Dienstag, 28. November 2023

Der deutsche Wald: 
Von der Katastrophe zur Jahrhundertchance?

Auch im Altdorfer Wald, in Oberschwaben und im Bodenseeraumgeht es um den Umbau des Waldes, wie überall....
Es lohnt sich diesen Artikel im Original in ganzer Länge zu lesen, zahlreiche Bilder unterstreichen den Artikel.

Riffreporter hier von Thomas Krumenacker 24.11.2023

Deutschland steht vor der größten Wiederaufforstung seiner Geschichte. Dürre, Borkenkäfer und Stürme haben in den vergangenen Jahren mehr als 500.000 Hektar Wald zerstört. Die Katastrophe bietet aber auch eine Chance. Denn die kahlen Flächen sind auch ein riesiges Freilandlabor für den klimaresistenten Waldumbau. Wie versuchen Förster, Landbesitzende und Naturschützer, den deutschen Wald zu retten?

Tote Bäume, so weit das Auge reicht. Der Anblick vieler Wälder in den deutschen Mittelgebirgen muss dieser Tage den Vergleich mit Mondlandschaften nicht fürchten. Im Harz, im Schwarzwald oder in der Eifel: Stürme, Trockenheit, Brände und der Befall mit Borkenkäfern haben in den vergangenen Jahren riesige Flächen in Deutschland zerstört. Eine halbe Million Hektar abgestorbener Wälder müssen in den kommenden Jahren neu aufgebaut werden.

Als wäre diese Aufgabe nicht schon anspruchsvoll genug, stehen Förster, Waldbesitzerinnen und Naturschützer vor einer weiteren, noch größeren Herausforderung: Auch jenseits der riesigen Kahlflächen muss der Wald in Deutschland so umgestaltet werden, dass er im Klimawandel bestehen kann. Klar ist: Ganze Landschaften werden sich verändern. Denn der Wald bedeckt ein Drittel Deutschlands, und ein erheblicher Teil davon muss sich grundlegend wandeln, wenn er überleben soll.

Waldumbau lautet das Schlagwort zu dieser gewaltigen Transformation. Wie kann sie gelingen? Sind sogenannte Störereignisse oder Kalamitäten – allen voran der Befall mit Borkenkäfern und anderen „Schadinsekten“ – wirklich die größten Probleme des Waldes? Oder sind Borkenkäfer und Co. Verbündete auf dem Weg zu klimastabilen und artenreichen Wäldern der Zukunft?

Die Antworten auf diese Fragen fallen sehr unterschiedlich aus, je nachdem, wer sie gibt. Doch in einem Punkt sind sich Wissenschaftlerinnen, Forstwirte, Waldbesitzer und Naturschützerinnen einig: So wie es ist, kann es nicht bleiben. Deutschlands Wald steht vor einem Neubeginn.

Der Klimawald

Wer etwas über Waldschäden durch Stürme, Hitze und vor allem den Borkenkäfer lernen will, sollte sich mit Sabine Bauling zu einer Wanderung verabreden. Bauling, bis vor Kurzem stellvertretende Leiterin im Nationalpark Harz, hat die Verwandlung des Mittelgebirges vom tiefgrünen Fichtenforst in eine dystopische Landschaft aus Baumleichen miterlebt. Und sie hat die ersten beiden Jahrzehnte natürlicher Wiederbewaldung studiert.

Ein schmaler Pfad auf einem Harz-Höhenzug. Sabine Bauling blickt auf den gegenüberliegenden Hang voller toter Bäume – abgestorben nach einem Befall mit Borkenkäfern. Dann sagt sie etwas Erstaunliches. „Normalerweise benimmt der Borkenkäfer sich ordentlich.“ Klingt da so etwas wie Sympathie für den größten Schädling des Waldes an, für einen „Feind“, gegen den die frühere Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner sogar die Bundeswehr losgeschickt hat, um befallene Bäume zu sprengen?

Auch „Schadinsekten“ sind Teil des Ökosystems

Sympathie hegt die Nationalpark-Managerin wohl nicht für das Insekt. Aber ihr ist es wichtig zu betonen, dass auch die „Schadinsekten“ ein natürlicher Bestandteil des Ökosystems Wald sind. Als sogenannte Schwächeparasiten seien Borkenkäfer auf Bäume spezialisiert, die durch Alter oder andere Faktoren bereits in Bedrängnis geraten sind. Vor allem in Bergwäldern, in denen Fichten natürlicherweise heimisch sind, erfüllen die Käfer damit eine wichtige ökologische Aufgabe. Indem die Tiere einzelne ältere und raumgreifende Fichten angreifen, schaffen sie Luft und Licht für die natürliche Verjüngung und damit den Wald der Zukunft.

Wo jedoch Monokulturen gepflanzt wurden, bis in die für Fichten ungeeigneten Tieflagen hinab, kann der Kreislauf zwischen Parasit und Parasitiertem gewaltig aus dem Ruder laufen. Kommt noch der Klimawandel dazu, ergibt sich eine verheerende Mixtur, deren Ergebnisse sich derzeit überall in deutschen Wäldern besichtigen lassen. „Hitzestress, Trockenheit und Stürme als Folge des Klimawandels“, sagt Bauling, „sind die idealen Verbündeten für eine Massenvermehrung des Borkenkäfers an Standorten, an die Fichten eigentlich nicht gehören.“

Wenn der Wald nach Bahnhofsklo riecht

Angefangen hat die Katastrophe im Harz schon zu Beginn der 2000er-Jahre. Im Jahrhundertsommer 2003 herrschten selbst auf den Höhen des Mittelgebirges auch spätabends noch Temperaturen weit über 30 Grad – Regen gab es über Monate hinweg nicht. „Bis dahin wussten viele Harzer Förster nicht einmal mehr richtig, was ein Borkenkäfer ist“, sagt Bauling. „Dass die ersten kleinen Ausbrüche damals nur Vorboten einer größeren Katastrophe waren, ahnte vor zwanzig Jahren kaum jemand.“

Zu einem „perfekten Sturm“ entwickelte sich die Kombination aus Monokultur-Forstwirtschaft und Klimakrise für das Mittelgebirge, als in den Folgejahren neben weiterer Trockenheit auch noch Superstürme wie Kyrill hinzukamen, der 2007 auf dem Brocken Orkanstärke erreichte. 80.000 Festmeter Holz wurden allein durch diesen Sturm zerstört. Eine bis dahin unvorstellbare Menge – und eine ideale Unterstützung für die Ausbreitung des Borkenkäfers.

Inzwischen hat das Zusammenspiel aus Hitzestress, Trockenheit, Stürmen und Borkenkäfer auch diese Mengen in den Schatten gestellt. Allein zwischen 2018 und 2023 sind mehr als fünf Millionen Festmeter Holz im Harz eingeschlagen worden, fast alles als Noternte, um überhaupt noch etwas zu retten.

„Borkenkäfer regneten auf das Autodach
als hätte jemand einen Sack Reis darüber ausgeschüttet“


Bauling erinnert sich gut an die Hochzeiten des Borkenkäfer-Befalls. Vor allem der „Duft des schleichenden Todes“ hat sich ihr eingeprägt. Am ehesten lasse sich das Gemisch aus Pheromonen – den Sexuallockstoffen der Käfer – und absterbenden Bäumen mit dem Geruch einer Bahnhofstoilette vergleichen. Besonders intensiv roch es im Harz zuletzt vor zwei Jahren. Als Bauling damals eines Frühlingsabends vom Nationalpark in ihr nahegelegenes Zuhause fuhr, prasselte plötzlich ein Gewitter auf ihr Autodach. Doch von Regen keine Spur. Es waren Borkenkäfer. „Es war, als hätte jemand Reistüten über meinem Auto ausgeschüttet“, erinnert sich die Nationalpark-Managerin. „Wie bei einer Explosion.“

Eine solche Massenvermehrung zu überstehen ist für die geschwächten Fichtenwälder kaum möglich. „Gesunde Fichten sind in der Lage, eine Borkenkäfer-Attacke abzuwehren, indem sie Harz ausscheiden und den eindringenden Käfer in seinem Bohrloch ersticken“, sagt Bauling. Geschwächte Bäume schaffen das nicht.

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Dieser Klimawald hat sich ganz von allein, ohne menschliches Zutun und ausschließlich durch Naturverjüngung entwickelt – unter den neuen klimatischen Bedingungen. Mit dem jahrhundertealten Bild vom Harz hat er wenig gemein: Statt dem schattigen Dunkel eines dichten Nadelforsts wächst hier ein lichter Laubwald empor, der dominiert wird vom strahlenden Weiß junger Birkenstämme und dem lebensfrohen Hellgrün seiner im Wind flatternden Blätter.

„Die Natur hat uns hier unseren menschlichen Bauplan – den eines reinen Fichtenbestandes – sehr kräftig um die Ohren gehauen und einen eigenen Plan entwickelt“, sagt die Nationalpark-Managerin. „Wir erleben einen Waldwandel von historischem Ausmaß. Wir sind Zeitzeugen von etwas ganz Besonderem.“

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Starthilfe für die natürlichen Prozesse

Ganz ohne menschliches Eingreifen kann sich aber auch im Nationalpark nicht überall ein neuer Wald entwickeln. Dort, wo durch die jahrhundertelange Bewirtschaftung mit Fichten keine anderen Baumarten mehr vorhanden sind, die Samen spenden könnten, hilft man nach. „Initialpflanzung“ nennt sich diese Starthilfe für eine ökologische Renaturierung. Seit 2008 wurden allein im Nationalpark Harz mehr als sechs Millionen Laubbäume neu gesetzt. Samenbäume für die zukünftige Waldvegetation zu schaffen ist das Prinzip hinter den Nachpflanzungen. „Wir geben der Natur Handwerkszeug in die Hand, dann lassen wir los. Mit dem, was sie dann hat, soll die Natur machen, was sie für richtig hält“, beschreibt Bauling das Prinzip.

Inzwischen hat sie viele Skeptiker von einst in den Klimawald geführt, um ihnen das Ergebnis des Nichteingreifens zu zeigen. „Die Wogen haben sich geglättet, weil man sieht, es kommt Neues, es wird anders, es wird bunt.“ Ein lichter Birkenwald sei auch etwas für die Seele, findet sie, nicht so bedrückend wie ein dunkler Fichtenforst – und dem Tourismus überhaupt nicht abträglich, im Gegenteil: Der Harz wird gegenwärtig geradezu überlaufen.

Der tote Wald im Nationalpark ist ein riesiges Freilandlabor

Wie sich dieser Wald aber künftig weiter entwickeln werde, könne niemand sagen. Bauling sagt: „Wir sind ein riesiges Freilandlabor.“ Die Beobachtung der Entwicklung hier könne aber schon jetzt auch auch der kommerziellen Forstwirtschaft helfen zu verstehen, wie sich der Wald der Zukunft unter dem Einfluss des Klimawandels verändere.....

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