich aussichtsreicher dürften aber Klagen sein, die auf die Verantwortung der Regierung zielen. Im Februar wird das Berliner Oberverwaltungsgericht erneut über eine Klage der Umwelthilfe verhandeln, dann zum Klimaschutzprogramm selbst. Es gehe auch darum, eine Zuspitzung der Probleme zu verhindern, sagte Remo Klinger, der Anwalt der Umwelthilfe. "Die Emissionslücke ist bald so groß, dass wir in den Jahren 2028 und 2029 quasi den Verkehr verbieten müssten, um die Ziele zu erreichen." Dies wolle keiner.
Zudem liegt eine neue Verfassungsbeschwerde vor, die ebenfalls die Verringerung von Emissionen fordert. Die Kläger wollen mithin die Einhaltung juristisch verbindlicher Ziele gerichtlich durchsetzen. Das Bundesverfassungsgericht hat sich zwar nach seinem spektakulären Klimabeschluss von 2021 ostentativ zurückgehalten. Doch mit dem Karlsruher Grundsatz der Freiheitssicherung für künftige Generationen hat das Gericht einen Hebel, um den Gesetzgeber erneut in die Pflicht zu nehmen.
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