Öl- und Gaskonzerne seien nicht grün, investierten nur minimal in Erneuerbare und schürten falsche Technologiehoffnungen: Die Internationale Energieagentur spricht in einem neuen Bericht eine Woche vor der Weltklimakonferenz Klartext.
Die Jahre der großen Öl- und Gasunternehmen seien gezählt, wenn sie nicht grundlegend ihr Geschäftsmodell änderten. Die Konzerne sollten bis 2030 die Hälfte ihrer Investitionen für den Bau von Solar- und Windparks verwenden und endlich aufhören, ihre Hoffnungen in die Technologie zur Abscheidung und Speicherung von CO₂ (CCS) zu setzen.
Kurz: »Der Moment der Wahrheit für die Öl- und Gasindustrie wird bald kommen!«
Das proklamiert nicht Klimaaktivistin Luisa Neubauer, sondern die Internationale Energieagentur (IEA) in ihrem neuen Spezialbericht eine Woche vor Beginn der 28. Uno-Klimakonferenz (COP28). Die Agentur mit Sitz in Paris ist die weltweit wichtigste Institution, wenn es darum geht, die Lage der globalen Energiemärkte zu analysieren. Sie gibt unter anderem den bekannten »World Energy Outlook« heraus. Gegründet wurde sie 1974 von westlichen Ländern, um die Ölkrise zu bewältigen, die damals die Volkswirtschaften erschütterte und für eine Inflationswelle sorgte.
Knapp 50 Jahre später schlittert die Welt in die Klimakrise. Heute geht es nicht darum, die Ölmärkte zu retten, sondern sie so schnell wie möglich durch andere Energieträger zu ersetzen. Das haben anscheinend mittlerweile fast alle verstanden, außer die Öl- und Gaskonzerne selbst. Lediglich ein Prozent der weltweiten Investitionen in Erneuerbare stammen laut IEA-Bericht von Öl- und Gasunternehmen.
IEA: Greenwashing vorbeugen
Der Verbrauch von Öl und Gas müsse bis 2050 um mehr als 75 Prozent zurückgehen, um die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens zu erreichen, so die IEA. Der Bericht warnt auch davor, noch mehr Erdgasprojekte anzuschieben; auch Staaten sollten sich gut überlegen, ob sie etwa neue Flüssiggas-Infrastrukturen unterstützen. »Wer weiterhin in neue Gasprojekte investiert, riskiert, sein Geld zum Fenster hinauszuwerfen«, sagte der Chef der Agentur Fatih Birol der »Süddeutschen Zeitung«. »Sie können nicht auf der einen Seite die Pariser Klimaziele erreichen wollen und gleichzeitig weiterhin fossile Brennstoffe nutzen. Das funktioniert nicht. Das ist unmöglich. Das ist die Wahrheit, das ist Mathematik.« Kanzler Olaf Scholz (SPD), der ebenfalls in Dubai dabei sein wird, hatte vor Monaten für Gasprojekte in afrikanischen Staaten geworben.
Der IEA-Bericht ist starker Tobak für die Branche, die sich auf dem Uno-Klimagipfel in Dubai eigentlich als Teil der Lösung präsentieren will. Immerhin ist der Präsident der diesjährigen Konferenz selbst Chef des Ölriesen Adnoc und will eine »inklusive COP«, also die Unternehmen einbinden. Die Gefahr ist hoch, dass die Konzerne mit ihren mächtigen PR-Abteilungen sich viel grüner geben, also sie eigentlich sind. Die Klarstellung der IEA hilft also, Greenwashing zu verhindern.
Solches Greenwashing stünde auch im Widerspruch zur Idee der Konferenz: Sie soll das laufende Geschäft mit fossilen Rohstoffen verbindlich beenden. Deswegen soll ein schrittweiser Ausstieg aus fossilen Energien in der COP-Abschlusserklärung festgeschrieben werden. Das möchte die EU, die auf der COP auch für Deutschland verhandelt.
CCS: Laut IEA »keine Möglichkeit, den Status quo aufrechtzuerhalten«
Eine weitere zentrale Rolle wird in Dubai eine Technologie spielen, die noch in den Kinderschuhen steckt und gleichsam Hoffnungsträger für alle Fans fossiler Brennstoffe ist: Carbon Capture and Storage, kurz CCS. Eine Technologie, die CO₂ aus der Atmosphäre holen und (unterirdisch) speichern soll. Die Öl-, und Gasfirmen sehen darin die Möglichkeit, ungehindert weiter zu fördern.
Sie könnte zum Zankapfel des Gipfels werden. Laut der EU-Position soll die Rolle der CCS-Technologie in der Abschlusserklärung nur gering sein – und möglichst nur bei Emissionen angewendet werden, die sonst nur schwer zu reduzieren sind, etwa bei Zementwerken. Einige Staaten werden in den kommenden Wochen sicherlich versuchen, den Passus komplett zu streichen, andere werden versuchen, die Rolle von CCS stärker zu machen.
Die IEA baut dem Gerangel schon mal mit Fakten vor: CCS sei »keine Möglichkeit, den Status quo aufrechtzuerhalten«, schreiben die Energieexperten. Würde sich der Öl- und Erdgasverbrauch so weiter entwickeln, müssten bis 2050 »unvorstellbare 32 Milliarden Tonnen CO₂« durch die Technologie vermieden werden – davon 23 Milliarden Tonnen durch direkte Luftabscheidung (DAC) und anschließende Speicherung. Dafür benötige man eine Stromerzeugung von 26.000 Terawattstunden, mehr als der weltweite Strombedarf im Jahr 2022.
Da die großen Konzerne sonst alles genau durchrechnen, ist es schon erstaunlich, wie irrational hier auf eine extrem energieintensive und teure Technik spekuliert wird. Der Verdacht liegt angesichts der IEA-Zahlen allerdings nahe, dass CCS doch eher eine Ausrede als eine echte Alternative zu erneuerbaren Energien ist.
Der SPIEGEL beobachtet die Uno-Klimakonferenz in Dubai mit mehreren Korrespondenten vom 30. November bis 12. Dezember. Neben meinen Kollegen Jonas Schaible und Gerald Traufetter werde ich die gesamten zwei Wochen vor Ort sein – und bis zum bitteren Ende für Sie berichten. Denn alle COP-Beobachter gehen auch in diesem Jahr davon aus, dass die Abschlussverhandlungen zäh werden – und der Zeitplan nicht eingehalten wird.
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